„Die Vorräte reichen keine zwei Wochen“

Medikamentenmangel in Apotheken

Im vergangenen Winter hat es nach einer Infektionswelle große Lieferprobleme etwa bei Fieber- und Hustensäften für Kinder gegeben.

(Foto: dpa)

Berlin, Frankfurt Im kommenden Herbst und Winter könnten wichtige Arzneimittel nach Ansicht des pharmazeutischen Großhandels (Phagro) wieder knapp werden. Bei 85 Prozent der für die Saison dringend benötigten Medikamente reichen die Bestände „nicht einmal für zwei Wochen“, teilte der Verband am Dienstag mit.

Es sei „objektiv unmöglich“, diese Arzneimittel bei der pharmazeutischen Industrie zu beschaffen oder Lagerbestände aufzubauen. Dies habe der Verband auch in einem Schreiben an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach deutlich gemacht.

Der SPD-Politiker hatte den Großhandel vergangene Woche in einem Brief dazu aufgefordert, „wichtige Medikamente für Kinder bereits jetzt“ zu bevorraten, um kurzfristigen Engpässen vorzubeugen. Im Herbst und Winter könne für „bestimmte essenzielle Antibiotika und weitere relevante Arzneimittel eine angespannte Versorgungssituation“ entstehen, heißt es darin.

Im vergangenen Winter hat es nach einer Infektionswelle große Lieferprobleme etwa bei Fieber- und Hustensäften für Kinder gegeben. Kürzlich hatte auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte vor Engpässen gewarnt.

Der Phagro bezieht sich in seiner Mitteilung auch auf eine kürzlich vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) veröffentlichte, rund 400 Arzneimittel umfassende Dringlichkeitsliste für die kommenden Monate. Darunter sind zahlreiche Antibiotika und Arzneimittel für Kinder, die zum Teil seit länger als einem Jahr knapp oder nicht verfügbar sind.

Auf der Liste stehen auch rund 30 Kinderpräparate, die höchste Priorität haben, unter anderem mehrere Antibiotika, Nasentropfen, fiebersenkende und schmerzlindernde Säfte und Zäpfchen.

Knappe Antibiotika und Kinder-Arzneimittel

Um Medikamente vor allem für Kinder zuverlässiger abzusichern, hatte Lauterbach im Juli bereits ein Gesetz gegen Lieferengpässe auf den Weg gebracht. Dies braucht nach Ansicht des Gesundheitsministers aber „Zeit, um zu wirken“.

Karl Lauterbach

Um Medikamente vor allem für Kinder zuverlässiger abzusichern, hatte Lauterbach im Juli bereits ein Gesetz gegen Lieferengpässe auf den Weg gebracht.

(Foto: Getty Images)

Als Sicherheitspuffer macht es Vorräte von mehreren Monatsmengen für viel genutzte Mittel zur Pflicht. Preisregeln sollen gelockert werden, um Lieferungen nach Deutschland für Hersteller lohnender zu machen.

Lauterbach kündigte zudem an, dass sein Ministerium auch formell einen Versorgungsmangel für die Medikamente der Dringlichkeitsliste feststellen und bekannt machen wolle. Dies ermöglicht flexiblere Vorgaben und etwa einen vereinfachten Import knapper Medikamente.

Nach Einschätzung des Phagro ist bereits die aktuelle Versorgungssituation vor Beginn der kalten Monate „äußerst prekär“: Mehr als ein Viertel der Dringlichkeits-Arzneimittel konnte demnach in den vergangenen Monaten vom Großhandel gar nicht beschafft werden, weil die pharmazeutische Industrie keine Ware zur Verfügung stellen konnte.

Bei mehr als der Hälfte der Dringlichkeits-Arzneimittel liefern die pharmazeutischen Unternehmen nur 20 Prozent der vom Großhandel angeforderten Ware aus. Zudem sei ein Achtel der gelisteten Präparate von den Herstellern außer Vertrieb gesetzt worden oder werde nicht mehr in den Verkehr gebracht, heißt es in dem Schreiben.

Alternative Beschaffungswege, wie beispielsweise der Import von in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimitteln, können nur im Einzelfall die Versorgung verbessern, so der Verband.

Lediglich bei zehn Prozent der genannten Arzneimittel sieht der Phagro noch Chancen, dass sich die Lage bessert. „Alle weiteren Möglichkeiten unsererseits sind vollständig ausgeschöpft“, schreiben der Verbandsvorsitzende Marcus Freitag und sein Stellvertreter Lothar Jenne an den Bundesgesundheitsminister.

>> Lesen Sie mehr: Wie Lauterbach gegen die Medikamenten-Engpässe vorgehen will

Sie fordern Lauterbach auf, „die Ursachen der Liefer- und Versorgungsengpässe zu bekämpfen, indem die pharmazeutische Industrie durch eine Förderung der Herstellung und Entwicklung von Arzneimitteln unterstützt wird“.

Mehr: Wie Lauterbach Deutschland für Pharmafirmen wieder attraktiver machen will

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