Das müssen Unternehmen bei der Einführung eines eigenen ChatGPT beachten

Düsseldorf McKinsey hat eine neue Assistentin in Dienst gestellt: Lilli ist ein Chatprogramm, über das die Mitarbeitenden der Wirtschaftsberatung auf Fallstudien, Gesprächsmitschriften und Präsentationen der Firma zugreifen können. Die Bedienung per Sprachbefehl soll den Zugang zu den mehr als 100.000 Dokumenten radikal vereinfachen.

Die Beratung ist eines der ersten Unternehmen, die große Sprachmodelle mit Künstlicher Intelligenz (KI) für die Wissensarbeit einsetzen – aber nicht das einzige. Bosch entwickelt ein Assistenzsystem, das die Suche nach internen Informationen erleichtern soll. Und dm hat jüngst das Programm ChatGPT für den sicheren Einsatz im Unternehmen angepasst.

In vielen anderen Organisationen laufen Diskussionen und Projekte, um den Einsatz der Technologie zu prüfen. 70 Prozent der IT-Abteilungen seien in einem „Erkundungsmodus“, berichtet das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Gartner aus einer Umfrage unter 2500 IT-Führungskräften. 19 Prozent testen die Technologie demnach bereits.

Trivial ist die Einführung nicht: Programme wie ChatGPT – unter dem Schlagwort generative KI bekannt – produzieren regelmäßig Fehler, sind eine Herausforderung für den Datenschutz und brauchen stichhaltige Daten. Wie also muss sich eine Organisation vorbereiten? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Warum haben Sprachmodelle so großes Potenzial?

Große Sprachmodelle wie GPT-4 von OpenAI, Luminous von Aleph Alpha und viele andere können Inhalte auf menschlichem Niveau verarbeiten. Sie suchen beispielsweise aus einem Wissensfundus gezielt Informationen heraus, erstellen aus mehreren Artikeln eine Zusammenfassung oder formulieren Entwürfe für Texte.

Die Unternehmensberatung Accenture – die wie McKinsey in diesem Bereich auf ein starkes Geschäftsfeld hofft – sieht einen „bedeutenden Wendepunkt in der Künstlichen Intelligenz“: zum einen könne die Technologie erstmals die Komplexität der Sprache bewältigen, zum anderen für eine Vielzahl von Aufgaben angepasst werden. Von der Social-Media-Abteilung, die LinkedIn-Einträge formulieren lässt, bis zum Vertrieb, der Vorlagen für Angebote verwendet.

Wofür sich die Technologie in ihrem Unternehmen genau eignet, ist vielen aber noch unklar. „Alle haben die beeindruckenden Anwendungsfälle gesehen, zum Beispiel im Umgang mit Kunden oder bei der Vorbereitung von Präsentationen“, beobachtet Nicole Büttner, Chefin des IT-Dienstleisters Merantix Momentum.

Zunächst gehe es aber darum, sich das grundlegende Wissen anzueignen. „Die meisten Organisationen probieren einfach erst mal aus.“

Welche Einsatzszenarien gibt es bislang?

McKinsey hat vier Gruppen von Anwendungen identifiziert, die sich für generative KI eignen:

  • Suche und Zusammenfassung von Inhalten aus unstrukturierten Daten wie Texten und Präsentationen
  • Erstellung von Inhalten wie Text, Bild und Video
  • Kundenservice per Chat
  • Erstellung von Programmcode

Eines der ersten großen Einsatzszenarien ist das Wissensmanagement. „In jedem Unternehmen gibt es einen Kollegen, der weiß, wie die Dinge funktionieren“, sagt Mark-W. Schmidt, der beim IT- und Beratungsunternehmen msg die Organisationseinheit Künstliche Intelligenz leitet. „So eine Funktion kann der Computer künftig übernehmen.“ An die Stelle eines Gesprächs an der Kaffeemaschine tritt ein Chat.

Die Idee: Unternehmen speisen beispielsweise Richtlinien für interne Prozesse in das System. Wenn Mitarbeiter den Chatbot fragen, wie sie ein neues Notebook bestellen, generiert dieser automatisch eine Anleitung. Genauso lassen sie sich Vorlagen für Verkaufspräsentationen erstellen, sofern früher erstellte Angebote in das Modell eingeflossen sind.

Unternehmen betreiben zwar schon länger Suchmaschinen für interne Dokumente. Diese seien oft jedoch nicht sehr leistungsfähig, sagt Schmidt. Das liegt etwa daran, dass Daten in verschiedenen Systemen liegen, auf die der Algorithmus keinen Zugriff hat.

Auch Nicole Büttner hält das systematische Wissensmanagement für eines der Topthemen, die Unternehmen mit eigenen GPTs angehen wollen – zum Beispiel, um die Einarbeitung neuer Mitarbeiter zu verbessern.

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Die Technologie lässt sich nicht nur für interne Zwecke nutzen, sondern auch im Umgang mit Kunden. Modelle wie GPT-4 und Luminous könnten mit ihrem Sprachverständnis jegliche Art von Suche erleichtern, auch auf der Hilfeseite eines Unternehmens, sagt Björn Lorenzen, Deutschland-Vertriebschef von Yext, das Software fürs Kundenmanagement anbietet.

