Generaldebatte des Bundestags: Scholz fordert nationale Kraftanstrengung

Berlin Die schwarze Ledermappe, in der sich sein 17-seitiges Redemanuskript befindet, ignoriert Olaf Scholz am Mittwochmorgen zunächst. Minutenlang musste sich der Kanzler bei der Generaldebatte zum Bundeshaushalt von Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) gerade anhören, was seine Regierung alles verbocke. Während Merz’ Rede rollt der Kanzler auf der Regierungsbank mit seinem Stuhl vor und zurück, so, als könne er es kaum erwarten aufzustehen, um endlich zurückzuschlagen.

Als Scholz ans Pult tritt, immer noch mit Augenklappe gezeichnet von seinem Sturz beim Joggen, greift er Merz direkt an. Dieser habe mit seiner Rede den demokratischen Konsens im Parlament zum Bundeswehr-Sondervermögen aufgekündigt. Seine Vorwürfe gegen die Haushaltspläne der Regierung würden nicht dabei helfen, das Land zu einen. „Der Ernst der Lage liegt nicht in Rhetorik und Popanz“, sagt Scholz.

Einmal in Fahrt, macht Scholz gleich weiter. Im Übrigen sei es die CDU gewesen, die die Bundeswehr kaputtgespart habe. „Das sollte niemand vergessen.“

Mit seiner zuvor geäußerten Kritik an der „Rente mit 63“ offenbare Merz zudem einen „merkwürdigen Leistungsbegriff“. Leistungsträger in der Gesellschaft seien für den CDU-Chef offenbar nur die mit einem Gehalt von mindestens 120.000 Euro im Jahr. „Das ist nicht gerecht gegenüber den fleißigen Bürgern dieses Landes“, kritisiert Scholz.

Erst nachdem der Kanzler all das losgeworden ist, blickt er in sein Redemanuskript, schlägt versöhnlichere Töne an – und unterbreitet Merz ein überraschendes Angebot: Der Kanzler schlägt dem Oppositionsführer einen „Deutschland-Pakt“ vor, um den Stillstand im Land aufzubrechen. „Die Bürgerinnen und Bürger sind diesen Stillstand leid. Und ich bin es auch“, sagt Scholz. „Also lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln.“ Es brauche jetzt einen „nationalen Kraftakt“.

In einem zeitgleich vom Kanzleramt verschickten Papier listet Scholz auf, worin dieser Deutschland-Pakt bestehen soll: Entbürokratisierung, Stärkung von Investitionen und Fachkräftegewinnung. Er wolle nun am „Maschinenraum“ des Landes arbeiten, kündigt Scholz an. „Das Drehen an Hunderten von Reglern, um dafür zu sorgen, dass der Tanker Deutschland auf Touren kommt.“

Merz bezeichnet Bundesregierung als das „eigentliche Problem Deutschlands“

Merz hatte Scholz in seiner Rede zuvor vorgehalten, die Koalition rede zwar über Bürokratieabbau, tue aber das Gegenteil. Mit ihren Plänen für eine Kindergrundsicherung und dem Bürgergeld wolle die Ampel einen „bevormundenden, alles regulierenden und paternalistischen Staat“ aufbauen.

Die Regierung wolle „Lufthoheit über den Kinderbetten, über den Familien, über dieser Gesellschaft“, um „sie nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten zu können“. Die Ampelregierung sei das „eigentliche Problem Deutschlands“.

Auch die Spannungen innerhalb der Koalition, vor allem zwischen Grünen und Liberalen, machte Merz zum Thema. Die Grünen-Riege habe bei der Haushaltsrede von Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Vortag demonstrativ die Regierungsbank verlassen. „Spätestens seit gestern haben wir also zwei Oppositionsführer in Deutschland, einen im Parlament und einen in der Regierung“, sagte Merz. „Auf gute Zusammenarbeit, Herr Lindner!“

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Merz warf Scholz auch vor, trotz des 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr mit ihrem Etatentwurf für 2024 der „fundamentalen Herausforderung einer tatsächlichen Zeitenwende“ nicht gerecht zu werden.

