„Bin optimistisch, dass der Staat mit Gewinn aussteigen wird“

Düsseldorf Der neue Chef von Deutschlands größtem Gasimporteur Uniper, Michael Lewis, trägt große Verantwortung: Er soll ein Unternehmen stabilisieren, das der Staat vor wenigen Monaten mit Milliarden vor der Pleite retten musste. Denn bis ins vergangene Jahr war Uniper auf russisches Erdgas angewiesen.

Im Interview mit dem Handelsblatt verspricht Lewis, dass der Staat „mit Gewinn“ aussteigen wird. Das Russlandengagement verteidigt er: „Die Beziehung zu Russland war in der Vergangenheit erfolgreich für Deutschland.“ Doch Uniper habe aus dem Ukrainekrieg gelernt zu diversifizieren. Künftig will Lewis erneuerbare Energien und „auch neue, wasserstofffähige Gaskraftwerke“ bauen. So soll der Konzern finanziell und ökologisch nachhaltiger werden.

Beides ist dringend nötig. Zwar schreibt Uniper nach seinen Milliardenverlusten 2022 jetzt schon wieder schwarze Zahlen. Das dürfte aber vor allem mit den schwankenden Gaspreisen zusammenhängen. Für den kommenden Winter sieht Lewis Deutschland indes „besser vorbereitet als für den letzten“.

Herr Lewis, Sie übernehmen die Führung eines Konzerns, der im vergangenen Jahr einen Verlust von 19 Milliarden Euro verbucht hat und vom Staat vor der Pleite gerettet werden musste. Ein Traumjob sieht anders aus, oder?
Es ist zumindest mein Traumjob. Ich bin ja schon lange in der Energiebranche unterwegs. 1993 habe ich bei Powergen angefangen, das Unternehmen gehört heute zum britischen Teil von Uniper. Das erste Kraftwerk, das ich damals besucht habe, war Ratcliffe, das auch heute noch zu Uniper gehört. Uniper-Chef zu sein ist ein bisschen wie nach Hause kommen.

Was reizt Sie denn an der Aufgabe?
Es gibt bei Uniper ein einziges Problem: den Krieg zwischen Russland und der Ukraine und Unipers Gaslieferverträge mit Russland. Das Geschäftsmodell von Uniper war und ist stark. Deswegen bin ich überzeugt: Es war eine gute Entscheidung der deutschen Regierung, Uniper zu retten. Wir können einen sehr spezifischen Beitrag zur Energiewende leisten: Uniper wird grüne, aber auch flexible Stromerzeugung bereitstellen. Also genau das, was die Gesellschaft braucht: Energie, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.

Uniper hat gerade eine neue Strategie vorgelegt: Wasserstoff statt Erdgas, mehr Wind, mehr Solar – klingt genauso wie die alte Strategie, die Ihr Vorgänger Klaus-Dieter Maubach vor zwei Jahren groß angekündigt hat.
Es gibt drei wesentliche Unterschiede. Erstens werden wir schneller aus der Kohle aussteigen, nämlich bis 2029. Bis 2040 wollen wir komplett klimaneutral sein. Das ist zehn Jahre früher als bislang geplant. Zweitens beschleunigen wir den Umbau unserer Kraftwerke, entweder hin zu grünen Gasen wie Wasserstoff und Biomethan, oder zu der Abspaltung und Speicherung von CO2. Und drittens werden wir deutlich mehr Geld investieren. Insgesamt acht Milliarden Euro bis 2030, dreimal so viel wie im Durchschnitt der letzten drei Jahre. Das meiste Geld werden wir in Deutschland investieren.

Auch in den Bau neuer Gaskraftwerke?
Der Umbau bestehender Standorte ist ein wichtiger Teil unserer Strategie. Aber: Wir wollen auch neue, wasserstofffähige Gaskraftwerke bauen.

Wie viele Gaskraftwerke wollen Sie denn bauen?
Diese Entscheidung haben wir noch nicht getroffen. Wir werden bis 2030 acht Milliarden Euro in die grüne Transformation investieren – dabei ist noch nicht genau definiert, wie das Budget zugeteilt wird – das hängt auch von den regulatorischen Bedingungen ab. Wichtig ist, die Projektpipeline konsequent weiterzuentwickeln und die besten Investitionsmöglichkeiten zu identifizieren.

