Auf dieses Elektro-SUV ist die Türkei stolz – eine Probefahrt im Togg

Gemlik Gürcan Karakas muss mehr bauen als ein Auto. Der Chef des türkischen Elektroautoherstellers Togg soll beweisen, dass die Türkei längst mehr ist als ein günstiger Produktionsstandort für internationale Konzerne. In fünf Jahren hat der ehemalige Bosch-Manager dafür einen ganzen Autokonzern aufgebaut – mit eigener Produktion auf 12.000 Hektar vor den Toren von Istanbul. Das erste Modell – ein Elektro-SUV – liefert die Marke bereits aus.

In seinen 29 Jahren beim Stuttgarter Automobilzulieferer war Karakas unter anderem Leiter des Türkeigeschäfts und ranghöchster Mitarbeiter mit ausländischen Wurzeln. Nun wagt er ein Projekt mit nationalem Anspruch.

Vertriebshilfe bekam die Marke dabei zuletzt von höchster Stelle. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan überreichte den Präsidenten von Aserbaidschan und Turkmenistan persönlich zwei der ersten Exemplare des Togg. Das zeigt, welchen Stellenwert das Projekt für die Regierung in Ankara hat und mit welchem Stolz der Togg auch auf höchster politischer Ebene vorgezeigt wird.

Die türkischen Großkonzerne Anadolu, BMC, Kök, Turkcell und Zorlu sowie die türkische Industrie- und Handelskammer TOBB haben über drei Milliarden Euro in das Projekt investiert. Für das Design des Fahrzeugs hat Karakas die italienische Firma Pininfarina beauftragt, die Modelle wie den Maserati Gran Turismo oder den Ferrari California entworfen hat.

Das erste Elektro-SUV der Türkei soll auch international für Aufmerksamkeit sorgen – mit viel Künstlicher Intelligenz (KI) und einem Service, den andere Hersteller so nicht bieten. Von einem Auto will Togg-Chef Karakas darum gar nicht sprechen – „außer wenn ich mich verplappere“. Er hat das Handelsblatt zu einer ersten Probefahrt eingeladen.

Selfiekamera und Meilensammeln beim Fahren

Schon in den Produktionshallen fällt auf, dass der türkische Hersteller ein großes Selbstbewusstsein mitbringt. Die Roboter-Greifarme der deutschen Firma Kuka hat Togg in der Firmenfarbe mintgrün gestrichen. „Aus Sicherheitsgründen werden die Roboter normalerweise immer in grellem Orange geliefert“, sagt Karakas, „doch das hat uns nicht gefallen“.

Startet man den Motor, hört man wie bei E-Autos üblich: nichts. Das Gaspedal reagiert erst sanft und beschleunigt dann zügig. Die Karosserie wirkt massiv und steif, was vor allem bei schnellen Kurvenfahrten auf dem Togg-Testgelände spürbar ist. In weniger als acht Sekunden beschleunigt der Togg auf 100 Stundenkilometer – für ein SUV ist das schnell, aber deutlich langsamer als Konkurrenzmodelle wie das Model Y von Tesla. Darum will Togg auch hier nachlegen: Die Allradversion soll den Sprint in 4,6 Sekunden schaffen.

Der lange Radstand ermöglicht in beiden Sitzreihen genug Platz. Das Kofferraumvolumen ist mit 441 Litern (1515 Liter bei umgeklappter Rückbank) im Vergleich zur Konkurrenz eher Mittelmaß.

Traditionelle Optik

Die italienische Designfirma Pininfarina hat das erste türkische Elektroauto entworfen – und setzt dabei auf eine traditionelle SUV-Optik.

Bei den digitalen Funktionen sieht sich die Marke allerdings weit vorn: Mithilfe einer KI soll das Auto seine Routen entwickeln und kann dabei auch die Wegstrecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder Fußwegen abstimmen. Das System gibt Tipps für die beste Abfahrtzeit und lernt dazu. Aus dem Cockpit lassen sich selbst smarte Haushaltsgeräte steuern – eine Funktion, die besonders Togg-Aktionär Zorlu wichtig war. Das Unternehmen vertreibt unter der Marke Vestel Küchengeräte in der Türkei.

