Hoher Beamter wetterte beim Finanzsenator gegen Chef-Ermittlerin

Andreas Dressel, Finanzsenator von Hamburg

Der SPD-Politiker bekam Beschwerde-E-Mails von hohen Finanzbeamten, weil die Kölner Staatsanwaltschaft Durchsuchungsbeschlüsse beantragt hatte.

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Düsseldorf Am 22. März 2021 um 9:20 Uhr schlug der Abteilungsleiter der Hamburger Finanzbehörde Alarm. „Sehr geehrter Herr Dr. Dressel“, schrieb Michael Wagner an seinen obersten Vorgesetzten, Finanzsenator Andreas Dressel. „Wie Sie wissen, hat das Hamburger Abendblatt am vergangenen Donnerstag darüber berichtet, dass die Staatsanwältin Brorhilker im Warburg-Fall beim Amtsgericht Köln Durchsuchungsbeschlüsse gegen Beamte beantragt hat. Davon fühle ich mich unmittelbar betroffen.“

Hintergrund war die Cum-Ex-Affäre, der größte Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Hamburger Finanzverwaltung hatte darauf verzichtet, 47 Millionen Euro Steuern aus den illegalen Geschäften von der Bank M.M. Warburg zurückzufordern.

Zuvor gab es Gespräche des langjährigen Bankchefs Christian Olearius mit dem damaligen Ersten Bürgermeister der Stadt, Olaf Scholz. Auch Peter Tschentscher, seinerzeit Finanzsenator und heute Erster Bürgermeister, war involviert.

Bei Cum-Ex-Geschäften ließen sich die Beteiligten Steuern erstatten, die sie nicht gezahlt hatten. Die M.M. Warburg war eine von mehr als 100 Banken, die dabei mitwirkten. Während die Hamburger Staatsanwaltschaft sich nie ernsthaft für den Fall interessierte, stieß die Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker auf verdächtige Unterlagen und ermittelte.

2021 war Brorhilker auf der Suche nach Beweisen möglicher Komplizenschaft in der Hanseatischen Finanzverwaltung. Die Kölner Staatsanwältin beantragte laut „Hamburger Abendblatt“ einen Durchsuchungsbeschluss gegen eine Beamtin.

Angst vor einer Razzia

„Ich kann dieses Ansinnen der Staatsanwältin nur als durchgeknallt bezeichnen“, echauffierte sich Wagner. Er fürchtete, dass die Kölner auch seine Wohnung filzen könnten. „Sie können sicher nachvollziehen, dass weder ich noch Kolleginnen und Kollegen jetzt jeden Morgen mit dem Gefühl aufstehen wollen, gleich gibt es eine Wohnungsdurchsuchung“, schrieb der Abteilungsleiter an den Finanzsenator. „Es ist auch klar, dass – wenn es etwas Belastendes gäbe – dieses spätestens nach den Abendblatt-Berichten geschreddert worden wäre. Könnten Sie Ihren Justizminister-Kollegen in NRW einmal anrufen und diese Thematik mit ihm erörtern?“

Dressel fand die Logik von Wagner einleuchtend. „Kann das gut nachvollziehen“, antwortete der Finanzsenator seinem Beamten. „Vielleicht telefonieren wir diese Woche mal.“

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher und Bundeskanzler Olaf Scholz

Scholz, damals Bürgermeister, erhielt Unterlagen von Warburg-Chef Christian Olearius und gab sie an Tschentscher, damals Finanzsenator, weiter.

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Es ist nicht bekannt, ob Dressel und Wagner in jener Märzwoche 2021 miteinander sprachen. Ein Sprecher des Hamburger Finanzsenats ließ Fragen dazu unbeantwortet und sagte auch nicht, warum er Wagner beipflichtete. Beim damaligen NRW-Justizminister Peter Biesenbach habe er allerdings nicht interveniert. Biesenbach bestätigte das. „Bei mir hätte man sich mit so einem Versuch blaue Flecken geholt.“

Heute ist der E-Mail-Verkehr zwischen dem Hamburger Finanzbeamten Wagner und Finanzsenator Dressel ein neues, bisher unbekanntes Puzzleteil in der Steuerhinterziehungsaffäre Cum-Ex. In der Hansestadt begann sie im Juni 2015.

Hamburger Finanzbeamte beugten sich damals über einen Hinweis von Ermittlern aus Hessen. Die waren dem Frankfurter Steueranwalt Hanno Berger auf der Spur – einer Schlüsselfigur im Cum-Ex-Skandal. Berger ist inzwischen zweimal verurteilt, die Ermittlungsakten zeigten damals Verbindungen zwischen ihm und der Warburg Bank.

Treuherzige Beamte in Hamburg

In Hamburg fand man daran offenbar nichts Böses. Finanzbeamte schauten sich die Geschäfte an, dann legten sie die Unterlagen wieder weg. In einem Vermerk hieß es, die Warburg Bank sei nicht verantwortlich, falls bei diesen Geschäften keine Steuern gezahlt wurden. Ein Betriebsprüfer sagte später vor Gericht: „Wir konnten uns nicht vorstellen, dass die Bank so etwas gemacht hat.“

Die Staatsanwaltschaft Hamburg legte einen „Beobachtungsvorgang“ an. Die Beobachtung führte zu nichts. Die Ermittler lehnten die Einleitung von Ermittlungen ab.

Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs (SPD)

Kahrs erhielt eine große Wahlkampfspende von der Warburg-Bank. Zuvor soll er mit Olearius über die Cum-Ex-Geschäfte gesprochen haben.

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In Köln waren die Beamten weniger treuherzig. Im Januar 2016 veranlasste Staatsanwältin Brorhilker eine Durchsuchung der Traditionsbank – 500 Meter entfernt vom Hamburger Rathaus.

Zwei Monate später traf sich der damalige Warburg-Aufsichtsratschef Christian Olearius mit dem ehemaligen Hamburger Innensenator Alfons Pawelczyk und Johannes Kahrs, der im Bundestag saß. In seinem Tagebuch notierte Olearius, beide SPD-Politiker stünden zur Hilfe bereit.

Am 7. September 2016 besuchte Olearius den damaligen Ersten Bürgermeister Olaf Scholz im Hamburger Rathaus. Im Oktober folgte ein zweites Treffen. Olearius übergab Scholz ein Papier mit Argumenten, warum die Bank rechtens gehandelt habe.

Scholz reichte das Papier weiter an den damaligen Finanzsenator, Peter Tschentscher. Der übergab es den zuständigen Experten in seiner Finanzbehörde, darunter Abteilungsleiter Michael Wagner. Der Finanzsenator bat darum, auf dem Laufenden gehalten zu werden.

Sieben Beamte und eine weitreichende Entscheidung

Am 17. November 2016 trafen sich sieben hochrangige Hamburger Beamte, um den Fall zu beraten. Michael Wagner war einer der Abgesandten der Finanzbehörde. Ebenfalls zugegen: Daniela P., die beim Finanzamt für Warburg zuständig war.

Die Runde entschied, dass die Bank das Geld behalten darf. Das Finanzamt ließ eine Frist zur Rückforderung von 47 Millionen Euro verstreichen. P. schrieb per SMS an eine befreundete Kollegin: „Der teuflische Plan ist aufgegangen.“ Gegen P. wird wegen Begünstigung, Geldwäsche und Untreue im Amt und wegen Verletzung des Steuergeheimnisses ermittelt. Auf eine Anfrage reagierte die Beamtin nicht.

Die Warburg-Bank in Hamburg

Ex-Warburg-Chef Christian Olearius muss sich ab September vor Gericht verantworten.

(Foto: Getty Images; Per-Anders Pettersson)

Bei M.M. Warburg machte sich nach der Entscheidung Erleichterung breit. Am 22. Dezember 2016 vermerkte Olearius in seinem Tagebuch, er habe die SPD-Politiker Pawelczyk und Kahrs zum Dank zum Lunch eingeladen. Später flossen aus dem Umfeld von Olearius Spenden von 45.500 Euro an die SPD. Bei einer Durchsuchung fanden sich 214.000 Euro in bar in einem Bankschließfach von Kahrs. Der SPD-Politiker hat die Herkunft des Geldes nie öffentlich erklärt. Auf Nachfrage reagierte er nicht.

Heute sind ehemalige Mitarbeiter und Geschäftspartner der M.M. Warburg wegen Steuerhinterziehung verurteilt, darunter die ehemalige rechte Hand von Olearius, Christian S. Das Gericht verlangte von der Bank die Zahlung von mehr als 176 Millionen Euro.

Olearius muss sich ab dem 18. September 2023 vor dem Landgericht Bonn wegen des Vorwurfs der besonders schweren Steuerhinterziehung in Höhe von 280 Millionen Euro verantworten. Gegen Kahrs und Pawelczyk laufen Ermittlungen.

Im Zweifel schreddern

Die Staatsanwaltschaft Köln hielt es im Frühjahr 2021 offenbar für naheliegend, dass sich in der Cum-Ex-Affäre der M.M. Warburg auch Hamburger Beamte nicht an Recht und Gesetz gehalten hatten. Am 18. März las der Abteilungsleiter Wagner in der Zeitung, dass eine bereits geplante Razzia vor Monaten abgesagt worden war. Allerdings werde geprüft, doch noch zu durchsuchen.

Einer Kollegin vertraute Wagner an, er sei durch die Berichte „in einer gewissen Sorge, dass bei mir zuhause ein formal legaler Einbruch stattfindet“.

„So etwas ist aus meiner Sicht mit dem Gehalt nicht ansatzweise abgegolten“, beschwerte sich Wagner. Der Finanzbeamte wiederholte seine Logik, belastendes Material hätte man im Zweifel längst vernichtet. Wagner: „Wenn es etwas gäbe, wäre das nach dem Lesen der Presse inzwischen komplett geschreddert.“

Die Razzia der Staatsanwaltschaft Köln in Hamburg fand schließlich sechs Monate später statt. Es ist nicht bekannt, was gefunden und was geschreddert wurde.

Mehr: Ex-NRW-Justizminister will Auskünfte über Cum-Ex-Ermittlungen erzwingen

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