„Wir als Management haben die Strategie selbst entwickelt“

Ihre Strategie ist ja noch sehr vage. Wie viel Gestaltungsspielraum haben Sie überhaupt? Uniper gehört ja zu 99 Prozent dem Staat.
Wir haben die Entscheidungen im Management getroffen. Natürlich berücksichtigen wir, was für unsere Eigentümer wichtig ist. Und das ist vor allem ein nachhaltiges Unternehmen – finanziell und ökologisch. Wenn wir das schaffen, kann das Bundesfinanzministerium auch unsere Anteile wieder verkaufen, und das war uns sehr wichtig.

Werden Staat und Steuerzahler die Milliarden, die in Uniper investiert wurden, wiedersehen?
Laut der EU-Vorgaben muss die Bundesregierung bis spätestens 2028 Uniper bis auf 25 Prozent plus eine Aktie wieder privatisieren. Ich bin optimistisch, dass der Staat mit Gewinn bei Uniper aussteigen wird.

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Wie läuft die Zusammenarbeit mit Ihrem Eigentümer konkret? Gibt es regelmäßige Treffen mit Vertretern des Finanzministeriums?
Natürlich gibt es Treffen mit dem Finanzministerium. Wir erklären genau, was wir machen. Der Bund ist unser wichtigster Anteilseigner, die deutschen Steuerzahler haben Uniper gerettet. Aber wir als Management haben die Strategie selbst entwickelt, und der Aufsichtsrat mit den Vertretern des Bundes hat sie dann genehmigt.

Bleibt Uniper mit der neuen Strategie noch ein Gasimporteur? Oder wird es zum Stromproduzenten?
Für Europa und für Deutschland insbesondere ist klar, dass wir grüne Gase importieren müssen. Wir können gar nicht so viele Erneuerbare aufbauen, wie wir grünen Wasserstoff brauchen. Deswegen müssen wir Wasserstoff, wahrscheinlich in Form von Derivaten wie Ammoniak, für unsere Industrie importieren. Hier kommt uns unsere Erfahrung mit verflüssigtem Erdgas, also LNG, zugute – ebenso wie unsere Erfahrung mit Langfristverträgen. Aber: Wir werden nur in Projekte investieren, die sich rechnen.

„Es ist eine Energiewende, keine Revolution“

Welche Projekte haben Sie konkret im Blick?
Die konkreten Projekte werden sich in den nächsten sechs bis zwölf Monaten ergeben. Dann können wir auch erste Details nennen.

Aber Erdgas spielt erst mal auch weiterhin eine wichtige Rolle fürs Geschäft?
Es ist eine Energiewende, keine Revolution. Wir brauchen Erdgas mindestens noch für zehn bis 15 Jahre, bevor die Nachfrage sinkt. Gleichzeitig bauen wir unser Portfolio mit grünen Gasen auf. Wie schnell wir die Wende schaffen, hängt auch davon ab, wie schnell die Kosten für grünen Wasserstoff sinken. Wie vor einigen Jahren beim Offshore-Wind müssen wir jetzt skalieren und innovativer werden, um die Technologie wettbewerbsfähig zu machen. Ein Unternehmen wie Uniper bringt die nötige Erfahrung, Expertise und Innovationskraft mit. Wenn wir darauf aufbauen, können wir die Kosten senken und die Energiewende beschleunigen.

Sie können aber nicht beliebig lange warten, bis grüner Wasserstoff günstig genug ist: Bis 2035 wollen Sie all Ihre Kraftwerke CO2-neutral betreiben. Das heißt, Sie müssen mindestens 8,5 Gigawatt Gaskraftwerke bis dahin auf grünen Wasserstoff umstellen. Ist das realistisch?
Wir werden es versuchen. Es ist wichtig, ein ambitioniertes Ziel zu haben. Und wir haben eine ganz klare Perspektive. Wir machen alles, was wir können, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn Sie 2007 gesagt hätten, dass Offshore-Wind mal billiger wird als ein Gaskraftwerk, hätte Ihnen das keiner geglaubt. Vor fünf Jahren war es aber so weit.

