Rezension von Bruce Springsteen und der E Street Band, Hyde Park: Ein alterswidriger, generationsprägender Auftritt des Bosses

Ist jemand auf der Welt besser gealtert als Bruce Springsteen? Während der Rocker aus New Jersey heute Abend im Hyde Park auf der Bühne schreitet, mit der Faust pumpt und schwenkt, stelle ich mir diese Frage immer wieder. Anscheinend ist The Boss immun gegen die Jahrzehnte, die vergangen sind, seit er 1973 mit seinem Debütalbum aus der Taufe gehoben wurde Grüße aus Asbury Park. Das Lebenselixier, so scheint es, sind Blue Jeans, ein gutes Grinsen und vor allem eine bodenständige Einstellung, die über immensen Erfolg hinwegtäuscht.

Springsteen-Shows sind legendär: epische, erstaunliche Musikmarathons, die drei (manchmal vier) Stunden lang Vollgas geben. Wie und warum der heute 73-jährige Musiker nach all den Jahren immer noch solch ein körperlich anstrengendes Set durchmachen möchte, ist ein Rätsel, das den 65.000 Menschen im Publikum heute Abend aber gut tut. Von dem Moment an, als er und die E Street Band pünktlich um 19 Uhr auf der Bühne eintreffen, ist es ein atemloses Rennen bis zur Ziellinie. Mit einer abgenutzten gelben Gitarre über der Schulter stürzt sich Springsteen in den hart erkämpften Optimismus von „No Surrender“ aus dem Jahr 1984 mit seinem berühmten Showman-Countdown („Zwei, drei, vier!“) – und los geht’s.

Es ist ein Abend voller emotionaler Höhen und Tiefen, aber getreu Springsteens Stil fühlen sich sogar die Täler ziemlich fröhlich an. „Letter To You“ aus seinem 2020er Album – eine wehmütige, mittelschnelle Reflexion über den Lauf der Zeit und die Lieben, die mit ihr vergangen sind – ist der erste Downbeat-Moment des Abends. „Ich bin auf die Knie gegangen/ habe meinen Stift geschnappt und meinen Kopf gesenkt“, singt Springsteen mit geschlossenen Augen und zum Gebet gefalteten Händen und beweist damit einmal mehr, dass er in der Lage ist, selbst die ermüdendsten Gefühle lebensbejahend klingen zu lassen.

Springsteen sagte kürzlich einem Reporter, dass seine Gruppe derzeit in Bestform sei – und er hat nicht unrecht. Die E Street Band war schon immer eine Gruppenleistung; eine bunte Truppe aus Virtuosen, die auf eine besondere Art und Weise zusammenspielen, wie es nur langjährige Bandkollegen können. Stilistische Kurzschrift und Chemie auf der Bühne, ermöglicht durch jahrzehntelanges Jammen, Auftritte und Tourneen. Springsteen ist stets ein Teamplayer und stellt jeden seiner Kameraden in einem begeisterten Appell während einer schwungvollen 15-minütigen Darbietung von „Kitty’s Back“ ins Rampenlicht. (Es ist nicht seine Schuld, dass das Publikum dies als den richtigen Moment für eine Toilettenpause ansieht.) Besonderer Dank geht an Roy J Bittan, der großzügig mit Glissandi am Klavier umgeht, und an Max Weinberg, der so stabil wie eh und je dabei ist zurück und peitscht das Publikum mit donnernden und anspruchsvollen Trommeln. Scharfe Schlingengeräusche schlugen wie Blitze über uns ein. Aber natürlich gibt es keinen Blitz. Es ist ein sonniger und idyllischer Abend, praktisch wie geschaffen, um sich in Springsteen zurückzulehnen.

