Geschäftsreisen: Dax-Konzerne verzichten auf Flugreisen

Frankfurt Die von Airline-Managern erhoffte Erholung bei den Dienstreisen nach der Pandemie bleibt aus. Das zeigt eine Umfrage des Handelsblatts unter Dax-Konzernen. Viele Unternehmen fordern bei Flugreisen von der Belegschaft Zurückhaltung. Im Schnitt liegt das Reiseaufkommen noch zwischen 20 und 30 Prozent niedriger als vor der Krise. Bei Flügen beträgt das Minus in einigen Fällen sogar fast 70 Prozent.

Lufthansa, IAG und Air France-KLM mussten schon im zweiten Quartal einen leichten Rückgang der Firmenbuchungen hinnehmen. Der Geschäftsreiseverkehr liegt bei 60 bis 70 Prozent des Vorkrisenniveaus. Berufliche Vielflieger sind für die Airlines wichtig, sie buchen häufig Premium. Bis zur Pandemie stammten rund 50 Prozent des Umsatzes der Lufthansa von Geschäftsreisenden, obwohl deren Anteil an der Passagierzahl niedriger ist.

Die Unternehmen schauen bei Reisen angesichts gestiegener Ticketkosten und mit Blick auf die Klimaziele noch genauer hin. Die Sorgen vor einer Rezession erhöhen den Kostendruck. „Selbstverständlich haben die jüngsten Preissteigerungen die Attraktivität des Flugverkehrs nicht erhöht“, sagte ein Sprecher von Bayer.

Die Genehmigungsverfahren seien darauf ausgelegt, insbesondere Flugreisen zu reduzieren, heißt es bei der Deutschen Bank. Die Allianz verbietet sogar eine Flugbuchung auf bestimmten innerdeutschen Strecken.

Nach einer Analyse des Geschäftsreisespezialisten CWT und der Global Business Travel Association (GBTA) stieg der Preis für ein Flugticket 2022 weltweit um 72,2 Prozent auf 749 Dollar. 2019 betrug dieser noch 670 Dollar.

Noch kann Lufthansa-Chef Carsten Spohr gut damit leben, dass weniger Geschäftskunden in den Jets sitzen. Privatreisende füllen die Lücke bisher, und sie buchen verstärkt Premiumtickets. Im Schnitt erlöse die Lufthansa gerade auf der Langstrecke bei einem Hin- und Rückflug rund 5000 Euro, rechnete der Vorstandschef im Juni den Mitarbeitenden bei einem internen Treffen vor. „Die Auslastung der Jets liegt bei 90 Prozent, in der Businessklasse dürfte die sogar noch höher sein“, sagte Spohr.

Die Frage ist, wie lange dieser Ausgleich in Zeiten steigender Konjunktursorgen noch funktionieren wird. Die Unternehmen würden Kostenersparnisse und niedrigere Emissionen durch einen Mix von virtuellen Konferenzen und längeren Reisen anstreben, analysierte Alex Irving von Bernstein Research kürzlich in einer Studie: „Wir befürchten, dass dieser hochmargige Verkehr dauerhaft fehlen wird und der Premium-Privatreiseverkehr das nicht ewig ersetzen kann.“

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Die Antworten der vom Handelsblatt befragten Dax-Unternehmen bestätigen diese Einschätzungen. Überall wird deutlich weniger geflogen als vor Beginn der Pandemie. Und das wird auch so bleiben, selbst wenn in einigen Fällen wieder etwas mehr gereist wird als im vergangenen Jahr. „Insgesamt nimmt die Reisetätigkeit wieder zu, wird aber sicher nicht das Niveau von vor der Coronakrise erreichen“, heißt es bei Siemens.

Geschäftsreisen: Gestiegene Kosten rücken in den Fokus

Mittelfristig wollen die meisten der befragten Konzerne das Reiseaufkommen sogar weiter reduzieren. So verfolgt die Allianz das Ziel, die zurückgelegten Kilometer an Dienstreisen pro Mitarbeitendem von 2019 bis 2025 um 41 Prozent zu senken. „Auch nach der Pandemie managen wir unser Reisebudget sehr restriktiv und erwarten derzeit keine Rückkehr auf das Niveau von 2019“, heißt es beim Chemieriesen BASF.

Hatten die Reiserichtlinien zunächst vor allem die Klimabilanz im Blick, rücken zunehmend die Kosten in den Fokus. „Bei der Auswahl der Verkehrsmittel stehen immer sowohl Kosten- als auch Umweltaspekte im Vordergrund“, erklärte ein Sprecher des Autozulieferers Continental.

Eine Geschäftsfrau holt ihren Koffer am Gepäckband

Mittlerweile achten die Mitarbeiter selbst stärker auf die Kosten ihrer Reisen und buchen weniger Premium, berichtet der Pharma-Konzern Bayer.

(Foto: UpperCut Images/Getty Images)

Vor allem in der Region Europa, Naher Osten und Afrika (EMEA) ist das Reisen deutlich teurer geworden. Nach Daten von CWT und der GBTA kostete das Flugticket hier im vergangenen Jahr im Schnitt 855 Dollar, so viel wie nirgendwo sonst auf der Welt.

Die Ticketpreise sollen weltweit im laufenden Jahr um weitere 2,3 Prozent zulegen, 2024 dann erneut um 1,8 Prozent. Auch der Tagespreis für ein Hotelzimmer, der sich im vergangenen Jahr um rund 30 Prozent verteuerte, wird wohl weiter steigen.

