Mit diesem SUV will die Marke zurück in die erste Elektro-Liga

Berlin Auf diesen Moment mussten sie länger warten als ihnen lieb war. Viel länger sogar. Denn wegen interner Querelen und Problemen mit der neuen Konzernelektronik hat sich der Start immer wieder verzögert. Doch weil irgendwann selbst dem geduldigsten Entwickler die Geduld ausgeht, hat Audi jetzt schon einmal das Tuch gelüftet und zur ersten Ausfahrt mit dem neuen Q6 gebeten.

Schließlich brauchen die Bayern dringend gute Nachrichten und vor allem mal wieder ein neues Auto – und davon kommen im Windschatten des Q6 einige. Zuletzt durften sie nur Konzernmodelle umbauen und mussten zwei Jahre die Füße stillhalten. Jetzt – zugegeben: zusammen mit Porsche – haben sie erstmals eine eigene Elektroplattform entwickelt. Auf der sollen schon im nächsten Jahr neben dem Q6 noch drei weitere Modelle kommen.

Noch vor dem Jahresende lässt der Q6 auch noch die letzten Hüllen fallen und geht dann Anfang 2024 für geschätzte Preise von zunächst gut 70.000 Euro gegen Autos wie Mercedes EQE, Volvo EX90, Tesla Model X und die vielen neuen Elektro-SUV aus China ins Rennen.

Keine Überraschung bei Form und Format

Dafür gibt es einen Geländewagen mit gängigem Format und gefälliger Form. Denn auch wenn der Q6 für Audi ein Befreiungsschlag sein soll, wollen die Bayern keine Experimente machen.

Das Design wirkt deshalb vertraut – vom geschlossenen, für Audi seit rund 20 Jahren typischen Singleframe-Grill bis zu den weit ausgestellten Kotflügeln über der Hinterachse. Und nur die Scheinwerfer setzen neue Akzente. Denn vorn gibt es erstmals dynamische Lichtsignaturen, die der Fahrer frei wählen kann.

Und hinten flimmert und schimmert künftig die nächste Generation organischer Leuchtdioden, die jetzt sogar über einfache Grafiken mit dem Hintermann kommuniziert.

Auch die Abmessungen sind alltäglich: Mit etwa 4,80 Metern Länge fügt er sich gut zwischen den e-tron-Modellen Q4 und Q8 ein, bietet aber bei fast drei Metern Radstand vor allem den Hinterbänklern überdurchschnittlich viel Platz. Außerdem hat er fast so viel Kofferraum wie ein elektrischer Q8, der 569 Liter bietet. Dazu gesellt sich dann auch noch das Fach unter der Vorderhaube („Frunk”).

Digitale Revolution im Innenraum

Innen soll sich deutlich mehr tun, versprechen die Entwickler mit Blick auf die neue Elektronik-Architektur. Konkrete Einblicke aber verhindern sie noch mit den üblichen Tarnmatten. Allerdings zeichnet sich darunter bereits ein großer, freistehender Bildschirm ab, der sich bis über die Mittelkonsole biegt.

Es soll einen großen Fortschritt beim Head-up-Display geben. Und alles, was man bereits sehen kann, ist betont clean und weitgehend ohne Schalter, die mit einer neuen Bedieninsel im Türgriff gebündelt werden.

Aber wirklich wichtig ist ohnehin die technische Basis, für die Audi das Rad ein gutes Stück weitergedreht hat. Wie bislang nur in der Nische des e-tron GT gibt es nun auch für die große Masse eine 800-Volt-Architektur, die Ladeleistungen bis 270 kW ermöglicht.

Der Strom für 250 Kilometer fließt so im besten Fall in zehn Minuten. Und um bei der Reichweite die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen, baut Audi eine neue, intelligente Wärmepumpe ein und regelt die Wohlfühltemperatur der Batterie noch schlauer.

Bis zu 600 Kilometer Reichweite und über 500 PS zum Start

Mittelfristig wird es mindestens vier Motor- und wohl auch zwei Batterievarianten geben. Doch bestätigt hat Audi bislang nur den 100 kWh-Akku, für über 600 Kilometer Reichweite sowie einen Q6 55 Quattro mit zwei Motoren und 295 kW/402 PS oder einen SQ6, bei dem die Maschinen auf 380 kW/517 PS kommen. Das ermöglicht einen Sprintwert unter 4,5 Sekunden und sollte für 200 km/h reichen.

Tempo ist diesmal besonders wichtig. Denn während der erste e-tron genau wie der aus dem Wolfsburger Teilesatz konstruierte Q4 einen Keil der lustlosen Beliebigkeit zischen Fahrer und Fahrbahn getrieben haben, geht es im Q6 wieder so engagiert zur Sache wie in Audis wildesten Jahren. Eine Lenkung mit zunehmender Schärfe, ein betont straffes Fahrwerk mit Stahl- oder Luftfedern und ein Quattro-Antrieb, der dem Heck ein wenig mehr Nachdruck verleiht, treiben mit jeder Kurve die Mundwinkel nach oben. Na also, es geht doch!

Fazit: Endlich wieder erste Liga

Er sieht augenscheinlich gut aus und fährt auch so. Wenn das Interieur auch nur halb so fortschrittlich ist, wie es sich unter der Tarnung andeutet, macht er vor allem innen einen großen Sprung. Und mit seiner 800-Volt-Architektur und mehr als 600 Kilometern Reichweite ist er auf der Höhe der Zeit.

Für Vorsprung durch Technik hat der Q6 zwar ein bisschen zu viel Verspätung. Doch nachdem Audi zuletzt schon als Abstiegskandidat gehandelt wurde, haben sich die Bayern damit wieder dauerhaft für die erste Liga qualifiziert.

Mehr: Das neue Normal – Audi Q4 E-Tron im Handelsblatt-Autotest

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