Die konzeptionelle Arbeit der polnischen Künstlerin Wanda Czełkowska steht im Mittelpunkt des Muzeum Susch


Das Muzeum Susch, ein außergewöhnliches Privatmuseum in einem ruhigen Schweizer Bergdorf, ist eine Hommage an ein verborgenes Juwel der polnischen Avantgarde-Kunst.

Ich wache im Morgengrauen auf, um zum London City Airport zu reisen. Nach einem schnellen Flug lande ich in Zürich, Schweiz. Aber meine Reise hat gerade erst begonnen.

Während ich durch die atemberaubende Schweizer Landschaft reise, erreiche ich mit vier verschiedenen Zügen mein endgültiges Ziel: das idyllische Bergdorf Susch.

Susch, die verschlafene Stadt mit gerade einmal 200 Einwohnern, einem kleinen Lebensmittelladen, einem Antiquitätenladen und einem urigen Hotel, wirkt wie der Inbegriff der Abgeschiedenheit.

Warum bin ich also den ganzen Weg gereist, um einen so scheinbar unbekannten Winkel der Welt zu besuchen?

Die Antwort liegt in den historischen Mauern eines ehemaligen Klosters und einer Brauerei aus dem 12. Jahrhundert, eingebettet in den Bergen des Dorfes – einer außergewöhnlichen privaten Forschungs- und Kunsteinrichtung namens Muzeum Susch.

Ich bin hier, um die neueste große Ausstellung des Museums zu sehen – eine Retrospektive über Wanda Czełkowska, eine zeitgenössische polnische Künstlerin der Nachkriegszeit, deren Brillanz in der Kunstgeschichte bis vor Kurzem zu Unrecht übersehen wurde.

Die Mission des Muzeum Susch

In Susch angekommen, gebe ich meine Tasche in der Unterkunft ab und mache mich auf den Weg zum Museum, das praktischerweise nur einen kurzen Spaziergang entfernt liegt.

Ich werde von Grażyna Kulczyk begrüßt, der angesehenen polnischen Sammlerin und Unternehmerin, die das Museum 2019 gegründet hat.

Als Kulczyk über den Standort ihres Museums nachdachte, war sie sofort von der ruhigen und ruhigen Atmosphäre von Susch fasziniert, die perfekt zu ihrer Vision von der Atmosphäre und dem Zweck des Museums passte.

„Ich bin davon überzeugt, dass immer mehr Menschen einen friedlichen Umgang mit Kunst suchen. Sie suchen eine Umgebung, die der ruhigen Kontemplation und Selbstbeobachtung förderlich ist“, sagt der 72-jährige Sammler.

„Meiner Ansicht nach bedeutet dieser Trend eine Weiterentwicklung der Museen, da traditionelle, überfüllte Institutionen nicht mehr die gewünschte Ruhe bieten“, fügt sie hinzu.

Das Museum erstreckt sich über zahlreiche Gebäude und erstreckt sich bis hin zu unterirdischen Grotten, die alle sorgfältig von einem Team erfahrener Architekten entworfen und gebaut wurden.

Über seinen ruhigen Rahmen hinaus hat das Muzeum Susch eine klare Mission: die Arbeit übersehener oder missverstandener Künstlerinnen aus allen Teilen der Welt hervorzuheben und zu feiern.

„In der Kunst sehen wir immer noch zu wenig Wertschätzung für Künstlerinnen. Es ist immer noch so, dass viele Institutionen von Männern geleitet werden, die generell lieber Männer zeigen“, ist Kulczyk überzeugt.

Zu den bemerkenswerten Ausstellungen des Museums in der Vergangenheit gehörten Werke der kolumbianischen Bildhauerin Feliza Bursztyn sowie der Schweizer Künstlerinnen Heidi Bucher und Hannah Villiger.

Im Mittelpunkt steht nun Wanda Czełkowska, die ihre allererste große internationale Retrospektive feiert.

Wer ist Wanda Czełkowska?

Czełkowska war eine herausragende Figur der polnischen Avantgarde, die vor allem für ihre Skulpturen und ihren minimalistischen Ansatz bekannt war.

Im Laufe ihrer Karriere spielte sie eine einflussreiche Rolle bei der Entwicklung der Konzeptkunst in Polen und erhielt zahlreiche Auszeichnungen für ihre Arbeit.

Zu ihrem künstlerischen Repertoire gehören neben der Bildhauerei auch Fotografie, Zeichnung, Malerei und andere Ausdrucksformen.

„Sie studierte an der Kunstakademie in Krakau, in der Bildhauereiabteilung zu der Zeit, als das kommunistische Regime den sozialistischen Realismus als wichtigste künstlerische Doktrin einführte“, erklärt die Kuratorin der Ausstellung, Matylda Taszycka.

Der sozialistische Realismus in der polnischen Kunst beschränkte sich auf Porträts von Parteiführern und verschiedene Darstellungen muskulöser Arbeiter und Kampfszenen, wobei besonderes Augenmerk auf den Volksgeschmack gelegt wurde.

Trotz ihrer klassischen Ausbildung beschäftigte sie sich mit verschiedenen intellektuellen Beschäftigungen, darunter Kunst, Geschichte, Philosophie (insbesondere französische Philosophie) und Theorie der zeitgenössischen Musik.