Potenzial für Verbesserungen und Einsparungen sieht der Manager zudem bei der Bewältigung von Kundenanfragen und der Beantwortung von Bewertungen auf Online-Plattformen: „Wenn das System passende Textbausteine vorschlägt oder automatisiert antwortet, kann der interne Arbeitsaufwand sinnvoll reduziert werden.“

Großes Potenzial haben KI-Modelle zudem bei der Überwindung von Sprachbarrieren. Sie können multilingual trainiert werden und können damit potenziell Kundenanfragen in allen Sprachen beantworten. Das Berliner Start-up Nyonic zum Beispiel will Übersetzbarkeit zwischen allen europäischen Sprachen anbieten.

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Welche technischen Unterschiede gibt es?

„Ein eigenes Sprachmodell“ – das kann viel bedeuten. Die Unterschiede zwischen den Systemen, die derzeit zum Einsatz kommen, sind erheblich.

  • Einige Unternehmen stellen ein Standardmodell wie ChatGPT intern zur Verfügung. Anpassungen bei Sicherheit und Datenschutz sollen gewährleisten, dass sensible Informationen in der Organisation bleiben. Über Spezialwissen verfügen diese Systeme aber nicht.
  • Bosch und andere reichern Standardmodelle mit eigenen Dokumenten an – man spricht vom Finetuning. So ein System ist anschließend in der Lage, beispielsweise Texte mit Fachbegriffen zu formulieren oder interne Dokumentationen zu durchsuchen.
  • Einige wenige Unternehmen trainieren selbst Modelle. So hat der Datendienstleister Bloomberg ein System entwickelt, das umfangreiche Finanzdaten als Grundlage nutzt und die Begrifflichkeiten der Branche versteht. Dieser Aufwand dürfte sich indes für die wenigsten lohnen.

Welche Voraussetzungen braucht es?

Es ist leicht, ChatGPT auszuprobieren und mit einfachen Befehlen zum Beispiel eine E-Mail zu verfassen. Damit Geschäftsprozesse zu verbessern und alle Mitarbeiter im professionellen Umgang mit den Systemen zu schulen ist ungleich schwieriger.

Beginnen die Berater des IT-Dienstleisters msg ein Projekt, suchen sie mit Kunden zunächst potenzielle Einsatzgebiete für die Technologie – und klären, ob die nötigen Daten vorhanden sind. Daraus ergeben sich laut Mark-W. Schmidt viele Fragen: „Hat ein Unternehmen die Daten, die es für das Projekt braucht? Darf es sie verwenden? Und wie müssen sie aufbereitet werden?“

Beispiel Datenschutz: Nyonic-Mitgründerin Feiyu Xu weist darauf hin, dass es erforderlich ist, zunächst alle Dokumente um persönliche Daten zu bereinigen. So müssen etwa die Namen von Mitarbeitern gelöscht oder anonymisiert werden.

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Auch die Organisation muss sich vorbereiten. BASF arbeitet gerade an der Einführung eines Chatsystems, das alle Mitarbeiter nutzen können sollen. Das größte Potenzial sieht der Dax-Konzern in der Kombination generativer KI und interner Daten, etwa fürs Wissensmanagement und die interne Suche.

„Wir streben eine breite Adaption im Unternehmen an“, formuliert es der Chemiekonzern. Deswegen bietet BASF über die eigene „Data und AI Academy“ Kurse an. Mitarbeiter sollen „die Vorzüge und Grenzen der KI-Lösungen verstehen, sicher damit arbeiten können und wissen, wie Ergebnisse zu interpretieren sind“.

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Rechnet sich der Einsatz der Technologie?

Beraterinnen und Ökonomen prognostizieren, dass KI die Produktivität deutlich steigern wird. Unternehmen sollten jedoch in jedem Einzelfall rechnen, ob sich der Einsatz der Technologie lohnt – manche Versprechen der Technologiehersteller haben sich schließlich nicht bewahrheitet.

In Geschäftsbereichen wie Vertrieb und Marketing sei es gut möglich, Kennzahlen zu entwickeln, sagt Yext-Manager Lorenzen: Wenn etwa die Kunden eines Onlineshops durch eine bessere Suchmaschine mehr interessante Produkte finden, steigt der Umsatz. Auch eine schnellere Beantwortung von Anfragen oder Beschwerden durch die Kundenbetreuung dürfte eine spürbare Verbesserung bringen.

Die Effizienz von Wissensarbeit ist allerdings kaum konkret messbar, etwa, wie viel Zeit Mitarbeiter sparen, wenn sie schneller Informationen zu Beschaffungsanträgen finden oder eine Vorlage für eine Stellenausschreibung auf Knopfdruck erhalten.

Neben finanziellen Kalkulationen spielen nach Ansicht von msg-Experte Schmidt aber auch strategische Erwägungen eine Rolle. Beispiel Demografie: „Die Babyboomer-Generation geht in Rente und mit ihr viel Erfahrung“, sagt Schmidt. Eine Rechercheassistenz, die auf Dokumentationen und Richtlinien zugreift, könne helfen, die Lücke an Wissen und Fachkräften zu schließen.

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