Skigebiete verzichten auf Schnee


Es ist Ende August, und Italien befindet sich mitten in der dritten rekordverdächtigen Hitzewelle des Sommers, doch am Fuße der Pisten in Fai della Paganella, einem kleinen Skigebiet in den Dolomiten, bildet sich eine Schlange vor dem Sessellift. Anstelle von Skijacken und Pudelmützen sind die Wartenden wie Gladiatoren des 21. Jahrhunderts gekleidet – mit Körperpanzerungen aus Plastik an Knien, Brust und Ellenbogen. Statt Skiern sind Downhill-Mountainbikes ihre bevorzugten Waffen: aufwendige Maschinen, die wie Geländemotorräder aussehen und oft so viel kosten wie ein Kleinwagen.

Szenen wie diese treten in ganz Europa immer häufiger auf, da Skigebiete unter den Auswirkungen der Klimakrise versuchen, ihre Attraktivität zu diversifizieren und alternative Einnahmequellen zu erschließen. Paganella ist insofern bemerkenswert, als es mittlerweile im Sommer mehr Radfahrer als im Winter Skifahrer anzieht. „65 Prozent unserer Besucher kommen mittlerweile außerhalb der Skisaison – zwischen April und November“, sagt Luca d’Angelo, der Destination Manager des Resorts.

„Der Wechsel“, wie d’Angelo es nennt, „kam 2018 oder 2019.“ Es sei ursprünglich nicht Teil eines Masterplans gewesen, erklärt er. Als das Resort 2011 versuchsweise einen Lift für Mountainbiker eröffnete, „dachten meine Kollegen nicht unbedingt an den Klimawandel als Thema“, sagt er. Doch da der Schneefall immer unzuverlässiger wird, erscheint Paganellas Entscheidung, in die Mountainbike-Infrastruktur zu investieren, zunehmend vorausschauend.

Ein Mountainbiker im Bikepark Paganella.Foto: Alfie Bacon

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, was die Klimakrise für Skigebiete bedeutet, sind düster. In einem Papier veröffentlicht in Natur Klimawandel Im August 2023 prognostizierte ein Team unter der Leitung von Hugues François von der Universität Grenoble das „Schneeversorgungsrisiko“ für 2.234 europäische Skigebiete, basierend auf einem globalen Durchschnittstemperaturanstieg von 2 und 4 Grad Celsius. Im Szenario einer Erwärmung um 4 Grad stellten sie fest, dass 98 Prozent der Skigebiete einem „sehr hohen Risiko“ für ihre natürliche Schneeversorgung ausgesetzt wären. Selbst wenn der globale Temperaturanstieg auf 2 Grad (einen Grenzwert) begrenzt werden kann wahrscheinlich überschritten werden Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts würden mehr als die Hälfte der Orte, die das Team untersuchte, Probleme mit natürlichem Schnee haben.

Mittlerweile natürlich viele Skigebiete auf künstliche Beschneiung setzen Um natürliche Defizite auszugleichen: 90 Prozent der Skipisten in Italien, 70 Prozent in Österreich, 53 Prozent in der Schweiz, 37 Prozent in Frankreich und 25 Prozent in Deutschland sind inzwischen mit Schneekanonen bedeckt, heißt es Daten 2021 vom Schweizerischen Liftbetreiberverband Seilbahnen veröffentlicht. Beschneiung aber schon keine Wunderwaffe. Für die Studie ging François‘ Team davon aus, dass Skigebiete im Durchschnitt 50 Prozent ihrer Pisten mit Kanonen abdecken könnten. Sie fanden heraus, dass 71 Prozent auch bei einem Erwärmungsszenario von 4 Grad immer noch einem Risiko für die Schneeversorgung ausgesetzt wären, und 27 Prozent bei einer Erwärmung um 2 Grad. Auch die Beschneiung erfordert große Mengen an Wasser und Energie, was letztendlich zu der Krise beiträgt, die sie lösen soll.