Opposition kritisiert Politik der Ampel-Regierung

Nicht nur Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sei der Verlierer der Haushaltsverhandlungen, sondern vor allem die Soldatinnen und Soldaten. „Sie bekommen nichts“, sagte Merz.

Scholz will das so nicht stehen lassen. Er „garantiere“ das Zwei-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben. Der Kanzler verweist auch darauf, dass die Bundesregierung Rekord-Investitionen plane.

So investiere der Bund im nächsten Jahr mehr als 100 Milliarden Euro in den grünen Umbau der Wirtschaft und die Infrastruktur. „Das ist das größte Investitionsprogramm in so kurzer Zeit seit der Dampflok.“ Auch werde die Bundesregierung weiter große Industrieansiedlungen etwa im Chip- und Batteriesektor fördern.

Scholz kritisiert Steuerpläne der CDU

Ein neues Konjunkturprogramm lehnt Scholz trotz der tristen Konjunkturlage ausdrücklich ab. „Ich halte nichts von einem schuldenfinanzierten Strohfeuer namens Konjunkturprogramm, das die Inflationsbekämpfung der EZB konterkarieren würde.“

Friedrich Merz

Oppositionsführer Merz warf der Ampelregierung vor, die Bundeswehr trotz des 100-Milliarden-Sondervermögens nicht ausreichend zu finanzieren.

(Foto: AP)

In seiner Rede unterstreicht Scholz nicht nur seine eigenen Erfolge, sondern stichelt immer wieder gegen die CDU. Die Steuersenkungspläne der Union? Unbezahlbar. Die Innenpolitik? Da arbeite Nancy Faeser (SPD) jetzt ab, „was Innenminister der Union über Jahre nicht zustande gebracht haben“.

Die Union rechnet dafür im Nachgang des Rededuells im Bundestag mit Scholz’ Deutschland-Pakt ab. Der Vorschlag knüpft an einen ohnehin schon geplanten „Pakt zur Beschleunigung“ an, den Bund und Länder seit vergangenem Jahr aushandeln und durch den sie den Bau insbesondere von Infrastrukturprojekten beschleunigen wollen.

In dem vom Kanzleramt verteilten Papier findet sich zudem eine Reihe von Gesetzen, die schon beschlossen und die auch bereits Teil des „Zehn-Punkte-Plans“ für den Wirtschaftsstandort Deutschland waren, den die Bundesregierung vergangene Woche auf ihrer Kabinettssitzung auf Schloss Meseberg vorgelegt hat.

Keine Unterstützung für Scholz von AfD und Linke

„Ich fühle mich offen gesprochen veräppelt“, sagte etwa NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) der „Rheinischen Post“. „Der sogenannte Deutschland-Pakt ist ein reiner PR-Gag für Projekte, die ohnehin schon in der Pipeline sind und die wir als Länder schon seit Langem fordern.“

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Seit zehn Monaten lägen Ideen der Länder zur Planungsbeschleunigung auf dem Tisch. „Monatelang kam keine Reaktion aus dem Kanzleramt. Der Bund hat wertvolle Zeit vertrödelt – zulasten des Wirtschaftsstandorts Deutschland“, sagte Wüst.

Auch von den beiden kleinen Oppositionsparteien darf Scholz erwartungsgemäß keine Unterstützung erwarten. Die Fraktionschefin der Linken, Amira Mohamed Ali, warf der Ampel in der Generaldebatte ein „grottenschlechtes Regierungshandeln“ vor. AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla forderte den Rücktritt des Bundeskanzlers und Neuwahlen.

Die AfD hatte sich Scholz zuvor schon zu Beginn seiner Rede vorgenommen. „Die allermeisten Bürgerinnen und Bürger wissen, dass die selbst ernannte Alternative in Wahrheit ein Abbruchkommando ist“, sagte Scholz. „Ein Abbruchkommando für unser Land.“ Zumindest in dieser Frage herrscht zwischen Ampelregierung und der CDU Einigkeit.

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