Das teure Rennen der Banken um die besten KI-Systeme

New York Der Roll-out bei Morgan Stanley hat begonnen. Schrittweise bekommen die rund 16.000 Vermögensverwalter der US-Bank in diesen Tagen Zugang zum firmeninternen Chat-Programm GPT-4. Das ist das neuste Sprachmodell von OpenAI, dem kalifornischen Entwickler von Künstlicher Intelligenz (KI), doch es basiert ausschließlich auf den Studien, die die Analysten und Ökonomen von Morgan Stanley selbst produzieren. So sollen Informationen schneller zugänglich gemacht und besser aufbereitet werden können.

Schon im vergangenen Winter hatte das Wall-Street-Institut Zugang zu GPT-4, deutlich vor allen anderen, betont Jeff McMillan, der die Themen Innovation, Daten und Analyse in der Vermögensverwaltung verantwortet, im Gespräch mit dem Handelsblatt. Basis dafür war eine Kooperation zwischen Morgan Stanley und OpenAI, die der Vermögensverwaltung einen frühen Zugriff auf die Technologie ermöglichte. Deshalb sieht McMillan Morgan Stanley jetzt „der Konkurrenz weit voraus“.

Die Bank will sich einen der vordersten Plätze im Wettbewerb um die besten KI-Systeme sichern. Das Rennen ist längst im Gang. Alle großen Banken investieren große Summen in die neue Technologie und heuern im großen Stil KI-Experten an. Regulierungsbehörden müssen sich diesen Entwicklungen anpassen. Und schon jetzt zeigt sich: Europäische Banken hinken hinterher.

Rund 40 Prozent aller offenen Stellen entfallen bei den engagiertesten Instituten auf Mitarbeiter mit KI-Kompetenz, wie Dateningenieure sowie Mitarbeiter mit Expertise in den Bereichen Ethik und Governance. Das geht aus einer Studie des Analysehauses Evident hervor, das sich auf die KI-Nutzung in Unternehmen spezialisiert hat.

Amerikas größte Bank, JP Morgan Chase, liegt dabei vorn. Das Institut hatte von Februar bis April weltweit 3651 KI-bezogene Stellen ausgeschrieben, fast doppelt so viele wie ihre engsten Konkurrenten Citigroup und Deutsche Bank, wie die Daten von Evident zeigen.

Es ist eine vielschichtige Aufgabe: „Es reicht nicht, nur die richtigen Mitarbeiter zu haben oder genügend Budget. Banken brauchen eine Infrastruktur, die nötige Rechenleistung, sie brauchen eine gewisse Menge an Daten. Und sie brauchen Leute, die sich in der Lage fühlen, Anwendungsfälle zu identifizieren und Modelle zu erstellen“, erläutert Evident-Chefin Alexandra Mousavizadeh. Ein ganzes Ökosystem müsse vorhanden sein, um die Implementierung zu beschleunigen.

KI kommt in alle Bereiche der Finanzwelt

Die Technologie wird zu umfassenden Veränderungen bei den Finanzhäusern führen, ist Mousavizadeh überzeugt. „KI wird buchstäblich in jedem Winkel und in jeder Ecke der Banken zu finden sein. Egal ob es um Kundenbeziehungen, Kreditlinien, Werbekampagnen, Betrugsbekämpfung oder Cybersicherheit geht.“ Sogenannte generative KI, die Texte und Bilder generiert, sei dabei nur ein Teil. Doch es ist dank OpenAI ein wichtiger Bereich, für den sich die Wall Street gerade sehr interessiert.

Bei Morgan Stanley nutzten die Mitarbeiter die firmeneigene Version von GPT-4 vor allem für drei Bereiche: Erstens, wenn es Fragen zu bestimmten Aktien und wirtschaftlichen Entwicklungen gibt: „Tendieren unsere Experten eher zur Aktie von Apple oder zu der von Google, wäre ein Beispiel“, erklärt McMillan.

