Was sorgt dafür, dass die Standing Ovations in Cannes 22 Minuten dauern?


CANNES, Frankreich (AP) – Die Filmfestspiele von Cannes ist eingeschaltet, was bedeutet, dass Stoppuhren ausgeschaltet sind.

Nirgendwo wird die Länge der Standing Ovations bei hochkarätigen Premieren sorgfältiger aufgezeichnet und analysiert als in Cannes. Hat ein Film triumphale achtminütige Standing Ovations erhalten? Oder stand das Publikum nur vier oder fünf Minuten da?

Wie ist es dazu gekommen, dass solch eine unwahrscheinliche Kennzahl schon wenige Minuten nach der Premiere weltweite Resonanz fand? Und warum stehen alle so lange? Ermüdet niemand seine Hände?

Solche überschwänglichen Begeisterungsbekundungen sind zu einem Markenzeichen von Cannes und manchmal auch zu einer Art Marketing-Gag für Filme geworden, die fernab der Croisette Anklang finden wollen. Wenn Cannes, das größte und schillerndste Filmfestival der Welt, für filmischen Exzess steht, können seine tosenden Standing Ovations wie sein größter Genuss erscheinen. Niemand braucht eine Toilettenpause?

Weniger allgemein verstanden ist jedoch, wie der Prunk von Cannes Standing Ovations prägt und verzerrt. Wenn das Publikum nach dem Abspann im Grand Theatre Lumière, der größten Leinwand von Cannes, aufsteht, steht es nicht nur da und applaudiert dem Film, den es gerade gesehen hat.

Unmittelbar nach Ende eines Films stürmt ein Kameramann herein und fängt an, den Filmemacher und die Darsteller zu filmen, die mitten im Kino sitzen. Dieses Video wird für alle Anwesenden live auf der Leinwand abgespielt, während die Kamera – oft sehr geduldig – jeden prominenten Schauspieler in Nahaufnahme zeigt. Der Applaus gebührt nur teilweise dem Film; es gilt auch für jeden Stern.

Als „Indiana Jones und das Zifferblatt des Schicksals“ kürzlich in Cannes Premiere feierte, Die Kamera gab Mads Mikkelsen, Phoebe Waller-Bridge, Ethann Isidore, Harrison Ford und Regisseur James Mangold jeweils ihren eigenen Moment, in ihrer Bewunderung zu schwelgen. Am Ende erhielten die Fachzeitschriften, deren Reporter im Saal anwesend waren, um den Takt einzuhalten, Standing Ovations nach fünf Minuten. Variety hat es ausgesprochen ein „lauwarmer“ Empfang.

Die Inflation kann eine solche Geißel sein, dass sie sich sogar auf stehende Nullen auswirkt. An den meisten Orten der Welt würde eine fünfminütige Standing Ovation als Traumreaktion gelten. In Cannes soll es so lauwarm sein wie ein Espresso vom Vortag.

Die Kritiken zu „Dial of Destiny“ waren tatsächlich gemischt. Es ist aber auch möglich, dass das Publikum – oder die Stars des Films – nach einem 142-minütigen Film, dem eine vielbejubelte Hommage an Ford vorausging, genug hatten. Am nächsten Tag ein sichtlich emotionaler Ford nannte die Erfahrung „unbeschreiblich“.

„Die Herzlichkeit dieses Ortes, das Gemeinschaftsgefühl, der Empfang sind unvorstellbar“, sagte Ford. „Und es gibt mir ein gutes Gefühl.“

Wie lange stehende Ovationen anhalten, hängt größtenteils davon ab, ob die Stars des Films sie vorantreiben oder sich um die Kamera kümmern. Bei der Premiere von Martin Scorseses „Blumen des Killermondes“ Nachdem die zahlreiche Besetzung des Films ihre Nahaufnahmen gemacht hatte, klatschten Leonardo DiCaprio und andere im Film weiter, auch als der größte Teil des Zuschauerraums stehen geblieben war. Dann brachten die Mitglieder des Osage-Stammes mit lautem, feierlichem Jubel mehr Leben in den Applaus.

Neun Minuten hieß es schließlich für „Flowers of the Killer Moon“, genug, um einen Höhepunkt für das diesjährige Festival zu markieren. Scorseses Historienepos sorgt für Schlagzeilen, die sich jeder Film von Cannes wünscht. Filme bekommen schließlich keine zweite Chance für den ersten Eindruck.

Und für diejenigen, die solche Reaktionen aus erster Hand erleben, kann es zutiefst emotional sein. Im Jahr 2015 startete Todd Haynes’ leuchtende 50er-Jahre-Romanze „Carol“ in Cannes mit 10-minütigen Standing Ovations.

„Ich glaube nicht, dass wir auf dem Plakat darauf hingewiesen haben, dass es in Cannes 20-minütige Standing Ovations gab“, sagt Christine Vachon, die Produzentin des Films. „Aber wenn es passiert und ein Film nach viel harter Arbeit gefeiert wird, ist das natürlich unglaublich erfreulich.“

Die längsten Cannes-Ovationen aller Zeiten gingen an Guillermo del Toros „Pan’s Labyrinth“, der 22 Minuten lang gefeiert wurde, genug Zeit, um eine Folge von „Seinfeld“ ohne Werbung anzusehen. Michael Moores „Fahrenheit 9/11“, der 2004 in Cannes die Goldene Palme gewann, erhielt 20 Minuten lang Applaus. Jeff Nichols‘ „Mud“ wurde 2012 18 Minuten lang gefeiert.

Eine stoppuhrbrechende Ovation bedeutet nicht immer Qualität. „The Paperboy“ von Lee Daniels gilt nicht gerade als moderner Klassiker, schaffte es aber im Jahr 2012 auf einen 15-minütigen Spitzenplatz.

Cannes ist seit langem für seine leidenschaftlichen Reaktionen bekannt. Einige äußerst angesehene Filme, wie „Apocalypse Now“ von Francis Ford Coppola, wurden auf dem Festival bekanntermaßen ausgebuht. Aber Buhrufe sind eher bei Pressevorführungen zu hören als bei Gala-Premieren in formeller Kleidung. Standing Ovations sind dabei mehr oder weniger eine Frage der Etikette.

Beim diesjährigen Festival kamen die mit den meisten Stars besetzten Filme gut an. Haynes‘ „May December“ mit Natalie Portman und Julianne Moore erreichte mit achtminütigen Ovationen beinahe die gleiche Resonanz wie sein „Carol“. Karim Aïnouz‘ historisches Drama „Firebrand“ mit Alicia Vikander und Jude Law in den Hauptrollen erreichte das gleiche Ergebnis. Vikander bezeichnete das lautstarke Gebrüll der Menge als ein mitreißendes, unvergessliches Erlebnis.

„Ich habe ein bisschen gezittert“, sagte Vikander. „Es geht einem wirklich zu.“

___ Folgen Sie dem AP-Filmautor Jake Coyle auf Twitter unter: http://twitter.com/jakecoyleAP



source-124

Leave a Reply