Katharina Huber, Gewinnerin des Nachwuchsregisseurs von Locarno, erklärt „Ein guter Ort“: „Fortschritt kann manchmal reaktionär sein“ Am beliebtesten: Pflichtlektüre Melden Sie sich für den Variety-Newsletter an Mehr von unseren Marken


Raketen, Krankheit, Fortschritt und Umwelt – alles beunruhigende Schlagworte unserer Gegenwart.

In „Ein schöner Ort“ von Katharina Huber, der am Samstag in Locarno den Preis für die beste Nachwuchsregisseurin und die beste Leistung (Clara Schwining) bei „Filmmakers of the Present“ des Schweizer Festivals gewann, bereitet ein abgelegenes und unzeitgemäßes Dorf die Bühne für eine drohende Apokalypse, sondern auch für ein jenseitiges Märchen. Oder sind diese beiden ein und dasselbe?

Hubers erster Spielfilm beginnt mit dem Bild eines Waldbrandes und lässt den dystopischen Ton einer schwer fassbaren audiovisuellen Reise ahnen, bei der Emotionen Vorrang vor rationalen Erklärungen haben.

Im Rhythmus eines Countdowns jonglieren in dieser Kapitelgeschichte Margarita (Céline De Gennaro) und Güte (Schwining) – zwei Frauen mit gegensätzlichen Persönlichkeiten – alltägliche Aufgaben des täglichen Lebens mit störenden Sabotageakten. Dennoch scheinen sie selbst nicht zu wissen, was die drohende Bedrohung ist und wogegen sie rebellieren.

Immer wieder verschwinden Menschen auf mysteriöse Weise. Eine unbekannte Krankheit breitet sich im Dorf aus. Wie als Vorzeichen einer schrecklichen Katastrophe tauchen aus dem Nichts zerstückelte Hühnerteile auf. Wie hängt das alles zusammen? Oder hängen sie überhaupt zusammen?

Das paradoxe Vergnügen beim Anschauen von „A Good Place“ besteht darin, dass weder die Charaktere noch der Zuschauer in der Lage sind, all diese seltsamen Umstände zu verstehen. Huber wollte mit ihrem Debüt nie einen konzeptionellen Charakter haben, sondern vielmehr einen Film, der mehr die Sinne anspricht und sich weniger mit Erzählung und Inhalt beschäftigt. „Es war wichtig, etwas zu tun, das nicht auf einer sachlichen Ebene kommuniziert. Etwas, bei dem die Leute den Film mit dem Gefühl verlassen, dass sie bewegt sind, ohne dass sie die genaue Stimmung genau bestimmen können“, sagt der Regisseur.

“Ein guter Ort”
Bildnachweis: © Katharina Huber

Im Hintergrund all der bizarren Ereignisse im Dorf berichten einige unheimliche Radiosendungen über einen bevorstehenden Raketenstart. Programme und Bulletins speisen Fragmente politischer Kontexte und sozialer Richtlinien aus einer Welt ein, die möglicherweise außerhalb der Gemeinschaft existiert und scheinbar in Aufruhr ist.

Ausgehend von der allumfassenden Angst, die mit bahnbrechenden Veränderungen einhergeht, untersucht Huber die widersprüchliche Natur von Technologie und Fortschritt. Der Film konfrontiert die Befürworter des Wandels und die chronischen Skeptiker und liefert einen Chor ungelöster Widersprüche darüber, wie die Zukunft aussehen sollte. „Fortschritt kann manchmal reaktionär sein“, betont Huber und bringt damit zum Ausdruck, dass es eine menschliche Sturheit gibt, besessen vom Fortschritt zu sein und die Richtung nicht zu ändern, selbst wenn man sich eines drohenden Untergangs bewusst wird.

Huber scherzt, dass die übermäßige Präsenz des Radios im Film möglicherweise auf ihre eigene Vorliebe für das Medium zurückzuführen sei, um informiert zu bleiben. Sie hört wegen der Nachrichten viel Radio. Der Regisseur erklärt diese Vorliebe und geht kurz auf die Beziehung des Films zu Katastrophenbildern ein: „Bilder können einen so großen Einfluss haben. Es gibt so viele gewalttätige und verrückte Dinge auf der Welt und ich habe manchmal Angst vor Bildern.“

Als Gegenstück zur Technik gibt es in „A Good Place“ natürlich die Natur. Bilder düsterer Wälder unterstreichen zusätzlich die Unheimlichkeit der Umgebung, in der Margarita und Güte leben. Huber meint, dass es heutzutage vor allem in Deutschland, wo sie lebt, eine Tendenz zu geben scheint, zur Natur zurückkehren zu wollen. Dennoch sagt sie: „Ich wollte die Natur nicht romantisieren“ und habe mich für einen eher direkten Zugang zu Landschaften entschieden, in denen es sich „einfach um bewohnte Räume“ handelt und in denen schöne Wälder gleichermaßen unwirtlich wirken können.

„Eine Szenerie kann selbst eine Figur sein“, fügt die Regisseurin hinzu und betont in ihrer Herangehensweise eine Art Affinität zu Stillleben und müßigen Momenten. „Ich mag Stillleben und die Momente dazwischen, weil sie eine Fülle an sich haben. Sie sehen ein Bild und genau das passiert. Es besteht kein Bedarf an allzu viel Interpretation.“ Diese Bilder sind auch für den Rhythmus des Films von entscheidender Bedeutung. „Es war wichtig, dass wir diese Momente des Innehaltens hatten und ich wollte nicht von einer Handlung zur nächsten wechseln“, bemerkt Huber zur Notwendigkeit einer atmosphärischeren Kadenz für die Geschichte.

Hubers Spielfilmdebüt – und eigentlich ein wichtiger erster filmischer Einstieg als Regisseur, nachdem er vor allem im Animationsbereich mit preisgekrönten Kurzfilmen wie „Der natürliche Tod einer Maus“ und „Tangram“ gearbeitet hatte – ist letztlich untypisch für die aktuelle deutsche Filmlandschaft .

„A Good Place“ ist so „Indie“, wie ein Independentfilm nur sein kann. Mit einem bescheidenen Budget (zumindest für deutsche Filme) arbeitete Huber für ihren Film auch mit einem sehr kleinen Team und fungierte auch als Autorin, Redakteurin und Produzentin. Mit ihrer in Köln ansässigen Produktionsfirma Acker Film beweist Huber fundiertes handwerkliches Können auf verschiedenen Ebenen des Filmemachens, was der Jury der Filmmakers of the Present in Locarno sicherlich nicht verborgen blieb.

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