Deutschland ist trotz muslimischer Voreingenommenheit nicht bereit für eine Antidiskriminierungsreform


Muslimische Frauen, die Kopftücher tragen, seien in Deutschland besonders von Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen, stellte ein Bericht fest, obwohl nicht alle in der Regierungskoalition für eine Reform des Antidiskriminierungsgesetzes sind.

Lesen Sie den deutschen Originalartikel hier.

Spätestens nach Sinti und Roma sind Muslime die am wenigsten akzeptierten Minderheiten in Deutschland Lagebericht des Anti-Rassismus-Kommissars der Regierung, Reem Alabali-Radovan, schloss.

Da das Kopftuch als religiöses Symbol auffällt, werden insbesondere muslimische Frauen diskriminiert – sei es im Alltag, bei der Wohnungssuche oder auf dem Arbeitsmarkt.

Um dem entgegenzuwirken, stärkte die Koalition aus SPD, Grünen und FDP von Bundeskanzler Olaf Scholz die Antidiskriminierungsstelle des Landes, indem sie Ferda Ataman zur ersten unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung ernannte.

Laut Ataman versprachen die Regierungsparteien aber auch eine Novelle zur Vereinfachung des in Deutschland sehr komplizierten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes AGG, um Betroffenen die Abwehr von Diskriminierungen zu erleichtern.

„Die Fristen, die Opfer haben, um rechtliche Schritte gegen Diskriminierung einzuleiten, sind mit acht Wochen viel zu kurz“, sagte Ataman gegenüber EURACTIV. Zudem würden die Betroffenen das Prozessrisiko alleine tragen.

„Doch sie selbst wurden diskriminiert und müssen nun oft gegen ihren eigenen Arbeitgeber vorgehen“, fügte Ataman hinzu.

2016 Experte Auswertung forderte eine Änderung des AGG.

Klagerecht der Vereine

Wie Ataman ist auch die sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Josephine Ortleb der Ansicht, dass Verbände in solchen Angelegenheiten ein Klagerecht haben sollten.

„Darauf konnten wir uns in den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene leider nicht einigen“, sagte sie gegenüber EURACTIV. Das Verbandsklagerecht würde es Antidiskriminierungsverbänden ermöglichen, gerichtlich gegen Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgesetz vorzugehen.

Auf Seiten der Grünen hält auch Misbah Khan, Mitglied des Innenausschusses des Bundestags, eine Reform und insbesondere das Verbandsklagerecht für überfällig.

„Diskriminierung und Rassismus sind ein strukturelles und gesellschaftliches Problem“, sagte sie gegenüber EURACTIV.

Doch die Einführung ins Gesetz scheiterte bisher an der Skepsis der FDP.

„Wir stehen Kollektivmaßnahmen grundsätzlich skeptisch gegenüber. Wir wollen Menschen befähigen und unterstützen, für ihre eigenen Rechte einzustehen“, sagt Katrin Helling-Plahr, Europaabgeordnete und rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, gegenüber EURACTIV.

„Wir haben uns als Koalition vorgenommen, das AGG in dieser Legislaturperiode zu evaluieren“, so sie weiter.

Kopftücher erschweren die Jobsuche

Muslimische Frauen mit Kopftuch haben es besonders schwer, Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden, a lernen aus dem Jahr 2016, für die 1.500 fiktive Bewerbungen verschickt wurden, zeigt.

Demnach mussten sich Frauen mit Kopftuch und türkischem Namen viermal so oft bewerben wie gleichqualifizierte Frauen mit typisch deutschen Namen ohne Kopftuch, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Für höherqualifizierte Stellen mussten sie sich bis zu achtmal häufiger bewerben.

Ähnliches erlebte Dr. Asmaa El Idrissi, PhD, Antidiskriminierungs- und Diversity-Beauftragte der Stadt Bochum, bevor sie ihre jetzige Stelle fand.

„Von 120 Bewerbungen wurde ich zu maximal 10 Vorstellungsgesprächen eingeladen, obwohl ich wie angegossen in die Jobs passe“, sagte sie gegenüber EURACTIV.

„Je höher die Stelle, auf die man sich bewirbt, desto höher die Diskriminierung“, fügte sie hinzu.

El Idrissi leitete früher das Antidiskriminierungsnetzwerk in Hessen, wo sie „unglaublich viele“ Fälle erlebte, in denen muslimische Frauen nicht einmal zur Wohnungsbesichtigung eingeladen wurden. „Da ist schon der ausländisch klingende Name ausschlaggebend“, sagte sie.

Laut Ataman sollten sich Frauen in diesem Fall beraten lassen und keine Diskriminierung dulden. „Das Tragen eines Kopftuchs ist eine persönliche, religiöse Verpflichtung – und das sollten wir akzeptieren“, betonte sie.

Reformbedarf

Um den Schutz vor Diskriminierung zu stärken, fordert El Idrissi wie Alabali-Radovan in ihrem Lagebericht, dass die Bundesländer auch in Bereichen, in denen der Bund keine Kompetenz hat, Gesetze erlassen müssen.

Als erstes Bundesland hat Berlin 2020 ein Landes-Antidiskriminierungsgesetz eingeführt.

„Deutschland ist in der Öffnungsphase, aber ich habe den Eindruck, dass es sich in den letzten Jahren wieder zurückentwickelt hat“, sagte sie mit Blick auf die von Rassenhass geschürten Amokläufe in Halle und Hanau 2019 bzw. 2020.

Großbritannien führt das Rudel an

Mit Blick auf andere Länder nannte El Idrissi Großbritannien als positives Beispiel, wo das Minderheitenverständnis „ganz anders“ sei als in Deutschland.

„Dort gibt es auch in den höchsten Positionen Frauen, die Kopftuch tragen und eine Chance haben“, sagte sie über das Land, von dem Deutschland ihrer Meinung nach „viel lernen kann“.

Tatsächlich wurde Raffia Arshad im Mai 2020 die erste kopftuchtragende Richterin im Vereinigten Königreich, während Polizistinnen aus North Yorkshire an einem Kopftuchdesign arbeiteten, das als Teil der Polizeiuniform getragen werden kann.

Sowohl der offene Diskurs als auch die Repräsentation sind laut El Idrissi sehr wichtig, um die gesellschaftliche Wahrnehmung muslimischer Frauen mit Kopftuch in Deutschland zu verändern – was laut dem Migrant Integration Policy Index 2020 (MIPEX) Prüfberichtbietet keine langfristige Sicherheit für Nicht-EU-Migranten und hat einen der schwächsten Antidiskriminierungsschutzmaßnahmen unter den untersuchten Staaten.

„Äußere Merkmale – ebenso wie sie dazu dienen, negative Bilder zu vermitteln – können auch dazu beitragen, dass sich die Wahrnehmung von Frauen mit Kopftuch verändert, sobald sie in irgendeiner Position gesehen werden“, fügte sie hinzu.

[Edited by Oliver Noyan/Nathalie Weatherald]



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