Über das Wachstum hinauszugehen ist nicht nur wünschenswert – es ist unerlässlich


ANSICHT | Das Streben nach Wachstum um jeden Preis hat ein globales Wirtschaftssystem geschaffen, das fragil und anfällig für Schocks ist, und das muss sich ändern, schreibt eine Gruppe von Mitgliedern des Europäischen Parlaments (MdEP).

Nächste Woche werden mehr als viertausend Menschen vor Ort und online an der Beyond Growth 2023-Konferenz teilnehmen, einer politikübergreifenden Initiative, die im Europäischen Parlament in Brüssel stattfindet.

Wir, Mitglieder des Europäischen Parlaments (MdEP) aus fünf verschiedenen Fraktionen und fraktionslose, organisieren gemeinsam mit mehr als 60 Partnerorganisationen.

Mit dieser dreitägigen Konferenz, an der hochrangige Redner aus EU-Politik, Wissenschaft, Gewerkschaften, Unternehmen und Organisationen der Zivilgesellschaft teilnehmen, ist es unser Ziel, die konventionelle Politikgestaltung in der EU herauszufordern.

Wir wollen auch die gesellschaftlichen Ziele umfassend neu definieren und uns von der schädlichen Fokussierung auf Wirtschaftswachstum als alleiniger Grundlage unseres Entwicklungsmodells verabschieden.

Das bestehende Modell des Wachstums um jeden Preis ist an seine Grenzen gestoßen

Wir glauben, dass das aktuelle Wirtschaftsmodell, das auf endlosem Wachstum basiert, an seine Grenzen stößt.

Erstens führt das kontinuierliche Wirtschaftswachstum, insbesondere basierend auf dem Verbrauch fossiler Brennstoffe, zu einer katastrophalen globalen Erwärmung.

Zweitens beruht das grenzenlose Streben nach Wachstum auf der Erschöpfung natürlicher Ressourcen, der Zerstörung der Artenvielfalt und der Anhäufung von Abfall und Umweltverschmutzung. Dies birgt auch große Risiken für unsere Gesundheit, unsere Volkswirtschaften und unsere Gesellschaften.

Drittens trägt das aktuelle Wirtschaftsmodell zu sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung bei.

Die Betonung des Wirtschaftswachstums hat nicht zu einer gleichmäßigen Verteilung von Wohlstand und Chancen geführt. Stattdessen hat es zu einer Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen einiger weniger geführt und viele zurückgelassen.

Viertens ist das aktuelle Wirtschaftsmodell von Natur aus instabil und krisenanfällig, wie sich beispielsweise während der Finanzkrise 2008 und der COVID-19-Pandemie zeigte.

Das Streben nach Wachstum um jeden Preis hat ein globales Wirtschaftssystem geschaffen, das fragil und anfällig für Schocks ist.

Das menschliche Wohlergehen und die ökologische Nachhaltigkeit müssen an erster Stelle stehen

Als Abgeordnete verschiedener Fraktionen haben wir unterschiedliche Ansichten darüber, wie wir eine wachstumsorientierte Wirtschaft erreichen können.

Wir sind uns jedoch alle über die Dringlichkeit und Bedeutung des vorliegenden Problems einig.

Wir teilen die Ansicht, dass wir ein Wirtschaftssystem brauchen, das menschliches Wohlergehen und ökologische Nachhaltigkeit über BIP-Wachstum stellt und anerkennt, dass unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten unmöglich ist.

Wir glauben auch, dass wir neue Wege finden müssen, unsere Volkswirtschaften zu organisieren, ohne auf die kontinuierliche Ausbeutung von Ressourcen und die ständige Steigerung von Produktion und Konsum angewiesen zu sein.

Wir fordern mehr Pluralismus im wirtschaftlichen Denken innerhalb der EU-Institutionen und dessen Ausrichtung an den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Klima-, Umwelt- und Sozialwissenschaften.

Wir fordern, dass Wirtschaftsmodelle und andere Entscheidungsunterstützungsinstrumente vielfältiger, umfassender und für die Bürger lesbarer werden.

Wir fordern, dass Entscheidungsprozesse an unseren gemeinsamen politischen Zielen ausgerichtet werden und nicht auf der Grundlage unterschiedlicher BIP-Zahlen.

