Die EU darf dringende Reformen des Abschlussprüfungsmarktes nicht aufschieben


Nach dem Wirecard-Bilanzskandal hatte die EU-Kommission eine Reform der Regeln für Wirtschaftsprüfer versprochen – nun muss sie diese aber endlich vorlegen, da die Probleme klar seien und es jede Menge Lösungsvorschläge gebe, schreibt Sebastian Mack.

Sebastian Mack ist Experte für europäische Finanzmärkte am Jacques Delors Centre in Berlin.

Jahrelang bescheinigte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY Wirecard saubere Bilanzen, doch am Ende fehlten 1,9 Milliarden Euro. Als Reaktion auf den Zusammenbruch des Zahlungsabwicklers kündigte die EU an weitreichende Reformen. Bis Ende 2022 wollte die zuständige Kommissarin Mairead McGuinness einen Gesetzesvorschlag vorlegen.

Doch nun scheint es die EU-Kommission nicht eilig zu haben. Anfang Dezember McGuinness angegeben dass die Kommission ihre Bewertung der Probleme weiter vertiefen müsste. Einen Termin für konkrete Reformvorschläge nannte sie nicht.

Dies ist nicht gerechtfertigt. Die Probleme des von den „Big Four“ Deloitte, EY, KPMG und PwC dominierten Wirtschaftsprüfungsmarktes sind hinlänglich bekannt und Lösungsvorschläge gibt es genug. Die Kommission selbst führte a öffentliche Anhörung und eine Studie über die nach der Finanzkrise eingeführten Regeln in Auftrag gegeben. Das Ergebnisse wurden Anfang Dezember veröffentlicht und unterstreichen den akuten Handlungsbedarf.

Die Marktkonzentration bleibt hoch

Seit 2016 besteht europaweit eine Rotationspflicht für Abschlussprüfer. Große, börsennotierte Unternehmen müssen spätestens alle 10 Jahre ihren Wirtschaftsprüfer wechseln und ausschreiben. Damit soll der Wettbewerb gestärkt und einer zu großen Nähe zwischen Wirtschaftsprüfer und geprüftem Unternehmen entgegengewirkt werden.

Allerdings laden mehr als die Hälfte der Unternehmen nur die Big Four zur Ausschreibung ein. Da die Teilnahmekosten hoch sind, nehmen kleinere Prüfungsgesellschaften häufig nicht an Ausschreibungen teil, selbst wenn sie eingeladen werden. Das hat Folgen: In Italien und Irland teilen sich die Big Four etwa 90 % der gesamten Prüfungshonorare, in Deutschland dominieren sie mit 95 % den Markt.

Mehr Unabhängigkeit, weniger Konkurrenz

Um Interessenkonflikte zu reduzieren, hat die EU eine schwarze Liste verbotener Beratungsleistungen erstellt, die Wirtschaftsprüfer ihren Prüfungsmandanten nicht anbieten dürfen. Darüber hinaus darf das Honorar aus zulässigen Beratungsleistungen 70 % des Prüfungshonorars nicht übersteigen.

Während die Obergrenze von 70 % zu hoch ist, um die Unabhängigkeit effektiv zu stärken, schadet die schwarze Liste dem Wettbewerb. Für große, komplexe Unternehmen qualifizieren sich ohnehin nur eine Handvoll Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Wenn dann noch der eine oder andere wegen Beratungsleistungen von der Prüfung ausgeschlossen wird, haben Unternehmen kaum noch eine Wahl.

Kaum Sanktionen

Zur Durchsetzung der europäischen Regeln müssen alle EU-Mitgliedsstaaten Wirtschaftsprüfer unter Aufsicht stellen und Verstöße sanktionieren. Die Höchststrafen variieren jedoch stark und reichen von 14.300 € in Lettland bis zu 5.000.000 € in Portugal.

