Das schwierige Geschäft der Lebensversicherer – und die drei derzeit größten Risiken

Düsseldorf Eigentlich hatten die Lebensversicherer die steigenden Zinsen seit Jahren herbeigesehnt – damit sich ihre Finanzkennzahlen verbessern und sie die Gelder ihrer Kundinnen und Kunden wieder zu besseren Konditionen am Kapitalmarkt anlegen können. Doch nun diskutiert die Branche vor allem die Schattenseiten des abrupten Zinsanstiegs.

„Es gab selten eine Phase mit so vielen gleichzeitigen Herausforderungen“, sagt etwa Heiko Faust, Partner bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman, beim Handelsblatt Strategiemeeting Lebensversicherung am Dienstag. Die Branche müsse sich angesichts steigender Zinsen neu positionieren.

Faust zählt weitere Herausforderungen für die Branche der Lebensversicherer auf: eine alternde Gesellschaft, hohe regulatorische Anforderungen, die Einhaltung von Standards im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Stichwort ESG), die notwendige IT-Modernisierung und ein starker Kostendruck.

Eines der Hauptprobleme aber ist aus Sicht von Marktbeobachtern das aktuelle Zinsumfeld. Andreas Zapp von der Finanzaufsicht Bafin hebt in diesem Zusammenhang drei Risiken hervor: „Erstens: Durch das gestiegene Zinsniveau werden andere Anlageformen für Kunden wieder attraktiver“, betonte er. Deshalb gestaltet sich das Neugeschäft schwierig. Insbesondere Policen, bei denen Kunden eine größere Summe auf einmal anlegen, sind aktuell kaum noch gefragt. Zapp sieht besonders die Rückgänge bei diesem Einmalbeitragsgeschäft kritisch.

In Zeiten von Minuszinsen waren diese Produkte noch stark nachgefragt, sie hatten eine regelrechte Sonderkonjunktur erlebt. „Seit 2010 konnten Lebensversicherer für Einmalbeiträge teils deutlich höhere Renditen als der Kapitalmarkt geben“, ergänzt Faust von Oliver Wyman. Dieser Vorteil gegenüber anderen Anlagearten wie etwa Tages- und Festgeldern bei Banken sei nun aber nicht mehr gegeben.

Wegen der Einbrüche im Einmalbeitragsgeschäft rechnet der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) für 2023 mit einem Beitragsrückgang in der Lebensversicherung von 4,3 Prozent. Immerhin: Im Frühjahr hatte der Lobbyverband sogar noch ein Minus von 5,5 Prozent prognostiziert.

Einkaufsstraße in Düsseldorf

Wer für das Alter vorsorgen will, hat viele Möglichkeiten.

(Foto: IMAGO/Michael Gstettenbauer)

Guido Bader, Vorstandschef der Stuttgarter Lebensversicherung, beschwichtigt daher: „Es gibt immer noch Anbieter, die einen Neugeschäftszuwachs verzeichnen – vor allem bei Policen mit laufender, also meist monatlicher Beitragszahlung.“  Laut Jochen Ruß vom Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa) reagieren die Menschen, die über längere Zeiträume fürs Alter sparen, in der Regel weniger auf Zinsänderungen als die, die Einmalbeiträge anlegen.

Trotz des Zinsanstiegs hat sich die Struktur der Produkte laut Bader bislang kaum geändert – auch weil viele Lebensversicherer abwarten, wie es mit der staatlich geförderten Riester-Rente weitergeht und was die Bundesregierung mit den Empfehlungen macht, die die Fokusgruppe private Altersvorsorge im Frühsommer abgegeben hat. Die Expertengruppe mit Vertretern aus Verbraucherschutz, Wissenschaft, Branchenverbänden und Politik hatte unter anderem chancenreichere Anlagen mit höheren Renditechancen gefordert, die einfach und flexibel sind.

Die Versicherten profitieren jedenfalls von den gestiegenen Marktzinsen bisher nur wenig: Der Höchstrechnungszins, mit dem Lebensversicherer maximal kalkulieren dürfen, liegt derzeit bei 0,25 Prozent. Eine leichte Anhebung dürfte es Bader zufolge frühestens 2025 geben.

„Garantieprodukte haben nach dem Zinsanstieg dieselbe Garantie und lediglich eine geringfügig erhöhte erwartete Rendite, die sich aber erst nach Jahren realisieren wird“, erklärte Ruß. Denn die Überschussbeteiligung, die Versicherte zusätzlich zum Garantiezins erhalten können, steigt erst nach und nach an. Kaufkraftverluste durch die erhöhte Inflation lassen sich so nicht ausgleichen.

Laut Bader von der Stuttgarter Lebensversicherung sind bei Verbrauchern daher vor allem fondsgebundene Versicherungen ohne Garantien gefragt. Um im Wettbewerb mit Fondsanbietern bestehen zu können, müssten Versicherer aber noch stärker an der Flexibilität der Produkte arbeiten, betonte Michael Fauser, Vorstandschef der Ergo Vorsorge Lebensversicherung.

Liquiditätsplanung wird wichtiger

Das zweite große Risiko für die Lebensversicherer neben dem sinkenden Neugeschäft sieht Bafin-Mann Zapp darin, dass mehr Versicherungsnehmer ihre bestehenden Verträge stornieren oder beitragsfrei stellen könnten. Gerade bei hochvolumigen und kapitalmarktnahen Versicherungsprodukten sei es in den vergangenen Monaten zu erhöhten Abgängen gekommen, beobachtete er.

Insgesamt erwartet Stuttgarter-Leben-Chef Bader im laufenden Jahr zwar nur leicht erhöhte Stornierungen in der Branche. Zapp fordert dennoch, dass die Lebensversicherer ihre Liquiditätsplanung im Griff haben sollten, falls eine steigende Kundenzahl frühzeitig an ihr Geld kommen will.

Stille Lasten könnten zum Problem werden

Das gelte auch deshalb, weil viele Anbieter stille Lasten in ihren Handelsbilanzen hätten – was für Zapp das dritte große Risiko ist. Die stillen Lasten kommen dadurch zustande, dass die Anleihen, in die die Lebensversicherer in der Niedrigzinsphase investiert hatten, bei steigenden Zinsen an Wert verlieren. Solange die Unternehmen diese Papiere bis zur Endfälligkeit halten, sei das kein Problem. Wenn Kunden aber in großem Stil Geld abziehen, müssten Versicherer voraussichtlich einige der Anleihen mit Verlust veräußern.

Besondere Herausforderungen sieht Zapp im aktuell schwierigen Umfeld bei den Lebensversicherern, die nicht nur in Anleihen investiert, sondern auch einen hohen Bestand an sogenannten illiquiden Kapitalanlagen – also Private Equity, Private Debt und Immobilien – haben. „Bei Immobilien sehen wir bereits erste Wertkorrekturen, und weitere Abschreibungen erscheinen möglich“, so der Bafin-Experte weiter.

Hinsichtlich der in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Projektentwickler beobachte die Bafin die aktuellen Entwicklungen im Immobilienbereich sehr genau, betonte ein Bafin-Sprecher gegenüber dem Handelsblatt. Die konkreten Auswirkungen dieser Schwierigkeiten auf Versicherer seien bislang aber als gering einzustufen.

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