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Mit CO2-neutral meinen Sie wirklich nur grüne Energie oder auch die Abspaltung und Speicherung von CO2 (CCS) bei fossilen Gaskraftwerken?
Wenn wir von CO2-Neutralität über all unsere Märkte hinweg sprechen, bedeutet das: grüner Wasserstoff, Biogas oder CCS, also CO2-Abspaltung und -Speicherung.

Seit diesem Jahr schreibt Uniper wieder schwarze Zahlen, fürs Gesamtjahr erwarten Sie einen Nettogewinn im mittleren einstelligen Milliardenbereich. Gleichzeitig haben Sie immer noch alte Lieferverpflichtungen gegenüber Stadtwerken und Unternehmen. Wie kommen die Gewinne zustande?
Als der Gaspreis gesunken ist, haben wir zum richtigen Zeitpunkt eingekauft. So können wir unsere Stadtwerks- und Industriekunden beliefern, ohne mehr Geld von der Bundesregierung in Anspruch zu nehmen.

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Woher beziehen Sie denn inzwischen das Gas, das Sie Ihren Kunden liefern müssen? Haben Sie sich inzwischen genügend neue Quellen erschlossen?
Wir verfügen über langjährige Lieferpartnerschaften. Zusätzlich haben wir Lieferverträge für Flüssigerdgas abgeschlossen. Das deckt mehr als die Hälfte unseres Kundengeschäfts im Umfang von 200 Terawattstunden ab. Den Rest kaufen wir auf dem Großhandelsmarkt. Künftig wollen wir unser Portfolio weiter diversifizieren und blicken dabei in die USA, den Mittleren Osten, nach Australien und Aserbaidschan.

Lassen Sie uns noch über den kommenden Winter sprechen. Wie stabil schätzen Sie die Gasversorgung von Unternehmen, Stadtwerken und Verbrauchern ein?
Das hängt natürlich davon ab, wie sich die Nachfrage oder die Temperaturen entwickeln – sehr niedrige Temperaturen sind herausfordernd. Das Gleiche gilt, falls es ein Problem in einem anderen Teil des Energiesystems gibt. Aber die Gasspeicher sind voller als im vergangenen Jahr. Außerdem hat Deutschland jetzt LNG-Terminals, beispielsweise das von uns errichtete Terminal in Wilhelmshaven, und die Nachfrage nach Erdgas hat sich reduziert.

Ich bin überzeugt, dass wir die richtigen Vorbereitungen getroffen haben. Deutschland ist für diesen Winter deutlich besser vorbereitet als für den letzten.

Uniper-Gasspeicher

„Deutschland ist für diesen Winter deutlich besser vorbereitet als für den letzten“, sagt Firmenchef Michael Lewis.

(Foto: Uniper SE)

Dass wir für den letzten Winter so schlecht vorbereitet waren, lag auch daran, dass Uniper sich als zentraler deutscher Gasimporteur so abhängig von Russland gemacht hatte. Können Sie verstehen, dass es für die deutschen Bürgerinnen und Bürger schwer nachvollziehbar war, dass trotzdem der Staat eingesprungen ist und Uniper gerettet hat?
Das war ja vor meinem Start bei Uniper, entsprechend kann ich das nur von einer damals externen Perspektive betrachten. Die Beziehung zu Russland war in der Vergangenheit erfolgreich für Deutschland. Das billige Gas aus Russland hat zum Aufbau der deutschen Industrie beigetragen. Der russische Überfall auf die Ukraine war eine schreckliche Überraschung für alle. Wir haben unter anderem aus dem Ukrainekrieg gelernt, dass wir unser Gasportfolio diversifizieren müssen. Und das machen wir jetzt auch.

Würden Sie es rückblickend anders machen?
Wie gesagt: Das war vor meiner Zeit – ändern lässt es sich ohnehin nicht. Was wir ändern können, ist die Zukunft, und das machen wir – mit allem, was wir haben, und ambitionierten Zielen für unsere grüne Transformation.

Herr Lewis, vielen Dank für das Interview.

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