Social Chain schiebt Pleite auf Lars Windhorst

Düsseldorf, Berlin Die letzte Hoffnung von Social Chain hieß offenbar Lars Windhorst. Noch vor wenigen Tagen sollen Unternehmenschef Georg Kofler und Windhorst Handelsblatt-Informationen zufolge über die Modalitäten einer Kapitalerhöhung gesprochen haben. Drei Millionen Euro soll Windhorst als sogenannter Backstop-Investor für das schlingernde Social-Media-Unternehmen zugesagt haben. Sie kamen nie an. Am Dienstag meldete Social Chain Insolvenz an.

Über Details schweigen sich die Beteiligten aus. Kofler hat sein Amt am Montag niedergelegt und beantwortet keine Fragen zum ausgebliebenen Investment. Ein Sprecher von Windhorsts Unternehmensgruppe Tennor sagte lediglich: „Eine mit uns verbundene Gesellschaft wollte in die Social Chain AG investieren, um diese finanziell zu stützen. Da Social Chain die Bedingungen nicht erfüllen konnte, ist dieser Deal dann nicht zustande gekommen.“

Das Unternehmen dementiert hart: „Der Social Chain AG wurden vonseiten des säumigen Backstop-Investors keine Bedingungen kommuniziert, von denen eine Einzahlung abhängig gemacht werden sollte.“ Stattdessen läge „eine weitere schriftliche Bestätigung des säumigen Backstop-Investors vor, der zufolge er seine Verpflichtungen aus der Backstop-Vereinbarung vollumfänglich erfüllen werde“.

Die Verhandlungen verliefen offenbar hektisch. Nach Informationen des Handelsblatts aus Unternehmenskreisen soll sich Windhorst am 20. Juni verpflichtet haben, im Rahmen einer Kapitalerhöhung drei Millionen Euro in das Unternehmen von Kofler zu investieren.

Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllt

Am 12. Juli teilte Social Chain kurz vor Mitternacht mit: „Da sich die Zahlung eines Backstop-Investors entgegen der schriftlichen Backstop-Vereinbarung verzögert, kommt es bei der Durchführung der Kapitalerhöhung und damit auch bei der Lieferung der neuen Aktien ebenfalls zu Verzögerungen.“ Als das Handelsblatt fragte, ob die Finanzierung auch ohne Kapitalerhöhung gesichert sei, antwortete eine Unternehmenssprecherin: „Die Prüfung läuft.“

Noch am Wochenende soll mancher Beteiligte von einer Lösung der Probleme innerhalb weniger Stunden ausgegangen sein. Doch der Rettungsversuch scheiterte am Montag komplett.

Social Chain schiebt die Schuld auf Windhorst. Nachdem der „säumige Backstop-Investor“ seinen Zahlungspflichten nicht nachgekommen sei, sehe der Vorstand „keine hinreichende Wahrscheinlichkeit mehr“, den kurzfristigen Finanzbedarf der Gesellschaft zu decken, teilte das Unternehmen am Montag mit. „Der Vorstand hat daher beschlossen, unverzüglich Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen.“

Ein Bild aus besseren Tagen

Die beiden Ex-Juroren aus der „Höhle der Löwen“, Georg Kofler (links) und Ralf Dümmel, posierten 2021 mit dem Börsenbullen. Jetzt ist ihr Unternehmen The Social Chain AG insolvent.

(Foto: social chain ag/ angelika zinzow, PR)

Der Onlinehändler war einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden, weil seine Führungskräfte Georg Kofler und Ralf Dümmel als Juroren in der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ auftraten. Kofler sah eine große Zukunft für das Unternehmen, das auf Direktvertrieb von Konsumgütern spezialisiert ist, insbesondere über soziale Medien und mithilfe von Influencern. „Die Social Chain Group ist für mich so etwas wie mein neues Pro Sieben für die nächsten zehn Jahre“, sagte Kofler im Juli 2018. Man sei noch in der Frühphase. „Die Profis werden sich durchsetzen, die Strohfeuer werden nach und nach verglimmen.“

Getrieben vom Hype um „Die Höhle der Löwen“ schien es für das Unternehmen zunächst aufwärtszugehen. Zwischenzeitlich war die Firma, die Produkte wie Nasenhaartrimmer und Wassersprudler verkauft, an der Börse mehr als eine halbe Milliarde Euro wert.

