Europa ist größer Abnehmer von russischem Flüssiggas

LNG-Terminal in Spanien

Flüssiggas ersetzt einen Teil der Gaslieferungen, die Europa bis zum vergangenen Jahr über Pipelines aus Russland bezog.

(Foto: dpa)

Brüssel Trotz der Bemühungen, unabhängig von russischen Energie-Lieferungen zu werden, importiert die EU mehr Flüssiggas (LNG) aus Russland als je zuvor. Zwischen Januar und Juli 2023 haben die EU-Staaten zusammen 22 Millionen Kubikmeter russisches LNG gekauft. Das entspricht einer Zunahme von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, in dem die EU 15 Millionen Kubikmeter LNG aus Russland bezog. Flüssiggas ist stark verdichtet. Ein Kubikmeter LNG ergibt mehr als 600 Kubikmeter Erdgas.

Das zeigt eine Studie der auf den Rohstoffsektor spezialisierten NGO Global Witness, die am Mittwoch veröffentlicht wurde und sich auf Daten des Branchendienstleisters Kpler stützt. Russland erziele damit Einnahmen von mehr als fünf Milliarden Euro, rechnet Global Witness vor – Geld, das dafür genutzt werden könne, den Angriffskrieg gegen die Ukraine fortzusetzen. 

Die Zahlen verdeutlichen, wie schwer sich die Europäer damit tun, sich aus der Energie-Abhängigkeit von Russland zu lösen und den Kreml von Devisen abzuschneiden. Die EU importiert inzwischen mehr als die Hälfte des russischen LNG-Angebots. Flüssiggas ersetzt damit einen Teil der Gaslieferungen, die Europa bis zum vergangenen Jahr über Pipelines aus Russland bezog.

Russland ist nach den USA der Studie zufolge Europas zweitgrößter LNG-Lieferant. Dabei hatte EU-Energiekommissarin Kadri Simson die Mitgliedstaaten und Unternehmen schon im März aufgerufen, auf russisches LNG zu verzichten. Hauptimporteure sind nach Angaben von Global Witness die Energieunternehmen Shell und Total. 

Die wichtigsten Anlaufstellen für Schiffe mit russischem LNG sind Häfen in Spanien und Belgien. Unter den größten Importstaaten stehen Spanien und Belgien an zweiter beziehungsweise dritter Stelle – hinter China, das 20 Prozent von Russlands Flüssiggas kauft.

Energie-Unabhängigkeit von Russland erst ab 2027

„Der Kauf von russischem Gas hat die gleichen Auswirkungen wie der Kauf von russischem Öl“, sagte Jonathan Noronha-Gant, Energieexperte von Global Witness. „Beide finanzieren den Krieg in der Ukraine, und jeder Euro bedeutet mehr Blutvergießen.“ Er kritisierte: „Während die europäischen Länder den Krieg verurteilen, stecken sie Geld in Putins Taschen.“

Während die europäischen Länder den Krieg verurteilen, stecken sie Geld in Putins Taschen. Jonathan Noronha-Gant, Energieexperte von Global Witness

Die EU hat Ende vergangenen Jahres ein Importverbot für russisches Öl in Kraft gesetzt. Auch Kohleeinfuhren aus Russland haben die Europäer gestoppt. Gasgeschäfte sind dagegen weiter erlaubt – aus Sorge, die Energiekrise des vergangenen Jahres könne sich wiederholen. Erst 2027 wollen die Europäer komplett unabhängig von russischen Energielieferungen werden.

Dem laufenden Jahr kommt bei den Bemühungen besondere Bedeutung zu: Es ist das erste Jahr, in dem die EU-Staaten russisches Pipelinegas komplett ersetzen müssen. Bis zum Sommer 2022 strömte noch Gas über Leitungen wie Nord Stream und Nord Stream 2 in die EU und half, die Speicher für den Winter zu füllen.

Dann stellte der Kreml die Lieferungen ein, um die Europäer unter Druck zu setzen und sie von ihrer Unterstützung für die Ukraine abzubringen. 

>> Lesen Sie hier: Wie russischer Diesel trotz Embargo nach Europa gelangt

Im September 2022 wurden die Nord-Stream-Pipelines schließlich von Explosionen zerrissen. Der Generalbundesanwalt ermittelt und geht der Spur eines ukrainischen Taucherkommandos nach.

Branchenbeobachter erwarten jedoch nicht, dass in den kommenden Monaten erneut Energieengpässe in Europa drohen: Die europäischen Gasspeicher sind zu 92 Prozent gefüllt. Auch die Eintrübung der chinesischen Konjunktur nimmt Druck vom Markt.

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