Nach 1956, nach dem Tod des polnischen kommunistischen Aktivisten Bolesław Bierut und der anschließenden Entstalinisierung aller Volksrepubliken, erlebte Polen eine künstlerische Liberalisierung und Czełkowska suchte nach ihrem eigenen künstlerischen Ausdruck.

Ihre Arbeit entwickelte sich parallel zur polnischen Kunstszene, von der figurativen Kunst in den 1950er Jahren bis hin zu einem Interesse an abstrakter Kunst und später Minimalismus und Konzeptkunst ab den späten 1960er Jahren.

„Ihre Praxis interagierte einerseits mit dem, was in der polnischen Kunstszene geschah, also mit den Experimenten rund um figurative und abstrakte Kunst in den 1950er Jahren“, erklärt Taszycka.

„Andererseits orientierte sich ihre Arbeit ab den späten 1960er-Jahren sehr stark an den Prinzipien des Minimalismus und der Konzeptkunst“, fügt sie hinzu.

Was ist auf der Ausstellung zu sehen?

Die Ausstellung mit dem Titel „Wanda Czełkowska: Kunst ist keine Ruhe“ präsentiert eine kuratierte Sammlung ihrer bedeutendsten und bisher ungesehenen Kunstwerke, die verschiedene Medien wie Skulptur, Fotografie, Zeichnung und Malerei umfassen.

Der Titel stammt aus Notizen von Czełkowska und spiegelt ihre Einstellung zur Kunst als anspruchsvoll wider.

Als ich das bezaubernde Museum betrete, erläutert Taszycka die Schwerpunkte der Ausstellung, die sich um drei zentrale Themen drehen, die tief in der kreativen Praxis des Künstlers verwurzelt sind: „Der Körper“, „Der Geist“ und „Der Raum“.

Das Herzstück der Ausstellung ist eine von Czełkowskas monumentalsten Installationen, „Absolute Elimination of Sculpture as a Notion of Shape“, die für die Ausstellung originalgetreu rekonstruiert wurde.

Es besteht aus 66 großen, flachen, vorgefertigten Betonplatten in zwei verschiedenen Farbtönen und bedeckt den Boden und die Wände des größten Galerieraums des Muzeum Susch.

„Es ist ein historischer Moment. Sie stellte sich dieses Stück 1972 vor, als sie von ihrer Ausstellung in Schottland zurückkam, und fertigte damals ein verkleinertes Modell davon an“, erklärt Taszycka.

Sie fügt hinzu: „Es ist so monumental, so schwierig, so schwer. Es sind 17 Tonnen Beton. Und jede Platte wiegt mehr als 200 Kilogramm. Das Stück ist also technisch sehr kompliziert herzustellen.“

Das Ausmaß von Czełkowskas künstlerischem Können wird in der Ausstellung auch durch ihr Werk „Stół“ (polnisch für „Tisch“) veranschaulicht.

Die Installation besteht aus 18 abstrakten, büstenähnlichen Hohlskulpturen, die auf einem großen Tisch angeordnet sind.

Taszycka unterstreicht bei der Kuratierung der Ausstellung eloquent die Bedeutung des Maßstabs.

„Ich finde, dass die Arbeit von Künstlerinnen oft zu Unrecht vom Bereich des monumentalen Ausmaßes abgekoppelt wird. Es bleibt eine Herausforderung, sich vorzustellen, dass Künstlerinnen den Ehrgeiz und die Fähigkeit besitzen, grandiose Werke zu schaffen“, erklärt Taszycka

Sie fügt hinzu: „Meine Absicht mit dieser Ausstellung war es, genau diesen Ehrgeiz eines Künstlers hervorzuheben, der furchtlos in diesem riesigen Raum agiert und furchtlos die Monumentalität annimmt.“

Czełkowskas künstlerische Brillanz erstrahlt in der gesamten Ausstellung deutlich, nicht nur im Umfang ihrer Arbeit, sondern auch in ihrer bemerkenswerten künstlerischen Vielfalt. Von lebendigen abstrakten Gemälden bis hin zu aufwendig detaillierten Skizzen menschlicher Köpfe kommt ihre Kreativität und ihr Talent voll zur Geltung.

Über Czełkowskas Kreationen hinaus zeigt das Museum auch zahlreiche Dauerwerke, insbesondere die beeindruckende Installation „Stairs“ der polnischen Künstlerin Monika Sosnowska – eine gedrehte schwarze 14 Meter lange Stahlkonstruktion, die elegant an der Decke des Kühlturms der ehemaligen Brauerei hängt.

Darüber hinaus schmückt im höhlenartigen Bereich des Museums eine faszinierende Spiegelinstallation aus rostfreiem Stahl von Mirosław Bałka den Raum.

Für Liebhaber avantgardistischer und moderner Kunst ist dieses Museum ein absolutes Muss. Und auch wenn die ausgestellte Kunst nicht jedermanns Geschmack trifft, schafft die nahtlose Mischung aus traditioneller Architektur und zeitgenössischer Kunst in einer wunderschönen Umgebung eine wirklich einzigartige und besondere Atmosphäre.

„Wanda Czełkowska: Kunst ist keine Ruhe“ ist bis zum 26. November 2023 zu sehen.

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