EU-Ratspräsident wirft Russland Massaker in Butscha vor

Butscha

Fast 300 Zivilisten wurden mutmaßlich entlang der Straße in Butscha, einer Pendlerstadt außerhalb der Hauptstadt, getötet.

(Foto: dpa)

Düsseldorf In Butscha waren nach dem Rückzug der russischen Armee zahlreiche Tote gefunden worden. Auch auf den Straßen lagen Leichen. Nach Angaben der Behörden wurden inzwischen 280 Menschen in Massengräbern beerdigt. EU-Ratspräsident Charles Michel hat Russland für Gräueltaten in der Umgebung der ukrainischen Hauptstadt Kiew verantwortlich gemacht. Der belgische Politiker warf den russischen Truppen am Sonntag im Internetdienst Twitter vor, in der Vorortgemeinde Butscha ein Massaker angerichtet zu haben.

Die EU werde beim Sammeln von Beweisen helfen, um die Verantwortlichen vor internationale Gerichte stellen zu können. Zugleich kündigte er weitere EU-Sanktionen gegen Russland und Unterstützung für die Ukraine an.

Zuvor warf Kiews Bürgermeister Klitschko Russland Völkermord vor. „Das, was in Butscha und anderen Vororten von Kiew passiert ist, kann man nur als Völkermord bezeichnen“, sagte der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko am Sonntag der „Bild“. Zugleich machte er Russlands Präsident Wladimir Putin persönlich dafür verantwortlich. „Es sind grausame Kriegsverbrechen, die Putin dort zu verantworten hat. Zivilisten, die mit verbundenen Händen erschossen wurden.“

Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak teilte im Kurznachrichtendienst Twitter ein Foto, auf dem erschossene Männer zu sehen waren. Einem der Männer waren die Hände auf dem Rücken gefesselt. Die Echtheit konnte nicht unabhängig geprüft werden. Auf einem anderen Foto waren Leichen auf einer Straße zu sehen. „Die Hölle des 21. Jahrhunderts“, kommentierte Podoljak.

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Klitschko forderte: „Für die ganze Welt und insbesondere Deutschland kann es nur eine Konsequenz geben: Kein Cent darf mehr nach Russland gehen, das ist blutiges Geld, mit dem Menschen abgeschlachtet werden.“ Ein Embargo auf russisches Gas und Öl müsse sofort kommen. Das russische Verteidigungsministerium in Moskau nahm zu den Vorwürfen zunächst nicht Stellung.Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak teilte auf Twitter ein Foto, auf dem erschossene Männer zu sehen waren. Einem waren die Hände auf dem Rücken gefesselt. Die Echtheit konnte nicht unabhängig geprüft werden.

Auch die britische Politkerin Liz Truss äußerte sich zu den Anschuldigungen. Die mutmaßliche Angriffe auf Zivilisten müssen der Außenministerin zufolge als Kriegsverbrechen untersucht werden. Großbritannien würde einen solchen Schritt durch den Internationalen Strafgerichtshof unterstützen.

„Mit dem erzwungenen Rückzug russischer Truppen gibt es immer mehr Beweise für entsetzliche Taten der Invasoren in Orten wie Irpin oder Butscha“, teilt Truss mit. „Willkürliche Angriffe auf unschuldige Zivilisten während der unrechtmäßigen und ungerechtfertigten Invasion Russland in die Ukraine muss als Kriegsverbrechen untersucht werden.“ Russland dementiert, Zivilsten anzugreifen. Es bezeichnet den Einmarsch in die Ukraine als militärischen Sondereinsatz.

Angriffe auf Mariupol und Odessa

In der Ukraine wurden am frühen Sonntagmorgen Angriffe auf die Hafenstadt Mariupol im Westen des Landes gemeldet. Mehrere Raketen seien eingeschlagen, teilte die Stadtverwaltung mit. Es seien Feuer ausgebrochen.

Zudem hat Russland nach eigenen Angaben Ziele nahe der ukrainischen Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer angegriffen. Von Schiffen und Flugzeugen aus seien Raketen auf eine Ölraffinerie und drei Treibstofflager abgefeuert worden, teilte das Verteidigungsministerium am Sonntag in Moskau mit.

Der Stadtrat der Metropole mit etwa einer Million Einwohnern hatte zuvor schon von Bränden im Stadtgebiet berichtet. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig prüfen.

Im Osten des Landes bereitete sich das Internationale Rote Kreuz (IKRK) auf einen erneuten Evakuierungsversuch von Einwohnern in Mariupol vor. Ein Hilfskonvoi war am Freitag auf dem Weg in die Hafenstadt umgekehrt, da die Lage als zu gefährlich eingeschätzt wurde. Russland machte das IKRK für die Verzögerungen verantwortlich.

Rauchsäulen am Sonntagmorgen über Odessa

Intensivere Angriffe im Süden und Osten.