Es gibt andere politische Optionen

Als politische Entscheidungsträger glauben wir auch, dass es unsere Verantwortung ist, bei der Suche nach neuen politischen Optionen eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Wir verpflichten uns daher, unsere Energie in unsere eigene parlamentarische Arbeit zu stecken, um mutige und ehrgeizige Vorschläge zu unterstützen, die den Weg für nachhaltigen Wohlstand in der EU und darüber hinaus ebnen.

Insbesondere schlagen wir die folgenden übergreifenden Maßnahmen für EU-Institutionen und Mitgliedstaaten vor.

Wir müssen eine neue umfassende Strategie für eine wachstumsstarke europäische Wirtschaft entwickeln, die soziale, ökologische und wirtschaftliche Ziele vollständig integriert.

Der europäische Grüne Deal als Leitinitiative der EU zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Förderung einer nachhaltigen Zukunft ist ein wichtiger und notwendiger Schritt, erkennt jedoch nicht die Grenzen des Wachstums an.

Eine neue Strategie sollte auf den Grundsätzen der ökologischen Nachhaltigkeit, der sozialen Gerechtigkeit und des Wohlbefindens basieren und Maßnahmen priorisieren, die zu diesen Zielen beitragen.

Die institutionelle Architektur sollte diesem Beispiel folgen

Wir müssen einen pluralistischen Ansatz für die von der EU und ihren Mitgliedstaaten verwendeten Indikatoren und makroökonomischen Modelle fördern.

Aufbauend auf der bestehenden Arbeit der Europäischen Kommission und vieler anderer Institutionen fordern wir einen politischen Ansatz, der sich auf Indikatoren zur Messung des Fortschritts über das BIP hinaus und auf den Einsatz makroökonomischer Modelle mit dem Ziel der Achtung der planetaren Grenzen und der Verbesserung der sozialen Lage stützt Wohlbefinden und auf die Entwicklung grüner und geschlechtsspezifischer Budgetierungsinstrumente.

Wir sollten unsere institutionelle Architektur so gestalten, dass sie der Beyond-Growth-Strategie besser dient.

Ausgehend von Vorschlägen von Wissenschaftlern im Vorfeld der ersten Postwachstumskonferenz schlagen wir die Einrichtung einer Generaldirektion für Nachhaltigkeit und Wohlbefinden in der Europäischen Kommission, eines Sonderausschusses für „Beyond Growth Futures“ im Europäischen Parlament und eines Wirtschaftsministeriums vor Übergang in jedem Mitgliedstaat.

Jede dieser Strukturen sollte auf ihrer eigenen Ebene für die Entwicklung politischer Vorschläge über das Wachstum hinaus und die Koordinierung der Bemühungen der EU um Nachhaltigkeit und Wohlbefinden verantwortlich sein.

Unsere Wirtschaft muss zukunftsfähig werden

Das öffentliche Interesse an einer zukunftsfähigen europäischen Wirtschaft ist so groß wie nie zuvor, und eine solch bahnbrechende Debatte im Europäischen Parlament zu haben, ist ein starkes Symbol.

Die Beyond Growth Conference bietet eine einzigartige Gelegenheit zu einer pluralistischen Debatte rund um die wissenschaftliche Forschung in ihrer ganzen Vielfalt, die den konkreten Erwartungen unserer Mitbürger entspricht.

Es ist nicht nur wünschenswert, Wege zu finden, um innerhalb der sozialen und ökologischen Grenzen unserer Gesellschaft gut zu leben. Es ist auch unbedingt notwendig.

Die folgenden Mitglieder des Europäischen Parlaments haben diesen Artikel mitverfasst: Philippe Lamberts (BE), Bas Eickhout (NL), Ville Niinisto (FI), Manuela Ripa (DE), Marie Toussaint (FR), Ernest Urtasun (ES), Kim Van Sparrentak (NL) – Grüne/EFA; Manon Aubry (FR), Petros Kokkalis (EL), Marisa Matias (PT), Helmut Scholz (DE) – The Left (GUE/NGL); Pascal Durand (FR), Aurore Lalucq (FR), Pierre Larrouturou (FR) – Sozialisten und Demokraten (S&D); Sirpa Pietikainen (FI), Maria Walsh (IE) – Europäische Volkspartei (EVP); Katalin CSEH (HU) – Renew Europe (RE); und Dino GIARRUSSO (IT) – fraktionslos (NI).

Bei Euronews glauben wir, dass jede Meinung zählt. Kontaktieren Sie uns unter [email protected], um Pitches oder Einsendungen zu senden und an der Diskussion teilzunehmen.

source-121

Leave a Reply