>> Lesen Sie hier: Verkaufsstart für den Togg – wie Interessenten an das türkische E-Auto kommen

Der Elektromotor leistet 160 kW/218 PS. Der kleine Akku mit 52,4 Kilowattstunden ist in etwa so groß wie der Akku beim VW ID.4 in der Basisversion und soll eine Reichweite von bis zu 314 Kilometern möglich machen. In einer höheren Ausstattungsvariante kommt der Togg mit einer 88,5-kWh-Batterie auf bis zu 523 Kilometer. In der Topvariante wären dann auch ein Toter-Winkel-Assistent, Querverkehrs- und Müdigkeitswarner und ein automatischer Einparkassistent inklusive. Im Herbst soll eine Allradversion folgen.

Moderner Innenraum

Ein Panoramadach macht das SUV hell und lässt es geräumiger wirken. Dominiert wird der Innenraum von einem 29-Zoll-Display.

Per Joystick, der an einen Schubhebel im Flugzeug erinnert, lässt sich die Rekuperation des Fahrzeugs einstellen. Auf einer Straße mit starkem Gefälle gewinnt das Auto so seinen Strom zurück. Trotzdem wünscht man sich, das „Smart Device“ würde die Neigung der Straße selbst erkennen und den korrekten Modus einstellen, anstatt dass man mit zwei Knöpfen hantieren muss.

Das Display mit 29 Zoll Durchmesser erstreckt sich über die gesamte Breite des Wagens und ist dreigeteilt. Neben Tacho und Navigationssystem lässt sich auch eine Selfiekamera aktivieren, die Fotos der Insassen beim Fahren macht. In der Topversion V2 sitzt man auf Kunstleder – der Togg ist im Innenraum vegan ausgestattet.

>> Lesen Sie hier: Wie die Türkei eigene Tech-Größen hervorbringt

In der Sonderausstattung findet sich außerdem ein Panoramadach, das sich mit einem weißen Stoffbezug schließen lässt. Das ist allerdings nicht ganz einfach: Die stufenlose Einstellung geschieht nicht intuitiv über einen Schaltknopf über dem Rückspiegel, sondern per Menüwahl über ein weiteres Display in der Mittelkonsole.

Beim Preis will der Togg mit der Konkurrenz mithalten

Über die selbst entwickelte App „Trumore“ können Fahrerinnen und Fahrer Parkplätze und Hotels reservieren oder die Autobahnmaut bezahlen. Das Unternehmen hat dazu unter anderem eine Kooperation mit Turkish Airlines geschlossen. „Unsere Nutzerinnen und Nutzer können beim Fahren Meilen für ihren Goldstatus sammeln“, erklärt Karakas. Und wenn das Auto mal nicht das gesamte Leben organisieren, sondern einfach nur fahren soll, spielt eine KI in Endlosschleife eine Melodie, die jedes Mal einzigartig entwickelt wird und nicht reproduzierbar ist.

Preislich will Togg mit der Konkurrenz mithalten. Nach einer Steuererhöhung in der Türkei kostet die Basisversion inzwischen etwas mehr als 1,2 Millionen Lira, umgerechnet sind das gut 42.500 Euro. Als im Frühjahr bei Auslieferung der ersten Fahrzeuge der Wechselkurs der Lira noch nicht abgesackt war, lag der Euro-Verkaufspreis noch bei 47.500 Euro. Damit wäre das Modell allerdings leicht teurer als die Basisvarianten des Tesla Model Y oder des VW ID.4.

Wuchtige Optik

Durchgehende LED-Leiste, klassisches Design. Auch am Heck erlaubt sich Togg optisch wenige Experimente.

Karakas will im kommenden Jahr rund 20.000 Fahrzeuge produzieren. Im Heimatmarkt ist das Modell gut angelaufen: Innerhalb von zwölf Tagen interessierten sich 177.000 Türkinnen und Türken für einen Kauf. Wer zuerst kaufen durfte, wurde per Los entschieden. Interessenten in Deutschland müssen sich noch etwas gedulden. International will die Marke in Skandinavien starten. „Dort sind die Menschen offener, was neue Technologien angeht“, so Karakas.

Langfristig soll die Produktion von Togg zunächst auf 175.000 Autos pro Jahr ausgebaut werden. Bis 2030 will Karakas die Produktpalette auf fünf Modelle erweitern und eine Million Einheiten produzieren. Karakas verspricht: „Wir bauen kein Auto, sondern ein digitales Ökosystem.“

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