(Foto: IMAGO/Agencia EFE)

Die Eroberung von Mariupol ist ein wichtiges strategisches Ziel Russlands, um den Donbass unter eigene Kontrolle zu bringen. Die russische Armee hat als neuen Schwerpunkt die vollständige Einnahme der südöstlichen Region verkündet. Dafür sollen die Vorstöße auf die Hauptstadt Kiew zunächst eingestellt werden.

Ukraines Präsident Wolodimir Selenski rechnet deswegen nunmehr mit russischen Angriffen im Donbass und im Süden des Landes. „Was ist das Ziel der russischen Armee? Sie wollen sowohl den Donbass als auch den Süden der Ukraine erobern“, sagte Selenski in einer Videobotschaft in der Nacht zum Sonntag. „Und was ist unser Ziel? Wir wollen uns, unsere Freiheit, unser Land und unsere Menschen schützen.“

Um den russischen Plänen entgegenzuwirken, werde die Abwehr der ukrainischen Streitkräfte in östlicher Richtung verstärkt. „Und das wohl wissend, dass der Feind Reserven hat, um den Druck zu verstärken.“ Zugleich verfolgten ukrainische Einheiten die nördlich von Kiew und bei Tschernihiw zurückweichenden russischen Truppen, sagte Selenski. Auch sorge der Kampf um die „heroische“ Hafenstadt Mariupol dafür, dass große russische Verbände gebunden seien.

Der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte sagte unterdessen, dass die Intensität der russischen Luft- und Raketenangriffe abnehme. Zudem ziehe Moskau weiterhin Einheiten aus dem Norden der Ukraine ab. In einem Facebook-Post schrieb er, dass die russischen Streitkräfte Minen auf Straßen und in einigen Siedlungen verlegten.

Unterschiedliche Signale zu möglichem Treffen von Selenski und Putin

Nach wochenlangen Verhandlungen zwischen Vertretern Russlands und der Ukraine zur Beendigung des Kriegs zeichnen sich aus Sicht der Regierung in Kiew erste positive Signale ab. Mit Blick auf den aktuellen Stand sprach der ukrainische Chefunterhändler David Arachamija am Samstagabend im Staatsfernsehen von einem möglicherweise baldigen Treffen des ukrainischen Präsidenten Selenski mit Kremlchef Wladimir Putin.

Die Entwürfe der entsprechenden Dokumente seien bereits so weit fortgeschritten, dass ein „direktes Gespräch der beiden Staatschefs“ möglich sei. Über den aktuellen Stand der Verhandlungen machte Arachamija jedoch keine näheren Angaben.

„Daher ist unsere Aufgabe zurzeit, die endgültige Fassung der Dokumente und noch offener Fragen auszuarbeiten, um ein eventuelles Treffen der Präsidenten zu ermöglichen“, sagte Arachamija. Sollte das Treffen zustandekommen, werde es wohl in der Türkei abgehalten, entweder in Ankara oder Istanbul.

Russland hat Hoffnungen der Ukraine auf ein baldiges Spitzentreffen der beiden Präsidenten Wladimir Putin und Wolodimir Selenski zur Beendigung des Kriegs gedämpft. Es gebe noch viel zu tun, sagte der russische Verhandlungsführer Wladimir Medinski am Sonntag der Nachrichtenagentur Interfax. „Ich teile leider nicht den Optimismus von Arachamija.“

Selenski hat in den vergangenen Wochen wiederholt ein direktes Gespräch mit Putin gefordert, um den von Moskau am 24. Februar begonnenen Angriffskrieg zu beenden. Der Kreml lehnt dies bisher mit dem Hinweis darauf ab, dass Putin eine konkrete Grundlage – im Sinne abgeschlossener Vorverhandlungen – für diese Zusammenkunft fordert.

Ukrainischer Präsident Selenski

Wolodimir Selenski sieht einen Strategiewechsel der russischen Armee.

(Foto: dpa)

Russisches Militär will Fluchtkorridore für Ausländer öffnen

Das russische Militär kündigte für Sonntag derweil die Öffnung von Fluchtkorridoren für Ausländer in den Hafenstädten Mariupol und Berdjansk am Asowschen Meer an. Wie Generalmajor Michail Misinzew in der Nacht nach Angaben der Agentur Tass sagte, könnten Ausländer die schwer umkämpfte Hafenstadt Mariupol in Richtung Berdjansk verlassen.

Auch die in der besetzten Hafenstadt Berdjansk lebenden ausländischen Staatsbürger dürften das Gebiet verlassen – entweder auf dem Landweg über die Krim oder zu den ukrainischen kontrollierten Gebieten. Bei diesen Ausländern handelt es sich überwiegend um Besatzungsmitglieder von Frachtschiffen, die in den beiden Häfen seit Kriegsbeginn blockiert sind. Die ukrainische Führung wurde aufgefordert, die Sicherheit der Fluchtkorridore zu garantieren.

