Diese Grafiken erklären die Gründe für den Boom der Partei

Die drei Koalitionsparteien zusammen sind inzwischen weit von einer Mehrheit entfernt. Selbst die stärkste Regierungspartei SPD liegt nicht nur weit hinter der stärksten Oppositionskraft CDU/CSU – die Sozialdemokraten sind von der AfD sogar von Platz zwei verdrängt worden. Die Partei gewinnt immer mehr an Einfluss und setzt die Politik unter Handlungsdruck – auch und vor allem in Meseberg.

Wie könnte eine Strategie gegen die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte AfD aussehen? Zehn Jahre nach ihrer Gründung ist diese Frage noch immer nicht beantwortet. Dabei kann die Partei entzaubert werden, wie neue Umfragebefunde und fünf Grafiken zeigen.

Mit der AfD in der Regierung würde kaum etwas besser

„Bereit für mehr“ war das Motto des AfD-Europaparteitags Ende Juli in Magdeburg, auf dem die Partei als Ziel die Regierungsverantwortung formulierte. Für die nächste Bundestagswahl plant sie eine eigene Kanzlerkandidatur. Die in zwei Ost-Bundesländern errungenen Kommunalämter sind für die Partei nur eine Etappe.

Parteichef Tino Chrupalla erklärte jüngst, andere Parteien hätten Angst davor, dass es den Bürgern besser gehe, wenn die AfD regiere. Die AfD könne nicht nur Opposition, sondern auch Leistung zeigen.

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Doch die Skepsis in der Wählerschaft ist groß. Nur 16 Prozent glauben, dass es mit der AfD in Regierungsverantwortung wesentlich besser würde. Das ist ein kleinerer Anteil als die aktuellen Umfragewerte für die AfD von rund 20 Prozent.

Die politische Arbeit der AfD überzeugt kaum Wähler

Schon das derzeitige Wirken der AfD kommt in der Bevölkerung nicht sonderlich gut an. Die politische Arbeit der Partei wird entsprechend negativ bewertet.

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch der Befund einer aktuellen Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Würde das Programm der AfD umgesetzt, wären die eigenen Wähler die „Hauptleidtragenden“ und stünden wirtschaftlich schlechter da als zuvor.

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Die Deutschen trauen der AfD wenig zu

Warum bewegt sich die AfD in Umfragen trotzdem auf Rekordniveau? Bundesweit sehen mehrere Institute die Partei mittlerweile zwischen 19 und 23 Prozentpunkten. In Ostdeutschland liegen die Werte noch höher. Im September 2024 wird in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gewählt – und in allen drei Bundesländern ist die Partei in Umfragen derzeit stärkste politische Kraft.

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Eine Erklärung könnte sein, dass die AfD insbesondere wegen Identitätsthemen wie Zuwanderung und Multikulturalismus gewählt werde, wie der Mainzer Politikwissenschaftler Kai Arzheimer meint. Das belegt auch eine neue, repräsentative Umfrage des Allensbach Instituts für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. 71 Prozent nennen die Einwanderungspolitik als wichtigen Grund, warum sie die AfD wählen wollen.

Andere wiederum wollen den anderen Parteien schlicht einen Denkzettel verpassen. Allerdings ist die AfD-Präferenz keineswegs nur Ausdruck diffusen Protests. So signalisieren im ARD-Deutschlandtrend vom Juli drei Viertel der AfD-Anhänger, dass die Partei ihren eigenen politischen Grundvorstellungen nahe- oder sehr nahesteht. Gleichzeitig erwarten sie von der AfD nicht einmal, dass sie irgendwelche Probleme löst.

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Die dürftigen Problemlösungsfähigkeiten, die der AfD zugetraut werden, führt der Politikwissenschaftler Arzheimer darauf zurück, dass die Partei ihren politischen Fokus vor allem auf das Migrationsthema legt. Andere Punkte im sehr umfangreichen Parteiprogramm seien für die Wähler weniger wichtig und vielleicht auch gar nicht genau bekannt: „Das hat auch damit zu tun, dass die AfD auch aus Sicht vieler ihrer Anhängerinnen und Anhänger weit von der Regierungsverantwortung entfernt zu sein scheint.“

Populismus rückt in die Mitte der Gesellschaft

Verabschieden muss man sich von der Vorstellung, die AfD sei ausschließlich oder vor allem in den unteren Gesellschaftsschichten verankert. Grundlegender Tenor zahlreicher Studien ist, dass antidemokratische Einstellungen auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden sind oder von Personen vertreten werden, die sich selbst politisch oder ökonomisch in der Mitte verorten.

