„Gaspreisbremse muss zügig umgesetzt werden“

Martin Krengel

Der Vorstandschef des Hygienepapierherstellers Wepa konnte mehr als zehn Prozent des Gasverbrauchs einsparen.


(Foto: Dirk Hoppe für Handelsblatt)

Düsseldorf Die Herstellung von Toiletten- und anderen Hygienepapieren ist energieintensiv, die hohen Gas- und Strompreise infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine belasten die Branche enorm. Der deutsche Hersteller Hakle musste Anfang September gar Insolvenz in Eigenverwaltung beantragen. Die Begründung: Die Staatshilfe sei nicht rechtzeitig gekommen.

Martin Krengel führt seit über 20 Jahren den deutlich größeren Konkurrenten Wepa aus Arnsberg in Nordrhein-Westfalen, die Nummer drei in Europa hinter der schwedischen Essity und der italienischen Sofidel.

Seine Hoffnungen setzt der Jurist vor allem auf die Gaspreisbremse der Bundesregierung: „Der 1. Januar muss sitzen. Sie muss schnell umgesetzt werden und sofort greifen“, sagte er im Gespräch mit dem Handelsblatt. In Frankreich seien „die Energiekosten pro Tonne Hygienepapier um 250 Euro niedriger als hierzulande“. Daher fordert Krengel: „Auch die Strompreisbremse muss kommen.“

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Herr Krengel, vor wenigen Wochen musste Ihr Konkurrent Hakle Insolvenz anmelden. Wie schlimm steht es um Ihre Branche?
Zum Fall unseres Wettbewerbers möchte ich mich nicht äußern. Für die energieintensive Branche insgesamt sind die Energieversorgung und die hohen Energiekosten sowie die große Volatilität in den Märkten nach wie vor eine enorme Herausforderung.

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Wie sieht es konkret bei Wepa aus?
55 Prozent unseres gesamten Energieverbrauchs ist prozessbedingt Gas. Der Preis ist innerhalb des vergangenen Jahres um das Zehnfache gestiegen. Wir setzen – nicht erst seit der Krise – alles daran, den Verbrauch zu senken, und haben in der Vergangenheit eine stetige Optimierung erreicht. Unseren Gasverbrauch konnten wir bisher um über zehn Prozent reduzieren.

Und wo kommt die restliche Energie her?
Vorrangig aus dem Strombereich. Für den bewegen sich die Kosten ebenfalls auf einem nie da gewesenen Höchststand.

Haben Sie langfristige Lieferverträge oder kaufen Sie Gas am Spotmarkt?
Wir haben langfristige Lieferverträge zur Absicherung unserer Produktion. Wir sind allerdings von den Marktpreisen abhängig, da die Mengen nur teilweise und temporär über Hedging abgesichert sind.

„In Frankreich sind die Energiekosten niedriger“

Vielen Unternehmen werden zum Jahresende die Stromverträge gekündigt, Ihnen auch?
Nein, wir sind davon nicht betroffen. Aber ich kenne Unternehmen, die eine Kündigung ihres Stromversorgers erhalten haben.

Haben Sie auch Öltanks angeschafft?
An unserem Stammsitz in Arnsberg hatten wir noch Öltanks, in anderen Werken setzen wir Leihkessel ein und nutzen dort, wo es möglich ist, leichtes Heizöl. In unserem polnischen Werk haben wir auf Kohle umgestellt. Das sind vorübergehende Maßnahmen, um den Gasverbrauch zu reduzieren. So können wir die Versorgungssicherheit mit Hygienepapieren aufrechterhalten.

Sie haben Produktionsstätten in ganz Europa. Wo produzieren Sie gerade am günstigsten?
Wir produzieren weiterhin und gern in ganz Europa. Aber: Es gibt da erhebliche Unterschiede.

Nennen Sie mal ein konkretes Beispiel?
In Frankreich sind die Energiekosten zum Beispiel pro Tonne Hygienepapier um 250 Euro niedriger als hierzulande.

Und welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Wir produzieren normalerweise mit unseren 13 europäischen Werken in der Region, wo wir unsere Produkte auch absetzen, weil das kundenorientiert und ökonomisch und ökologisch sinnvoll ist. Dies müssen wir zurzeit aber aufgrund der regional unterschiedlichen Energiekosten stetig überprüfen.

„Während großer Preisspitzen würden wir mit Verlust produzieren“

Gibt es jetzt also Ausnahmen?
Ja, aktuell beliefern wir zum Beispiel teilweise andere Regionen aus Frankreich. Denn in der Abwägung sind jetzt die höheren Logistikkosten beim Transport aus Frankreich in Kauf zu nehmen aufgrund der deutlich höheren Energiekosten hierzulande. Deshalb ist es so wichtig, dass die Energiekosten in Deutschland wieder auf ein wirtschaftlich verträgliches Niveau sinken.

