Erdogan trifft Putin – und könnte von den Gesprächen enorm profitieren

Istanbul Es ist ein Treffen von großer Bedeutung – für Recep Tayyip Erdogan, möglicherweise aber auch für zahlreiche Länder in Europa, Afrika und Asien. Wie am Montagabend von türkischer Seite bestätigt wurde, wird der türkische Präsident kommende Woche nach Sotschi zu Gesprächen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin reisen.

Erdogans Besuch in der russischen Hafenstadt könnte das Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland wiederbeleben, durch das viele Länder der Welt trotz des Krieges mit ukrainischem Getreide beliefert werden können. Die Türkei war zu Beginn des Ukrainekriegs zu einem der wichtigsten Vermittler zwischen Russland und der Ukraine aufgestiegen, hatte die Außenminister beider Länder zusammengebracht und den Getreidedeal vermittelt.

An den westlichen Sanktionen gegen Russland beteiligte sich die Türkei nicht. Gleichzeitig liefern türkische Rüstungsfirmen Drohnen und andere Waffen an die Ukraine. Als Vertreter eines Nato-Landes hatte Erdogan damit im Westen einerseits viel Kritik auf sich gezogen. Andererseits ist Erdogan auch der einzige Regierungschef aus dem Verteidigungsbündnis, der überhaupt noch einen Zugang zum russischen Präsidenten hat.

Erdogan will die Türkei zu einem wichtigen globalen Vermittler mit „proaktiver Neutralität“ machen. Der im Mai wiedergewählte Präsident sieht sein Land als mächtige Mittelmacht mit Verbündeten auf allen Seiten, auf die sie Einfluss nehmen kann.

Und so äußerte Erdogans Parteisprecher Ömer Celik in einer Fernsehansprache am Montag die Hoffnung, dass Erdogans Besuch einen positiven Einfluss auf die Entwicklungen rund um das Schwarzmeer-Getreideabkommen haben werde. „Wir glauben, dass es nach diesem Besuch neue Entwicklungen geben wird“, sagte Celik vor Journalisten.

Kein Zeitplan für Treffen zwischen Erdogan und Putin

Moskau war Mitte Juli aus dem Getreideabkommen ausgestiegen, das der Ukraine trotz des Kriegs im eigenen Land den Transport von Getreide über das Schwarze Meer ermöglicht hatte. Die Ukraine öffnete Anfang August dann von mehreren Schwarzmeerhäfen aus Seewege für Handelsschiffe, ungeachtet der russischen Ankündigung, nach dem Auslaufen des Getreideabkommens jedes Schiff aus der Ukraine oder mit dem Ziel Ukraine im Schwarzen Meer ins Visier zu nehmen.

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Celik nannte keinen Zeitplan für den Besuch. Russische Staatsmedien sowie türkische Journalisten berichteten vergangene Woche, dass das Treffen am kommenden Montag stattfinden werde. Das russische Außenministerium gab zudem am Montag bekannt, dass der türkische Außenminister Hakan Fidan, der vergangene Woche die Ukraine besuchte, bald seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow treffen werde.

Die EU arbeitet angesichts des ausgesetzten Getreideabkommens an alternativen Handelskorridoren. Auch hier distanziert sich die Türkei vom Westen. So stellte sich Fidan zuletzt gegen eine alternative Route über den Balkan.

Arbeiter verladen im April Getreide an einem ukrainischen Hafen

Das Aus des Getreideabkommens setzt die ukrainische Landwirtschaft unter Druck.

(Foto: dpa)

Er könne die Zerstörung und Bombardierung von Häfen in der Ukraine auf keinen Fall gutheißen, sagte Fidan am Freitag, als er in Kiew seinen ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba traf. „Aus genau diesem Grund waren wir von Anfang an der Meinung, dass Russland in das Abkommen zurückkehren sollte“, erklärte er. Schon damals sei abzusehen gewesen, „dass wir bei jeder Lösung oder Alternative, die Russland nicht einbezieht, mit solchen Szenen konfrontiert werden würden“.

Selenski hofft aus Erdogans Hilfe beim Getreidedeal

Russland nannte vor allem die westlichen Sanktionen als Grund dafür, das Getreideabkommen nicht verlängert zu haben. Russische Lebensmittel- und Düngemittelausfuhren unterliegen zwar nicht den westlichen Sanktionen, die nach der Invasion im Februar 2022 verhängt wurden.

Der Kreml argumentiert aber, dass diese Exporte aufgrund des Ausschlusses russischer Banken aus dem internationalen Zahlungssystem Swift und der versicherungsbezogenen Sanktionen dennoch nicht auf die Weltmärkte gelangten.

Auch Erdogan sieht den Westen bei der Wiederaufnahme des Abkommens in der Pflicht. Die westlichen Länder müssten ihre Zusagen einhalten, erklärte er Medienberichten zufolge im August. Das ändert nichts daran, dass auch die ukrainische Seite große Hoffnungen auf Erdogans Beziehung zu Putin setzt. „Zusammen mit der Türkei können wir die Sicherheit Schritt für Schritt wiederherstellen“, erklärte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski kürzlich.

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Seiner Rolle als Vermittler nachzukommen dürfte für Erdogan dieses Mal kaum leichter sein. Putin dürfte eine Gegenleistung verlangen. Experten wie Maxim Suchkow, Professor am Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen, erklären dies mit starkem Widerstand im Inland gegen die Wiederbelebung des Getreidedeals.

Sollte Erdogan erfolgreich sein, würde das seine Position nicht nur international, sondern auch im eigenen Land stärken. Dann könnte der türkische Staatschef die „proaktive Neutralität“ dazu nutzen, Konzessionen von seinen Partnern im Westen zu verlangen, etwa beim Thema EU-Beitritt oder in den angeschlagenen Beziehungen zu den USA. Im eigenen Land könnte ein diplomatischer Erfolg mit Russland vor den anstehenden türkischen Kommunalwahlen im Frühjahr helfen.

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