Der Einsatz von KI wird das Bankgeschäft fundamental verändern. Jamie Dimon, CEO von JP Morgan

GPT-4 beantworte, zweitens, auch Fragen zu internen Prozessen, zum Beispiel wie man ein Kundenkonto eröffnet. Das größte Potenzial sieht McMillan jedoch im Austausch von sehr speziellem Wissen, über das nur wenige in der Bank verfügen. „Wir haben einen Kunstexperten, der sich sehr gut mit dem Verkauf teurer Werke auskennt. Aber mit unserem internen GPT-4 können wir diese Informationen allen Beratern zur Verfügung stellen.“

Dort gehe es um Fragen wie: Wo kann man Kunstwerke schätzen lassen? Wie kann man Kunst am besten vererben? Welches sind die besten Auktionshäuser in der Nähe des Kunden? Das habe die Qualität der Beratungsgespräche deutlich stärker verbessert, als er zunächst angenommen habe.

Da sich der Chat-Dienst nur auf Daten der Bank beziehe, gebe es auch nicht die Gefahr sogenannter Halluzinationen. Damit ist gemeint, dass der reguläre GPT-4-Dienst hin und wieder falsche Informationen ausspuckt. Das liegt daran, dass sich der Dienst auch aus sozialen Netzwerken und anderen Quellen bedient, die nicht zuvor auf ihre Richtigkeit geprüft wurden.

US-Branchenführer JP Morgan arbeitet an seinem eignen Chat-Bot im Stile von GPT-4, wie aus Patentanmeldungen hervorgeht. So soll das Programm, das die Bank IndexGPT nennt, Wertpapiere für Kunden auswählen können. Darüber hatte zuerst der Börsensender CNBC berichtet. „Der Einsatz von KI wird das Bankgeschäft fundamental verändern“, betonte CEO Jamie Dimon im Juli im Gespräch mit dem Handelsblatt.

„Wir müssen uns bei jedem Prozess, bei jedem Produkt und bei jeder App fragen, ob wir sie durch KI verbessern können.“ Bei JP Morgan würden sich gut 3000 Mitarbeiter mit dem Thema befassen, so Dimon. Das gelte für neue Anwendungen genauso wie für ethische und regulatorische Fragen, die die Nutzung von KI aufwirft.

Europäische Banken im Abseits

Große Institute seien hier klar im Vorteil, betont Dimon. Nach vielen profitablen Jahren stehen amerikanische Banken grundsätzlich deutlich besser da als die europäische Konkurrenz. Das mache sich auch bei der Implementierung von KI bemerkbar, so Mousavizadeh von Evident. Das Analysehaus veröffentlicht einen KI-Index für die 60 größten Finanzinstitute aus den USA und Europa und die Daten zeigen: „Die europäischen Banken hinken ihren nordamerikanischen Konkurrenten hinterher und der Abstand vergrößert sich“, so das Fazit nach dem jüngsten Update.

So würden US-Banken etwa 99 Mal so viele Patente einreichen wie die Europäer. Auch würden sie doppelt so viel in KI-Start-ups investieren. Die wichtigsten Geldgeber seien hier Wells Fargo, Goldman Sachs, First Citizens und JP Morgan. Mousavizadeh warnt davor, den Wettbewerb bei KI zu unterschätzen: „Wer nicht mithält, der wird nicht überleben“, sagt sie. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wann das der Fall sein wird, aber der Trend geht eindeutig in diese Richtung.“

Doch mit dem KI-Boom wächst auch die Gefahr neuer Krisen. Für Gary Gensler, Chef der US-Börsenaufsicht SEC, könnte KI „das nächste große systemische Risiko für das Finanzsystem sein“.

Da KI von Netzwerkeffekten und Skalierung profitiert, könnte es am Ende nur zwei oder drei grundlegende KI-Modelle geben,CEO Jamie Dimon im Juli im Gespräch mit dem Handelsblatt. auf denen eine Vielzahl von anderen Anwendungen aufbauen. Dies werde die Verflechtungen im gesamten Wirtschaftssystem vertiefen und einen Finanzcrash wahrscheinlicher machen, so Gensler. Das würde den sogenannten Herdentrieb der Investoren noch verstärken, daher werde „diese Technologie im Zentrum künftiger Finanzkrisen stehen“.

Für Regulierer sei es derzeit schwer, mit den Entwicklungen in den Banken mitzuhalten, gibt ein Banker in New York zu bedenken, der sich eng mit den Behörden austauscht.

Auch Mousavizadeh von Evident sieht die Gefahr. Doch sie betont auch, dass KI-Modelle „immer robuster werden und verschiedenste Risikoszenarien mit einkalkulieren können. Dadurch werde die Wahrscheinlichkeit, dass etwas „gewaltig schiefgeht, geringer. Aber sie wird nie null sein.“

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