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Die Gaspreisbremse für die Industrie soll nach den Plänen der Kommission am 1. Januar 2023 starten. Dann wird der Preis für die ersten 70 Prozent gedeckelt, hilft Ihnen das?
Die Gaspreisbremse hilft. Aber: Der 1. Januar muss sitzen. Sie muss schnell umgesetzt werden und sofort greifen. Uns wäre ein früherer Start und ein hundertprozentiger Ausgleich natürlich lieber gewesen. Aber die Einsparanreize für Gas über die 30 Prozent Marktpreisniveauregelung erreichen zu wollen, ist nachvollziehbar.

Die geplante Strompreisbremse soll ja ähnlich funktionieren, allerdings ist die Finanzierung da nicht so klar.
Die Strompreisbremse muss kommen und wie die Gaspreisbremse Preissicherheit und -planbarkeit sowie wirtschaftlich vertretbare Preise bringen.

Mussten Sie bereits Papiermaschinen abstellen?
Ja, zeitweise in Italien und Deutschland. Weil wir während extremer Preisspitzen nur mit einem großen Verlust hätten produzieren können.

Haben Sie einen Antrag für das Energiekostendämpfungsprogramm gestellt, das die energieintensiven Unternehmen punktuell unterstützt?
Wie viele andere Unternehmen aus energieintensiven Branchen haben auch wir einen Antrag gestellt, aber noch keine Rückmeldung erhalten

Was kann das Programm bringen?
Das Energiekostendämpfungsprogramm ist eine Unterstützung für die Liquidität, die aber die hohen Preise nicht auffangen kann. Nur die Gas- und die Strompreisbremse kann jetzt wirkungsvoll helfen.

Wie viel Gas können Sie perspektivisch ersetzen?
Gas ist für die Hygienepapierherstellung heute prozessbedingt nur teilweise zu ersetzen. Am Ersatz arbeiten wir mit unseren Energietransformationsprojekten an all unseren 13 Standorten. Zum Beispiel dadurch, dass wir ein weiteres Biomasse- sowie ein Biogaskraftwerk planen und verstärkt auf Elektrifizierung setzen.

Kontroverse Verhandlungen mit dem Handel

Was heißt das konkret?
Wir haben mehr als 100 Energiesparprojekte aufgesetzt. Wir planen in den nächsten Jahren weit über 100 Millionen Euro in Energieeffizienzthemen zu investieren. Nur mit wirtschaftlich verträglichen Energiepreisen ist es uns möglich, den Transformationsprozess fortzusetzen und in eine noch nachhaltigere Zukunft zu investieren. Deshalb ist es so wichtig, dass dafür die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Ende August sorgten Sie sich öffentlich um die Versorgungssicherheit beim Toilettenpapier. Droht tatsächlich eine Knappheit?
Hätte es ein Gasimport-Embargo gegeben, dann wäre es zu einem Versorgungsengpass gekommen. Seitdem hat sich viel getan. Aktuell ist die Gasversorgung noch gegeben und notwendige Preiserhöhungen sind im Markt zumindest zum Teil für uns umsetzbar gewesen. Solange das so ist, droht kein Engpass beim Toilettenpapier.

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Derzeit streiten vor allem viele mittelständische Hersteller mit dem Handel. Sie auch?
Nein, wir streiten nicht. Die Verhandlungen sind aber verständlicherweise sehr kontrovers. Wir stellen unsere Kostensituation mit den steigenden Kosten für Energie, Rohstoffe, Verpackungen und Logistik sehr offen und transparent dar. Der Handel und wir arbeiten partnerschaftlich zusammen, um die Versorgungssicherheit für den Verbraucher sicherzustellen.

Und: Gibt der Handel auch genug?
Bislang haben wir Lösungen gefunden. Klar ist aber auch: Trotz der, wenn auch mit zeitlichen Verzögerungen erzielten, Preiserhöhungen haben wir die für uns enorm gestiegenen Kosten noch nicht ausgleichen können.

Aktuell verlieren Sie also Geld?
Die Lage bleibt aus den genannten Gründen weiter angespannt. Wichtig ist aber auch zu verstehen, dass man immer mehr die Flexibilität, in wichtige Transformationsprojekte für die Zukunft investieren zu können, verliert.

„Ich bin seit 37 Jahren im Geschäft und eine solche Situation hatten wir noch nie“

Das heißt, das können Sie nicht ewig so weitermachen?
Das stimmt. Ich bin seit 37 Jahren im Geschäft und eine solche Situation hatten wir noch nie.

Was ist derzeit Ihre wichtigste Aufgabe?
Klares Energiekrisenmanagement zu betreiben. Uns aber gleichzeitig nicht von unserer Strategie abbringen zu lassen, der nachhaltigste Hygienepapierhersteller Europas zu werden.