Das Publikum wird erwartungsgemäß älter. Tour-T-Shirts sind ein einfacher Gradmesser für das Alter: Weiche, verblasste weiße T-Shirts mit Springsteens in Jeans gekleidetem Hintern kennzeichnen diejenigen, die ihn 1985 begleitet haben In den USA geboren Tour, während andere schwarz-rote Tour-Shirts aus den Neunzigern tragen und eine noch kleinere Menge die Merch-Merchandise der Neunziger trägt. Dennoch gibt es eine Handvoll jüngerer Fans und einige sehr, sehr junge Fans, von denen viele auf den Schultern ihrer Eltern sitzen, um die Hits herzlich mitzusingen. Ein glückliches Kind ist der Empfänger von Sprinsteens Mundharmonika, die in „The Promised Land“ und „Thunder Road“ brillant schrillt.

Schon in der Anfangszeit klang Springsteen für sein Alter alt. Diese Stimme, ein warmes Knistern wie die rotglühende Spitze einer aufgeblähten Zigarette, ist voller rauem Herzen und Grizzly-Eingeweiden. Der Gesang auf „Badlands“ ist so groß, rau und bereit wie eh und je. Er kann jedoch immer noch diese hohen Töne treffen und greift in flüchtigen Momenten in „The River“, „The Promised Land“ und später in „Glory Days“ zu einem engelhaften Falsett.

Mein Onkel schlägt vor, dass etwa nach zwei Stunden eine frühere Annahmeschlusszeit in Frage käme; Springsteen kann nicht möglicherweise Mach noch eine Stunde weiter so. Offensichtlich hat er noch Benzin im Tank für eine letzte, volle Zugabe – und noch mehr. Die Band spielt „Born in the USA“, „Born to Run“, „Bobby Jean“, „Glory Days“ und „Dancing in the Dark“. Dank Springsteens Vorliebe, bei Aufnahmen ohne Mikrofon zu brüllen, In den USA geboren war schon immer ein Album, das vor Vitalität vibriert, selbst wenn man es über billige, blecherne Lautsprecher hört. Es ist jedoch eine ganz andere Erfahrung, es live zu hören. Die Produktion wird abgeschafft und alles, was übrig bleibt, ist die glühende Wärme und Rohheit, für die er so berühmt und beliebt ist.

Der Dance-Rock-Titeltrack der Platte, vollgestopft mit massiven Drums und Synthesizern, ist eine willkommene Überraschung. Die Band hat bei ihren jüngsten US-Shows größtenteils darauf verzichtet – vielleicht weil der dröhnende Refrain oft mit einer fahnenschwenkenden, chauvinistischen Hymne verwechselt wird. „Bobby Jean“ ist derweil ein wunderbarer Moment. Obwohl es nie bestätigt wurde, glauben die Fans, dass der Track – ein liebeskranker Barnstormer mit einem epischen Thema und zweideutigen Pronomen – als Abschieds-Ode an Van Zandt geschrieben wurde, nachdem der Gitarrist die Band in den Achtzigern kurzzeitig verlassen hatte.

Bruce Springsteen und Steve Van Zandt treten gemeinsam auf der Bühne der British Summer Time 2023 auf

(PA)

Auf der Bühne albern die beiden Männer herum, drehen sich zur Kamera und schneiden lustige Gesichter. Als das Stück zu Ende geht, weicht Roy Bittans Klavierriff den herrlichen Saxofonklängen des verstorbenen Clarence Clemons. Heute Abend ist es jedoch sein Neffe Jake, der das Publikum durch die unverwechselbare Coda des Liedes führt.

„Dancing in the Dark“ ist der größte Hit des Abends. Es ist daher eine Überraschung, dass Springsteen sich nach seinem euphorischen Höhepunkt und nur noch zwei Minuten vor Schluss dafür entscheidet, sich nicht für eine wohlverdiente Pause in die Kulissen zurückzuziehen, sondern solo auf die Bühne zurückzukehren und mit einer akustischen Interpretation von zu beenden „I’ll See You In My Dreams“ aus dem Jahr 2020. Wieder frage ich mich: Ist jemals jemand auf der Welt besser gealtert als Bruce Springsteen?

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