Können sich Länderchefs und Kommission beim Industriestrompreis einigen?

Brüssel, Berlin Für Maros Sefcovic, Europas neuer „Mister Green Deal“, ist klar: Die EU-Staaten können Energie nicht „dauerhaft subventionieren“, wie der EU-Kommissionsvize im Interview mit dem Handelsblatt sagte. Eine solche Subvention schwebt aber den 16 deutschen Ministerpräsidenten vor.

Am Mittwoch wollen sie nach Brüssel reisen und bei Sefcovic und EU-Kommissionschefin von der Leyen für einen Industriestrompreis werben, also einen durch staatliche Gelder niedrig gehaltenen Strompreis für bestimmte Industrien.

Die gestiegenen Energiekosten seien ein „akutes Hemmnis für die Erholung der Konjunktur“, heißt es im Entwurf einer Erklärung, die die Länderchefs diese Woche veröffentlichen wollen. Für einen „Übergangszeitraum“ müsse es möglich sein, energieintensiven Unternehmen „einen wettbewerbsfähigen Brückenstrompreis“ anzubieten.

Allerdings sieht das nicht nur die EU-Kommission skeptisch. Auch innerhalb der Bundesregierung ist der Industriestrompreis umstritten: Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist dafür, Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sind dagegen.

Sefcovic plädiert dafür, stattdessen den Strommarkt zu reformieren. Ziel müsse es sein, „den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen und das Netz so auszubauen, dass es grünen Strom besser nutzen kann“.

EU-Kommission sorgt sich um Binnenmarkt

Der Slowake Sefcovic wird in Brüssel Nachfolger von Frans Timmermans, der als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten in den Niederlanden antritt. Timmermans hat die ambitionierte Klimapolitik der EU geprägt, stand aber im Ruf, den Sorgen der Wirtschaft wenig Beachtung zu schenken. Sefcovic, der sich Verdienste als Europas Verhandlungsführer beim Streit mit den Briten um die Brexit-Folgen erworben hat, geht nun auf die Unternehmen zu.

Er räumt ein, dass den USA die Verbindung von Industrie- und Klimapolitik derzeit besser gelinge. „Für uns heißt das: Regeln vereinfachen, schneller werden und die Finanzhilfen gemeinsam mit den Mitgliedstaaten effizienter auszahlen.“

Die Akzeptanz des Klimaschutzes entscheide sich letztlich daran, ob die europäische Industrie wettbewerbsfähig bleibe. „Nur die globale Wettbewerbsfähigkeit garantiert uns die Einnahmen, die wir brauchen, um das soziale Modell Europas zu erhalten“, mahnt Sefcovic.

Den Wunsch der deutschen Industrie nach subventionierten Preisen schmettert der Kommissionsvize jedoch ab. Brüssel treibt dabei vor allem die Sorge um den europäischen Binnenmarkt um. Wenn Deutschland seinen Unternehmen Beihilfen gewährte, gerieten EU-Staaten mit weniger finanziellem Spielraum ökonomisch ins Hintertreffen.

Lindner lehnt Industriestrompreis ab

Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte im Mai einen Industriestrompreis vorgeschlagen. Sein Konzept sieht vor, den energieintensiven Unternehmen des Landes für 80 Prozent ihres historischen Verbrauchs Strom zum vergünstigten Preis von sechs Cent je Kilowattstunde anzubieten.

Habeck war damit allerdings auf strikte Ablehnung von Finanzminister Lindner gestoßen. Während die SPD für einen Industriestrompreis votiert, hat sich Bundeskanzler Scholz bislang gegen einen Industriestrompreis ausgesprochen, insbesondere wegen der Finanzierungsfrage.

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Für seinen Industriestrompreis hatte Habeck anfangs Kosten von 25 bis 30 Milliarden Euro angesetzt, die er aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) an der Schuldenbremse vorbei aufbringen wollte. Den Fonds hatte die Regierung in der Energiekrise mit Kreditermächtigungen in Höhe von 200 Milliarden Euro bestückt, wovon ein Großteil übrig geblieben ist.

Robert Habeck

Der Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers für einen Industriestrompreis konnte sich in der Koalition bislang nicht durchsetzen.

(Foto: Reuters)

Unterstützung erhält der Grünen-Politiker nun von den deutschen Ministerpräsidenten, die zum ersten Mal seit 2018 wieder gemeinsam nach Brüssel reisen.

Einer Umwidmung des WSF stehen aber hohe rechtliche Hürden gegenüber. In Habecks Umfeld schwindet die Hoffnung, dass der Industriestrompreis wie vorgeschlagen kommt. Aufgeben will man aber noch nicht. Regierungsquellen zufolge arbeiten Habecks Experten an Kompromissvorschlägen.

Habeck ist für Änderungen am Industriestrompreis offen

Der Minister selbst hatte bereits eine Verkürzung der Subvention von sieben auf drei bis fünf Jahre vorgeschlagen. Auch eine engere Eingrenzung der Empfängerbetriebe sei möglich, berichtet ein Insider. Dies könnte die Kosten auf etwa 20 Milliarden Euro drücken.

Falls all das zu nichts führt, könnte die Kontroverse auch auf einem anderen Weg beigelegt werden. Lindner will den sogenannten Spitzenausgleich Ende des Jahres auslaufen lassen. Davon profitieren bislang Firmen aus energieintensiven Branchen. Sie bekommen bis zu 90 Prozent der Energie- und Stromsteuer erstattet.

Aus Regierungskreisen ist zu hören, dass der Spitzenausgleich aber noch nicht vom Tisch ist und diese Woche wieder Teil der Haushaltsverhandlungen im Parlament werden könnte.

Möglicherweise ausgeweitet für die Industrie, um zu einem gesichtswahrenden Kompromiss für Habeck, Lindner und Scholz zu werden. Sicher ist: Sefcovic und seine Mitarbeiter werden das Berliner Gerangel aufmerksam verfolgen.

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