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck von den Grünen wurde zunächst von den Unternehmern gefeiert und dann beschimpft. Wie schauen Sie auf seine Bilanz nach knapp einem Jahr?
Die Bundesregierung managt diese komplexe Krise und versucht, die Zukunft zu gestalten. Herr Habeck hat unter anderem erreicht, dass es kein Gasimport-Embargo gibt, und hat mit dem Osterpaket den regulativen Rahmen gesetzt, erneuerbare Energien schneller auszubauen.

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Ist das alles?
Die Umsetzung dieser Themen wird der entscheidende Punkt sein. Meines Erachtens nach ist erkannt worden, dass es nicht reicht, sich ehrgeizige Ziele zu setzen, sondern die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen müssen mitgenommen werden, wenn die Transformation hin zu erneuerbaren Energien zeitnah gelingen soll.

Bund und Länder sind uneinig bei Kosten von Energie-Entlastung

Wie blicken Sie auf das Machtwort des Kanzlers, alle drei Kernkraftwerke bis April laufen zu lassen?
Ich bin froh, dass der Streit in der Koalition beigelegt wurde. Die Entscheidung ist in der jetzigen Situation richtig.

Was sollte Herr Habeck jetzt tun?
Die Strompreisbremse umsetzen, damit Unternehmen zusätzlich zur Gaspreisbremse operative Finanzierungskraft und Planungssicherheit erhalten. Wichtig wird auch sein, dass die Zielsetzungen des Osterpakets umgesetzt werden.

„Es gab noch nie so viel konstruktiven Austausch zwischen Industrie und Politik“

Was heißt das konkret?
Dazu gehören insbesondere schnellere Genehmigungsverfahren, zum Beispiel für Windkraft- und Photovoltaikanlagen.

Sind Sie zufrieden mit den Signalen aus Berlin?
Es gab noch nie so viel konstruktiven Austausch zwischen Industrie und Politik, im Bund und in den Ländern.

Ein Familienunternehmer sagte kürzlich, er sei froh, dass er keine Papierfabriken mehr in seinem Portfolio hat. Für wie enkelfähig halten Sie Ihre Industrie?
Für sehr enkelfähig. Voraussetzung ist allerdings, dass wir den Industriestandort Deutschland auch für die energieintensiven Industrien zukunfts- und wettbewerbsfähig halten. Dann werden wir als Papierindustrie in Europa die Nummer eins bleiben.

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Was macht Sie so optimistisch?
Wir als Wepa stellen nachhaltige Produkte her – europaweit mit einem Recyclingfaseranteil von knapp 40 Prozent. Den Anteil an Recyclingfasern sowie alternativen nachhaltigen Frischfasern werden wir bis 2030 auf 60 Prozent erhöhen. Damit wollen wir den ökologischen Fußabdruck unserer Produkte bis 2030 um 25 Prozent senken. Unsere Hygienepapiere sind unverzichtbar und wir optimieren die Nachhaltigkeitsaspekte immer mehr. Die Enkelfähigkeit stellen wir damit stetig unter Beweis.

Toilettenpapier

Hierzulande werden im Schnitt 134 Rollen pro Person verbraucht.

Die Schwarz-Gruppe, Europas größter Einzelhändler mit 157 Milliarden Euro Umsatz, produziert wichtige Massengüter des täglichen Bedarfs zunehmend selbst. Sehen Sie Ihr Geschäftsmodell als Lieferant für Handelsmarken gefährdet?
Nein. Wir haben über 70 Jahre eine besondere Expertise in der Hygienepapierherstellung aufgebaut. Ich bin überzeugt, dass wir ein vertrauensvoller Partner für den Handel sind und die Zusammenarbeit durch viele verschiedene Aspekte sinnvoll ist und bleibt.

Das Gespenst der Deindustrialisierung Deutschlands geht um. Bauen auch Sie die nächste Fabrik nicht mehr in Deutschland?
Das gilt es zu verhindern, indem die genannten Rahmenbedingungen auch für energieintensive Unternehmen geschaffen werden. Wir werden unseren Teil dazu beitragen. In Deutschland haben wir bereits fünf Werke und wir stehen auch weiterhin zum Produktionsstandort Deutschland.

Die Energie- und Stromkosten müssten langfristig aber sinken, damit Sie hier wieder mit Gewinn produzieren?
Ja, und das werden wir, wenn die eben besprochenen kurzfristigen Mittel Wirkung zeigen und wir die Energiesicherheit mit aller Kraft vorantreiben. Klappt das nicht, würde das zu einer Deindustrialisierung und zu einem deutlichen Wohlstandsverlust führen.

Herr Krengel, vielen Dank für das Interview.

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