Ungeachtet der theoretischen Möglichkeiten sträuben sich Vorgesetzte in der Praxis, Verstöße zu sanktionieren. Zypern beispielsweise hat zwischen 2017 und 2020 überhaupt keine Sanktionen verhängt. Im gleichen Zeitraum wurden in der gesamten EU nur viermal Bußgelder von mehr als einer Million Euro verhängt. Große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zahlen solche Strafen aus der Portokasse.

Intransparente Aufsicht

Auch die nationalen Aufsichtsbehörden zögern, ihre Aktivitäten zu veröffentlichen. Bei Sanktionen legen viele Aufseher nur aggregierte Zahlen offen oder anonymisieren die Regelverletzer. Sie kommunizieren auch oft nicht die Ergebnisse ihrer eigenen Untersuchungen von Wirtschaftsprüfern.

Mit dieser Intransparenz erweisen die Aufseher den Unternehmen einen Bärendienst. Sie wollen wissen, ob ihr Prüfer etwas falsch gemacht hat und wie der Vorgesetzte die Qualität beurteilt. Diese Geheimniskrämerei schützt nur die schlechten Wirtschaftsprüfer.

Von einem Binnenmarkt keine Spur

Der europäische Prüfungsmarkt besteht aus einem Flickenteppich nationaler Vorschriften. Mitgliedsstaaten können von der EU-Vorgabe von 10 Jahren für die Rotationspflicht abweichen: In Bulgarien sind es sieben Jahre, in anderen Ländern bis zu 24.

Auch die nationalen Definitionen von Prüfungs- und Beratungsleistungen und die Obergrenze für zulässige Beratungsleistungen sind uneinheitlich. Auch die Wirtschaftsprüfer plädieren für Änderungen: Neun von zehn befürworten eine Harmonisierung, um die Anwendung der Regeln zu vereinfachen und Kosten zu senken.

Den Prüfungsmarkt auf die Beine stellen

Die vorliegenden Ergebnisse lassen keinen Zweifel daran, dass die nach der Finanzkrise beschlossenen Reformen des Prüfungsrechts die Probleme nicht beseitigt haben. Potenzial Lösungen wurde vorgeschlagen.

Um den Wettbewerb endlich zu stärken, müssen auch kleinere Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in der Lage sein, große und komplexe Unternehmen zu prüfen. Der beste Weg, um die notwendige Erfahrung und Kapazität aufzubauen, besteht darin, gemeinsame oder gemeinsame Prüfungen mit der obligatorischen Beteiligung einer Nicht-Big-Four-Prüfungsgesellschaft vorzuschreiben.

Ebenso müssen Aufsichtsbehörden transparenter werden, um Unternehmen bei der Suche nach einem Wirtschaftsprüfer zu unterstützen und vor schwarzen Schafen zu warnen. Um Interessenkonflikten wirksam vorzubeugen, sollten Beratungsleistungen für Prüfungsmandanten ausnahmslos untersagt werden. Und schließlich bedarf es einer stärkeren europäischen Koordinierung und Harmonisierung der Vorschriften sowie ihrer Durchsetzung.

Reformen dürfen nicht länger aufgeschoben werden

Damit die Reform noch vor der Europawahl 2024 durchkommt, muss die EU-Kommission jetzt schnell ihren Gesetzesvorschlag vorlegen. Die letzten Reformverhandlungen dauerten mehr als zwei Jahre und gingen als Mutter aller Lobbykämpfe in die Geschichte ein.

Auch der Widerstand der etablierten Player wird diesmal erheblich sein. Aber das sollte die Politiker nicht abschrecken. Wollen sie künftig Skandale wie Wirecard verhindern, müssen sie grundlegende Reformen anstoßen.

In seinem Koalitionsvertragversprach die Bundesregierung, die Unabhängigkeit der Abschlussprüfung zu stärken und der hohen Marktkonzentration entgegenzuwirken. Wenn es wirklich ernst ist, muss sie jetzt in Brüssel auf Reformen drängen.



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