Das Europäische Gesetz zur Medienfreiheit braucht einen Balkan-Fokus


Die Kandidatenländer für die EU-Mitgliedschaft müssen sich vollständig an das Europäische Gesetz zur Medienfreiheit halten, das in der Zwischenzeit verbessert werden muss, schreibt Antoaneta Nikolova.

Antoineta Nikolova ist die Direktorin des Balkan-Initiative für freie Medien.

Der Fokus von Nichtregierungsorganisationen, die für Medienfreiheit, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit kämpfen, lag viele Jahre außerhalb Europas. Für Aktivisten und Spender war Europa im Vergleich zu autoritären Staaten auf anderen Kontinenten ein Ort, an dem Medienfreiheit selbstverständlich war.

Sieben der Top 10 Plätze im Medienfreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen sind europäische Länder. Und doch haben wir in den letzten Jahren in Europa eine schwere Erosion des Medienökosystems erlebt.

In Polen, Ungarn, Griechenland und Bulgarien, die im Reporter-ohne-Grenzen-Index mehrere Jahre in Folge das Schlusslicht der EU-Länder bildeten, ist die Medienlandschaft ernsthaft bedroht, und in der Slowakei und auf Malta wurden Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet. Das Signal an die europäischen Institutionen war mehr als deutlich.

„Die Medien sind für das Funktionieren unserer demokratischen Gesellschaften und Volkswirtschaften unerlässlich“, heißt es in dem am 16. September vorgelegten Entwurf des Europäischen Gesetzes zur Medienfreiheit der Europäischen Kommission.

Der Dokumententwurf setzt konkrete Ziele: Harmonisierung nationaler Rechtsrahmen, Schutz der Öffentlichkeit vor schädlichen Inhalten, auch aus Drittstaaten (ua Russland, China etc.), Verringerung des Risikos staatlicher und privater Eingriffe in die Redaktionspolitik, wie sowie eine transparente, faire Anzeigenzuteilung und verifizierte Kriterien von People-Metric-Agenturen sicherzustellen.

Das ist lobenswert und zeitgemäß, aber nicht genug.

Die Berichterstattungsregeln zum Medieneigentum beispielsweise sind diskretionär und freiwillig.

Für Oligarchen in Osteuropa ist es wie „es ändert sich nichts, wenn sich nichts ändert“. Die totale Kontrolle über die Medien auf dem Balkan geschah gerade dank des verdeckten Medieneigentums, und wenn Europa von ihnen erwartet, dass sie ihre Einflussmöglichkeiten freiwillig aufgeben, dann bleibt das Mediengesetz in der dekorativen Sphäre des Wunschdenkens. Dasselbe gilt für Werbemodelle und People-Metric-Agenturen, die für die Existenz kostenloser Informationen und gezielter Werbung, die die meisten Medien zum Überleben brauchen, von entscheidender Bedeutung sind.

Medienbesitz ist der Kern der Machtergreifung.

Die Medienfreiheit kann nicht gelöst werden, wenn das Medieneigentum nicht geregelt wird.

Die Medien auf dem Balkan ersticken am Griff politischer Akteure, deren Hände das „Brot und das Messer“ sind. Für eine kurze Orientierung reicht es beispielsweise, sich die Analysen für die Proxy-Inhaber in Bulgarien und Nordmazedonien anzusehen.

Paradoxerweise waren Länder, in denen sich das Medienumfeld in einem kritischen Zustand befindet, empfänglicher dafür, das Dokument zu begrüßen, als Verfechter der Medienfreiheit. Das ist an sich schon besorgniserregend.

Die Haupteinwände gegen das vorgeschlagene Mediengesetz kamen aus den baltischen Ländern, die als erfolgreich genug angesehen werden, dass Europa sich nicht in sie einmischen und in ihre souveräne Gesetzgebung eingreifen muss. Für Schweden sind viele Elemente zur Harmonisierung von Gesetzen nicht einmal in ihren nationalen Gesetzen vorhanden, und Estland bewertet seine Medien als gesund genug, um keine Abhilfe zu benötigen.

Auch Medienfreiheitsorganisationen haben gemischte Gefühle.

Das EU Disinfo Lab beispielsweise glaubt, dass Artikel 17 des Gesetzentwurfs einen Großteil der Fortschritte im Kampf gegen Desinformation zunichte machen und den Weg für weitere Lobbyarbeit für die vollständige Befreiung der Medien von der Moderation von Medieninhalten ebnen könnte.

Solche Einwände veranlassten die EK, die Konsultationsfrist bis Ende des Jahres zu verlängern. Bis dahin können die betroffenen Parteien ihre bisher zaghaft geäußerten Positionen äußern.

Für die EU-Mitgliedstaaten des Balkans ist die Verantwortung sogar noch größer, da ihre Bewertungen für die Beitrittskandidaten von wesentlicher Bedeutung sein werden.

Die EU muss sicherstellen, dass das neue Mediengesetz positive Auswirkungen auf die Beitrittsländer haben kann, in denen die Verschlechterung der Medienfreiheit ein wachsendes Problem darstellt. Auf dem Balkan zum Beispiel untergraben führende Medien, die Fehlinformationen verbreiten, die Einstellung gegenüber der EU zugunsten von Russland und China.

Dies ist Alltag in Serbien, das bei seiner Medienstrategie für 2020 oder der Angleichung an die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU noch Fortschritte machen muss. Tatsächlich sind zivilgesellschaftliche Gruppen und Abgeordnete jetzt besorgt, da Serbien bereit zu sein scheint, alle fünf seiner nationalen Fernsehlizenzen an pro-russische und regierungsfreundliche Medien zu vergeben.

Zunächst einmal sollte sich die EU gegen Serbiens intransparentes Verfahren zur Vergabe dieser Lizenzen wehren.

Ebenso wichtig für die langfristige Stabilität sollte die EU die Angleichung der lokalen Gesetzgebung an das europäische Medienrecht zur Bedingung für Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen machen und die Finanzierung einfrieren, wenn keine deutlichen Fortschritte erzielt werden. Freie Medien sind der Eckpfeiler der Demokratie, und die EU muss einen Weg finden, ihr neues Gesetz einzusetzen, um ihre Nachbarn dort zu unterstützen, wo die Demokratie bedroht ist.

EURACTIV Bulgarien ist organisingen eine Konferenz zum Thema am 15. November in Brüssel bei dem Antoinette Nikolova Diskussionsteilnehmerin sein wird.



source-127

Leave a Reply