Schon vor sechs Jahren kam eine Untersuchung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zu dem Ergebnis, dass die AfD keineswegs nur ein Sammelbecken der Abgehängten sei. Vielmehr sei die Partei in der Mitte der Gesellschaft zu Hause.

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Mit durchschnittlich 2200 Euro netto im Monat stünden AfD-Sympathisanten laut IW etwas besser da als der deutsche Durchschnitt. 55 Prozent der AfD-Sympathisanten hätten zudem ein mittleres Bildungsniveau (Realschule), 25 Prozent ein hohes, 20 Prozent ein niedriges Niveau.

Inzwischen konnte sich die AfD im bürgerlichen Segment noch stärker etablieren, wie eine aktuelle Analyse des Sinus-Instituts zeigt. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass Populismus in Deutschland mehrheitsfähig wird.

Der Mainzer Politikwissenschaftler Arzheimer wies zudem auf Erkenntnisse der vergangenen Bundestagswahl hin. Der Stimmenanteil der AfD sei bei Männern etwa zweimal so hoch wie bei Frauen. Die Partei sei außerdem bei Menschen mittleren Alters deutlich beliebter als bei jungen und älteren Wahlberechtigten. Überdies habe die AfD bei Arbeiterinnen und Arbeitern sowie bei Menschen mit einfacher und mittlerer Bildung „sehr viel mehr Erfolg“ als bei Hochgebildeten.

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Laut Arzheimer gibt es zwei weitere Besonderheiten: „Fast alle, die AfD wählen, stehen Zuwanderung und Zugewanderten sehr negativ gegenüber.“ Und die Partei sei im Osten, vor allem in Sachsen und Thüringen, sehr viel erfolgreicher als im westdeutschen Mittel.

Statusängste treiben der AfD Wähler zu

Rechtspopulistische Einstellungen in der Bevölkerung werden oft dadurch befördert, dass Menschen Angst davor haben, ihren Lebensstandard nicht mehr halten zu können. Laut einer Studie im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geht es dabei weniger um „die reale Erfahrung sozialer Ausgrenzung, sondern eher um die Angst vor weiteren Verlusten“.

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Die 2017 veröffentlichte Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts policy matters ergab demnach, dass es häufig Menschen mit Abstiegsängsten und der Sorge vor Kontrollverlust seien, die Rechtspopulisten wählen. Eine Mehrheit der Befragten sorgt sich zum Beispiel um die Zukunft ihrer Kinder oder um ihre Altersversorgung.

Fazit

Ziehen die anderen Parteien die richtigen Schlüsse aus den Befunden, könnte der AfD womöglich das Wasser abgegraben werden. Einen Ansatzpunkt sieht Silke Borgstedt, Geschäftsführerin des Sinus-Instituts in dem Befund, dass der Anteil des bürgerlichen Segments unter AfD-Wählern desto mehr wachse, je mehr der Zukunftsoptimismus schwinde.

Das bedeute umgekehrt auch, dass die gesellschaftliche Mitte für die Politik weiterhin erreichbar sei. „Gewünscht ist eine konstruktive und zukunftsorientierte Politik“, sagte Borgstedt. „Die Mitte braucht eine Perspektive mit Zielorientierung und eine Roadmap, wie dies gelingen kann.“

Der Politikwissenschaftler Arzheimer glaubt, mittel- und langfristig sei die politische Bildung innerhalb und außerhalb der Schule enorm wichtig. „Demokratie kann nur mit aktiven und politisch kompetenten Bürgerinnen und Bürgern gelingen“, sagte er.

Kurzfristig sieht Arzheimer Politik, Medien und die Gesellschaft in der Verantwortung. „Wir müssen Extremismus innerhalb und außerhalb der AfD klar benennen, ohne Extremisten eine Bühne zu bieten“, erklärte er. Auch müssten Unterschiede in Sachfragen herausgearbeitet, aber dabei zugleich das gemeinsame Eintreten für die demokratischen Werte deutlich gemacht werden. „Und dafür müssen wir uns auf allen Ebenen klar vom Extremismus abgrenzen.“

Das Fazit von DIW-Präsident Marcel Fratzscher lautet: „Be careful what you wish for.“ Die alte Weisheit, wonach man vorsichtig sein sollte, was man sich wünscht, treffe auf AfD-Wähler und -Sympathisanten ganz besonders zu. Die Aufgabe von Politik und Gesellschaft sei es daher, so Fratzscher, „die Widersprüche der AfD-Positionen offenzulegen, die individuellen und kollektiven Fehleinschätzungen zu benennen und den AfD-Populismus durch den öffentlichen Diskurs zu entlarven“.

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