Diese Preissteigerungen und weniger ein Zuwachs an Reisen dürften auch der Grund dafür sein, dass der Geschäftsreiseverband GBTA in der vergangenen Woche neue Rekordwerte im Geschäftsreisesegment verkünden konnte. So soll der Umsatz bis Ende 2024 auf weltweit 1,4 Billionen Dollar steigen und 2027 sogar 1,8 Billionen Dollar erreichen. Der weltweite Geschäftsreiseverkehr erhole sich schneller als erwartet, erklärte der GBTA.

Die Realität indes beschreibt eine Aussage von Bayer. Zwar habe sich das Reiseaufkommen gegenüber 2019 halbiert. „Die seither allerdings deutlich gestiegenen Preise für alle Reiseleistungen führen dazu, dass die Kosten nicht in gleichem Maße gesunken sind.“

Die Ausgaben der Kunden würden sich daher wieder dem Niveau von 2019 nähern, „die Zahl der Reisen liegt noch darunter“, bestätigt Oliver Wagner. Er ist Chef des Geschäftsreisedienstleisters Airplus International, den die Lufthansa kürzlich an einen Investor verkauft hat.

Die Unternehmen setzen vor allem auf drei Wege, diesen Kostensteigerungen zu begegnen.

Trend 1: Videokonferenzen ersetzen physische Treffen

In der Pandemie haben sich Videokonferenzen bewährt. Nun halten viele Unternehmen daran fest. Die Mitarbeitenden würden vermehrt die Möglichkeiten virtueller Treffen nutzen, berichtet ein Sprecher des Duft- und Aromaherstellers Symrise. Bei Continental sind die Beschäftigten grundsätzlich angehalten, Meetings, die keine physische Präsenz erfordern, virtuell durchzuführen.

Zwar betonen zum Beispiel Adidas, MTU Aero Engines, Sartorius und BASF, dass bestimmte Dienstreisen auch mit dem Flugzeug unerlässlich seien. „Wir gehen davon aus, dass die Notwendigkeit für Geschäftsreisen weiterhin besteht“, sagte ein Sprecher des Triebwerksherstellers MTU. Wo ein vollwertiger virtueller Ersatz zur Verfügung steht, werde man aber diese Alternativen nutzen.

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Mehr und bessere virtuelle Besprechungsmöglichkeiten und die Digitalisierung von Prozessen würden dazu beitragen, dass sich das Dienstreiseaufkommen gegenüber 2019 weiter verringert hat, erklärte eine Sprecherin von Adidas. Beiersdorf baut diese Möglichkeit derzeit gezielt aus. Der neue Campus des Nivea-Herstellers in Hamburg-Eimsbüttel unterstütze mithilfe von digitaler Infrastruktur hybrides Arbeiten, sagte ein Sprecher.

Trend 2: Weniger Flugreisen – vor allem im Inland

Viele Unternehmen nehmen vor allem Flugreisen ins Visier. Zwischen 2019 und 2022 habe sich die Zahl der Flüge um 69 Prozent reduziert, berichtet zum Beispiel die Allianz. BASF fährt den Anteil, den Flüge an den Dienstreisen insgesamt haben, seit einiger Zeit herunter – „mit Blick auf unsere Kostenvorgaben und als Beitrag zur Erreichung unserer CO2-Ziele“.

Auch BMW registriert weniger Flugbuchungen. Symrise beziffert das Minus auf rund 30 Prozent, die Deutsche Bank nennt einen Wert von 27,6 Prozent. Alle Unternehmen weisen ihre Angestellten während der Reisebuchung auf Alternativen zum Flugzeug hin. Das gilt vor allem für kürzere und innerdeutsche Strecken. Bei der Allianz darf die Belegschaft zum Beispiel Flüge zwischen München und Frankfurt gar nicht mehr buchen.

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Wer bei BMW von München nach Berlin muss, dem wird eindringlich gezeigt, dass die Bahn eine gute Alternative ist. Diese sei optional buchbar und werde auch deutlich öfter nachgefragt, berichtet ein Sprecher.

Bayer empfiehlt per Dienstreiserichtlinie, auf der stark frequentierten Strecke zwischen dem Rheinland und Berlin bevorzugt die Bahn zu nutzen. In mehr als 80 Prozent der Fälle würden sich Reisende an diese Vorgabe halten, erklärte ein Sprecher. „Daher haben wir uns entschieden, dieses Experiment auf weitere Strecken in Deutschland und im Ausland auszuweiten. In China gilt dies beispielsweise analog für die Verbindung Peking-Shanghai.“

Trend 3: Termine werden gebündelt

Ist eine Flugreise dann doch nicht zu vermeiden, versuchen die Mitarbeitenden, Termine zu verbinden. „Insgesamt dauern die Dienstreisen daher länger, während ihre Frequenz gesunken ist. So nutzen unsere Mitarbeitenden Geschäftsreisen effizienter“, sagte ein Sprecher des Laborausrüsters Sartorius.

Aktuelle Daten von Airplus belegen den Trend. Danach dauerten Dienstreisen im ersten Halbjahr 2023 im Schnitt 5,8 Tage, im gleichen Zeitraum 2019 waren es nur fünf Tage. Gleichzeitig sank der Anteil eintägiger Reisen auf 7,1 Prozent. In der ersten Jahreshälfte 2019 lag dieser noch bei 16,5 Prozent.

Nicht nur die Vorgaben in den Reiserichtlinien führen dabei zu einem geänderten Verhalten. Viele Unternehmen berichten davon, dass die Belegschaft von sich aus anders verreist als früher. So erklärte der Sprecher von Bayer: „Ein Umdenken setzt auch bei der Wahl der Kabinenklasse auf Langstreckenflügen, der Größe und Motorisierung des Mietwagens und in weiteren Aspekten des Mobilitätsverhaltens ein.“

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