Für Luca Albrisi ist die ganze Idee, dass Skigebiete so weitermachen könnten wie bisher und Lücken mit Kunstschnee geschlossen werden könnten, grundsätzlich fehlerhaft. Albrisi, ein Umweltaktivist und Filmemacher aus dem italienischen Dorf Pejo, ist der Hauptautor von das Clean Outdoor Manifest. Dieses Leitbild, das seit seiner Einführung im Jahr 2020 von Tausenden von Fachleuten der Outdoor-Branche mitunterzeichnet wurde, hat sich in der Folge zu einer einflussreichen Aktivistengruppe zusammengeschlossen. Um eine Zukunft zu haben, müssen sich die Berggemeinden seiner Meinung nach vom „aktuellen Entwicklungsmodell“ lösen, das in gefährlicher Weise von einer „im Wesentlichen auf Skifahren basierenden Tourismus-Monokultur“ abhängig ist.

„Natürlich ist uns bewusst, dass das Skifahren in der Vergangenheit viele Täler ermöglichte [across the Alps] sich aus der Armut zu befreien“, sagt Albrisi. „Aber es ist offensichtlich, dass es sich um ein Modell handelt, das mittlerweile veraltet ist.“ Er argumentiert, dass Skigebiete das unberührte Gelände, das sie hinterlassen haben, für Aktivitäten mit geringer Belastung wie Schneeschuhwandern oder Skitouren (bei denen die Teilnehmer den Berg aus eigener Kraft erklimmen) erhalten sollten, anstatt Millionen für neue Ski-Infrastruktur auszugeben – Wälder für neue Lifte usw. zu roden Pisten und die Installation der künstlichen Seen und unterirdischen Rohrleitungen für die Schneekanonen, die nun benötigt wurden, um sie betriebsbereit zu halten.

Dies führte am 12. März 2023 zu dem überraschenden Anblick von über tausend Menschen – darunter Skilehrer, Bergführer und andere Bergprofis –, die zum Protest zusammenkamen gegen schlug neue Skianlagen an 11 Standorten in Italien vor. Der von Unterzeichnern des Outdoor-Manifests in Zusammenarbeit mit anderen Gruppen organisierte Slogan der Demonstration „Winter neu denken: Keine neuen Aufzüge mehr“ findet auf der Halbinsel besondere Resonanz, wo laut ausführliche Recherche Laut Legambiente, Italiens führender Umwelt-NGO, liegen aufgrund des Klimawandels mittlerweile 249 Skilifte verlassen und ungenutzt. Die Gruppe identifizierte außerdem 138 weitere Lifte, die für mindestens einen Winter „vorübergehend“ geschlossen waren, und weitere 84, die sie als „teils offen, teils geschlossen“ einstufte – bei allen besteht die Gefahr einer dauerhaften Schließung.

Das größere Problem ist laut Vanda Bonardo, Hauptautorin des Legambiente-Berichts, die Fehlallokation von Ressourcen. „Einige von denen, die ‚teils offen, teilweise geschlossen‘ sind, bestehen nur noch aufgrund öffentlicher Gelder – unseres Geldes“, erklärt sie. „In diesem Frühjahr hat Italiens Tourismusministerin Daniela Santanchè 210 Millionen Euro (225 Millionen US-Dollar) allein zur Unterstützung dieser verfallenden Industrie bereitgestellt, während andere Sektoren, die im Schatten des Skifahrens stehen, nur Krümel erhalten“, sagt Bonardo. „Das ist nicht richtig, denn es geht um unser Geld und dieses Modell des Skifahrens hat keine Zukunft.“

Als Alternativen verweist Bonardo auf Orte wie Panarotta 2002, ein tief gelegenes italienisches Skigebiet, das im vergangenen Winter seine Lifte geschlossen hat, und auf den Vorschlag, es in „Panarotta 2002“ umzubenennen „Panarotta Skialp-Natur“– ein Reiseziel, das sich im Winter dem Skitourengehen und im Sommer dem Wandern widmet. Eine ähnliche Initiative hat sich, wenn auch in kleinem Maßstab, im nahegelegenen Skigebiet von als erfolgreich erwiesen Gaver. Zum Ende der Saison 2013/14 waren die Lifte dort zum letzten Mal geschlossen und die Skelettmasten, die noch immer über den Hang verstreut sind, sind längst verrostet. Aber vor allem dank der Bemühungen von Stefano Marca, dem unternehmungslustigen Besitzer des Blumonbreak Hotels, ziehen die Pisten von Gaver an Winterwochenenden mittlerweile Tausende von Skitourengehern an.

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