Hunderten Menschen gelang nach Angaben der Regierung in Kiew am Samstag die Flucht aus umkämpften Städten. So hätten 765 Zivilisten mit eigenen Fahrzeugen die Hafenstadt Mariupol im Südosten verlassen, teilte Vize-Regierungschefin Irina Wereschtschuk via Telegram mit. Fast 500 Zivilisten seien aus der Stadt Berdjansk geflohen. Ziel der Menschen aus beiden Städten sei Saporischschja. Zudem seien in Berdjansk zehn Busse gestartet. Am Sonntag solle die Evakuierung dort fortgesetzt werden, sagte Wereschtschuk.

Selenski erhielt vom britischen Premier Boris Johnson die Zusage für weitere Unterstützung im Kampf gegen die russische Armee. „Eine sehr spürbare Unterstützung“, sagte Selenski dazu in der Nacht zum Sonntag. „Wir haben uns über eine neue Unterstützung für die Verteidigung der Ukraine unterhalten, ein neues Paket“, fasste der ukrainische Staatschef das Gespräch mit Johnson zusammen. Details nannte er aber nicht.

Aus der Downing Street verlautete zu dem Telefonat, dass Johnson „Unterstützung für die Verteidigungsbemühungen zugesagt“ habe. „Beide waren sich einig über die Bedeutung weiterer Sanktionen, um den wirtschaftlichen Druck auf (Präsident Wladimir) Putins Kriegsmaschinerie zu erhöhen, solange sich noch russische Truppen auf ukrainischem Gebiet befinden“, zitierte die Agentur PA einen Sprecher der Downing Street.

London hat die Ukraine bereits mit großen Mengen an Waffen unterstützt – überwiegend leichte Panzerabwehrwaffen und Flugabwehrraketen. Daneben hat Kiew aus Großbritannien massive finanzielle Unterstützung erhalten.

Litauen stellt russische Gasimporte ein

Litauen stellte den Import von Erdgas aus Russland nach eigenen Angaben ein. Das Gasnetz des baltischen EU- und Nato-Landes funktioniere seit Monatsbeginn ohne russische Gasimporte, teilte das Energieministerium in Vilnius am Samstagabend mit. Dies werde durch Daten des litauischen Netzbetreibers bestätigt. Daraus gehe demnach hervor, das am 2. April kein Gas über die Verbindungsleitung zwischen Litauen und Belarus importiert wurde.

„Wir sind das erste EU-Land unter den Lieferländern von Gazprom, das unabhängig von russischen Gaslieferungen ist“, wurde Energieminister Dainius Kreivys in der Mitteilung zitiert. Demnach werde der gesamte litauische Gasbedarf nun über das Flüssiggas-Terminal in der Ostsee-Hafenstadt Klaipeda gedeckt.

Litauen hatte die schwimmende Anlage Anfang 2015 in Betrieb genommen, um sich unabhängiger von russischen Gasimporten zu machen. Dort sollen den Angaben zufolge nun jeden Monat drei große Lieferungen verflüssigten Erdgases an der schwimmende Anlage eintreffen.

Weitere aktuelle Berichte zum Krieg:

Flüchtlinge aus Mariupol

Viele Menschen versuchen auf eigene Faust aus der umkämpften Stadt Mariupol zu fliehen.

(Foto: Reuters)

Christian Lindner ist für Gas- und Ölimporte aus Russland

Bundesfinanzminister Christian Lindner spricht sich gegen einen Importstopp von Gas- und Öllieferungen aus Russland aus. „Die Sanktionen sind bereits beispiellos. Sie müssen aber das Putin-Regime treffen und nicht die Stabilität Deutschlands gefährden“, sagt Lindner der „Bild am Sonntag“.

Lindner rechne als Folge des Ukraine-Kriegs mit einem „Wohlstandsverlust“ für die Menschen in Deutschland. „Der Ukraine-Krieg macht uns alle ärmer, zum Beispiel weil wir mehr für importierte Energie zahlen müssen“, sagte der FDP-Chef. „Diesen Wohlstandsverlust kann auch der Staat nicht auffangen.“ Die Bundesregierung werde aber „die größten Schocks abfedern“. Deshalb werde die breite Mitte entlastet, würden Bedürftige unterstützt und die Existenz bedrohter Betriebe gesichert. „Aber da die Finanzmittel begrenzt sind, können diese Maßnahmen nur befristet sein.“

Lindner sagte angesichts einer Inflationsrate von 7,3 Prozent im März: „Ich habe ernsthafte Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung. Das Wachstum geht zurück, die Preise steigen.“ Die Bundesregierung unternehme alles, um die Gefahr der sogenannten Stagflation zu vermeiden. „Langfristig werden wir neue Grundlagen für Wohlstand legen müssen. Deutschland muss sein Wachstumsmodell einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft erneuern.“ Ähnlich hoch wie im März war die Inflationsrate in den alten Bundesländern zuletzt im Herbst 1981, als infolge der Auswirkungen des Ersten Golfkrieges die Mineralölpreise ebenfalls deutlich geklettert waren.

Mehr: Deutschlands Umgang mit Russland: Freiheit sollte über Wohlstand stehen

Mit Agenturmaterial

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