So will Polen Reparationszahlungen von Deutschland bekommen

Wien Russland soll Reparationen für die Verbrechen leisten, die die Armee des Landes in der Ukraine verübt. Zu diesem Ergebnis kam die UN-Vollversammlung im vergangenen November. Während die Resolution rechtlich nicht bindend ist, stößt sie bei einem Großteil der westlichen Politiker auf Zustimmung. Für Polen entsteht durch die Forderung allerdings eine weitere Dimension.

Das Land versucht, die ukrainische Reparationsfrage mit der eigenen Forderung zu verknüpfen, dass Deutschland Wiedergutmachung leisten müsse für die Grausamkeiten, welche die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg in Polen begangen haben. „Das wäre ein wichtiges Signal an heutige Aggressoren“, sagt Arkadiusz Mularczyk, Staatssekretär und Vizeaußenminister des Landes.

Eine deutsch-polnische Übereinkunft könnte laut dem Politiker der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ein Modell sein für eine russisch-ukrainische Lösung. Ein polnischer Diplomat meinte kürzlich in Wien, der Ukrainekrieg sei Polens Geheimwaffe, um die Reparationsfrage zu internationalisieren.

Polen dringt seit mindestens 20 Jahren darauf, dass Deutschland Reparationen für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs leistet. Mal fallen die Forderungen vehement aus, mal diplomatisch diskret. Bei der PiS steht das Thema weit oben auf der Agenda, und je näher die Wahlen vom kommenden Herbst rücken, desto durchdringender sind die Töne, welche die Nationalkonservativen gegenüber Deutschland anschlagen.

Besonders der PiS-Chef und stellvertretende Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski überhäuft Deutschland mit Schmähungen. Polens Regierung passe nicht in den deutsch-russischen Plan, Europa zu beherrschen, sagte er im vergangenen Herbst. Er sagte, dass die EU zu einem „Vierten Deutschen Reich” werden könnte.

Deutschland blockiert Reparationsfrage

Kaczynski, aber auch Justizminister Zbigniew Ziobro gelten als Hetzer, Mularczyk dagegen gibt den Diplomaten. Im Mai hat er allen 736 Mitgliedern des Deutschen Bundestags einen Brief geschrieben, worin er auf die Schäden verwies, welche die Nationalsozialisten in Polen angerichtet hätten. Er wollte mit dem Brief eine Debatte auslösen, sagt Mularczyk.

Zerstörung in Polen im zweiten Weltkrieg

Polen dringt seit mindestens 20 Jahren darauf, dass Deutschland Reparationen für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs leistet.

(Foto: Archive Photos/Getty Images)

Seine Bemühungen waren bisher allerdings vergebens. Deutschland blockiert. Die Reparationsfrage sei juristisch abgeschlossen, antwortete der SPD-Abgeordnete Dietmar Nietan etwa Polens Vizeaußenminister. Nietan ist Koordinator der Bundesregierung für die grenznahe Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland.

Ob die Reparationsfrage juristisch geklärt ist, wie Nietan sagt, beschäftigt Völkerrechtler seit Langem. Eine Schlüsselrolle in dieser Frage spielt ein Dokument von Polens Ministerpräsident Boleslaw Bierut aus dem Jahr 1953.

Darin verkündete er, dass Polen ab dem 1. Januar 1954 auf Reparationsforderungen gegenüber Deutschland verzichten werde. Bieruts Äußerung gilt nicht als eine offizielle Verlautbarung, sie wurde lediglich in Zeitungen publiziert.

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Deutschland erachtet die Verzichtserklärung gleichwohl als bindend, da sie öffentlich bekannt gegeben worden ist. Polens Regierung hingegen sagt, die Reparationsfrage sei weiterhin offen: Das Land sei damals ein Satellit der Sowjetunion gewesen. Es habe nicht selbstständig entschieden, sondern auf Druck des „großen Bruders” gehandelt.

Wie sollte die Wiedergutmachung aussehen?

Mateusz Piatkowski, Völkerrechtler an der Universität Lodz, sagte: „Bei dieser Auseinandersetzung handelt es sich um eine rechtliche Frage.“ Am besten sei es daher, den Fall vor einem internationalen Gericht zu klären, meinte Piatkowski.

UN-Vollversammlung zur Ukraine

Die UN-Generalversammlung hat erklärt, Russland müsse Reparationen für die Folgen seines Angriffskriegs in der Ukraine zahlen.

(Foto: dpa)

Allerdings gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich Deutschland auf ein solches Prozedere einließe. Der Abgeordnete Nietan kann sich höchstens vorstellen, dass Deutschland gezielt die Zivilgesellschaft unterstützt, beispielsweise indem man einen Hilfsfonds einrichtet. „Darüber könnten wir sprechen“, sagte er im vergangenen September in einem Interview mit der „Gazeta Wyborcza“.

Nietan vertritt ebenfalls die These, dass Kaczynski das Thema Reparationen forciert, weil in Polen Wahlen anstehen und antideutsche Rhetorik in Teilen der Bevölkerung ankommt. Für den Juristen Piatkowski ist das hingegen eine zu einseitige Sicht.

Die Frage der Reparationen habe nicht nur für PiS-Wähler eine große Bedeutung, sondern sei ein verbreitetes Anliegen der Bevölkerung. „Fast alle Polen haben im Krieg Angehörige oder Besitztümer verloren“, sagt er.

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Allerdings gibt es im Land laut Piatkowski unterschiedliche Ansichten zur Art der Wiedergutmachung: Sie reichten von symbolischen Formen der Erinnerung bis zu einer finanziellen Entschädigung.

Gutes Verhältnis als Handelspartner

Kaczynski allerdings hat eine klare Vorstellung: 6,2 Billionen Zloty oder 1,4 Billionen Euro – eine so hohe Summe erwartet er von Deutschland als Entschädigung. Diesen Betrag hat Kaczynski im September 2022 genannt, als er eine dreibändige Studie präsentierte zu den Schäden, die Polen im Zweiten Weltkrieg erlitten hatte.

Dietmar Nietan

Nietan vertritt die These, dass Kaczynski das Thema Reparationen forciert, weil in Polen Wahlen anstehen und antideutsche Rhetorik in Teilen der Bevölkerung ankommt.

(Foto: IMAGO/Metodi Popow)

Mularczyk legt sich dagegen nicht auf eine konkrete Zahl fest. „Unser Ziel ist es, mit Deutschland einen langfristigen Dialog zum Thema Reparation zu beginnen“, sagt er. Dieser sei nötig, weil die Frage Europa spalte. „Russland beobachtet genau, wie Deutschland und Polen mit dem Thema umgehen.“

Diese Einschätzungen sind wohl zu hoch gegriffen. Polens Regierung hat aber laut Beobachtern gemerkt, dass sie mit einer rein aggressiven Rhetorik in der Reparationsfrage international keine Verbündeten gewinnt. Manche sagen, die Stimmung zwischen Deutschland und Polen sei seit 1945 noch nie so schlecht gewesen wie derzeit.

In einem Kontrast dazu stehen die geschäftlichen Aktivitäten der beiden Länder. Deutschland ist Polens wichtigster Handelspartner. Die wirtschaftlichen Beziehungen sind in den vergangenen Jahren immer enger geworden – trotz politischer Feinseligkeiten.

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