Aktie stürzt innerhalb weniger Monate ab

Die Führung befeuerte die Fantasie der Anleger. „Die Social Chain AG ist in den vergangenen drei Jahren außerordentlich schnell und profitabel gewachsen“, erklärte etwa der damalige Vorstandschef Wanja Oberhof im Februar 2022. „Von reported 35 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2019 über 130 Millionen Euro im Jahr 2020 auf pro forma konsolidierte 620 Millionen Euro Jahresumsatz im Jahr 2021.“

Der Verlust lag 2021 bei 72,5 Millionen Euro, im Jahr darauf waren es 106,8 Millionen Euro. Der Aktienkurs brach massiv ein. Lag er noch im November 2021 bei 54 Euro, pendelte er im Juni 2023 um 2,50 Euro. Anfang des Jahres hatte Kofler den Vorstandsvorsitz des Unternehmens übernommen, an dem er selbst ein Drittel der Aktien hielt.

Am 23. Juni, rund einen Monat vor Insolvenzanmeldung, verkaufte Kofler 825.000 Aktien für rund 2,2 Millionen Euro. Drei Tage zuvor hatte Windhorst die Backstop-Vereinbarung unterschrieben und sich zum Kauf von Aktien verpflichtet.

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Kofler gibt dazu heute an: „Ich habe die Aktien im Rahmen einer anderen Transaktion außerbörslich an einen kundigen, professionellen Investor verkauft. Dafür habe ich null Cash bekommen. Denn den Kaufpreis habe ich auf mehrere Jahre gestundet, was wohl der beste Beleg für meinen damaligen Glauben an die langfristige Entwicklung der Social-Chain-Aktie ist.“

Nur wenige Wochen später meldete Social Chain am Dienstag Insolvenz an. Vorher hatte die Führung eine überlebenswichtige Kapitalerhöhung geplant. Von den 4,5 Millionen angebotenen neuen Aktien der Gesellschaft sollte CEO Kofler 2,5 Millionen beziehen.

Den übrigen Aktionären wurden die neuen Aktien zu einem Preis von 2,60 Euro angeboten. Doch die zeigten kaum Interesse und übten nur 1,9 Prozent der ihnen zustehenden Bezugsrechte aus. Nach dem Insolvenzantrag fiel der Kurs auf unter 50 Cent.

Aktionäre von Social Chain, das Unternehmen selbst beziehungsweise der Sachwalter könnten nach der Insolvenz nun womöglich Ansprüche gegen Windhorsts Firma prüfen.

Enge Männerfreundschaft

Die Pleite hat das Verhältnis von Kofler und Windhorst offenbar nicht gestört. Noch am Montag gab es einen freundschaftlichen Austausch, keiner von beiden spricht ein schlechtes Wort über den anderen.

Die Männer sind seit Langem enge Freunde und Geschäftspartner. So holte Windhorst Kofler in den Aufsichtsrat beim Bundesliga-Fußballverein Hertha BSC. Kofler schmeichelte Windhorst in Interviews: „Er hat den Mut, Dinge anzugehen, die anderen zu groß, zu schwer, zu kompliziert sind“, sagte er 2017. „Ich kenne niemanden, der mehr arbeitet und weniger schläft als Lars.“

Windhorst wurde einst als Wunderkind der deutschen Wirtschaft bekannt, als 17-jähriger Unternehmer begleitete er den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl auf Reisen. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase ging auch Windhorst pleite, rappelte sich aber wieder auf und investierte mit der Firmengruppe Tennor in diverse Unternehmungen rund um den Globus. Schätzungen seines Vermögens reichten in jüngerer Vergangenheit von 400 Millionen Euro bis 800 Millionen Euro. In London gab es allerdings jüngst große Zweifel.

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Ein Gericht, der Londoner High Court, fror Windhorst-Vermögen in Höhe von 150 Millionen Euro ein. Grund war die Klage eines Investors, der Forderungen gegen Windhorst erhob. Vor Gericht gab sich Windhorst unsicher über seine Vermögensverhältnisse. Es sei „kompliziert“, eine Schätzung seines Nettovermögens abzugeben, und „schwierig“ zu beantworten, ob er „bilanzielle Solvenz“ habe.

Kofler hat bei Social Chain nichts mehr zu sagen. Der Aufsichtsrat berief Gerrit Hölzle und Thorsten Bieg in den Vorstand, zwei sanierungserfahrene Anwälte der Kanzlei Görg. Sie sollen das Unternehmen durch eine Insolvenz in Eigenverwaltung führen, überwacht vom Sachwalter Friedemann Schade aus der Kanzlei BRL.

Möglich wurde das Eigenverwaltungsverfahren laut Social Chain, „nachdem sich Ralf Dümmel und die Altgesellschafter der DS Gruppe kurzfristig bereit erklärt haben, das Unternehmen mit einem Massedarlehen in erheblicher Höhe zu finanzieren“.

Dümmel ist ebenfalls ein Freund von Kofler. Der Hamburger Unternehmer war bis 2022 auch Vorstand bei Social Chain. Koflers Unternehmen hatte Dümmels DS Gruppe 2021 für 220 Millionen Euro übernommen. Aktuell ist Social Chain an der Börse weniger als sechs Millionen Euro wert.

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