Statt Arbeitslosigkeit droht uns nun die Arbeiterlosigkeit

Als vor einigen Jahren fünfzig Nobelpreisträger nach der größten Bedrohung für die Menschheit befragt wurden, nannte mehr als ein Drittel von ihnen die Überbevölkerung des Planeten. Wer könnte dem widersprechen? 1975 überschritt die Weltbevölkerung die Vier-Milliarden-Marke, Ende dieses Jahres wird vermutlich der achtmilliardste Mensch geboren.

Diese „Population Bomb“ ist ohne Frage eine nie da gewesene Herausforderung für das ökologische Gleichgewicht unseres Planeten. Und es steht außer Zweifel, dass ein Ende des Bevölkerungswachstums der einzige Weg ist, den Planeten vor dem Klimakollaps zu bewahren.

Was die meisten Menschen jedoch übersehen: Das Schrumpfen der Weltbevölkerung ist längst eingeleitet. Und es wird weder ein Virus noch ein Krieg noch eine Naturkatastrophe sein, welche den Bevölkerungsrückgang verursacht. Es ist der Wohlstand.

Denn mit dem Fortschritt seit der industriellen Revolution ging nicht nur eine steigende Lebenserwartung einher, sondern auch sinkende Geburtenraten. Egal ob wir nach Europa, in die USA, nach China oder Japan blicken: Die Zahl der pro Frau geborenen Kinder reicht längst nicht mehr aus, um die Bevölkerung stabil zu halten.

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Heute zählen wir mindestens 97 Länder, in denen Frauen durchschnittlich weniger als 2,1 Kinder bekommen. Zu wenige, um die Bevölkerung dauerhaft stabil zu halten.

Die Bevölkerung wird schrumpfen

Und von Jahr zu Jahr steigt die Zahl der Länder, die unter diese magische Grenze fallen. Weil die Welt immer wohlhabender wird, weil immer mehr Menschen in Städten leben, weil immer mehr Kinder Zugang zu Bildung erhalten.

Es dauert nicht mehr lange, bis die Bevölkerung zu schrumpfen beginnt. Zuerst in Europa, dann in Asien und Amerika. Und vermutlich erlebt auch Afrika bald im Zeitraffer den Wandel, der uns Europäer aus der Armutsfalle befreit und in Richtung einer alternden Gesellschaft geführt hat.

Das ist der Preis des Fortschritts, der mit der industriellen Revolution seinen Anfang nahm. Der globale „Population Drop“ – er ist längst eingeleitet.

Zunächst einmal ist dies eine gute Nachricht für unseren Planeten – aber eine gewaltige Herausforderung für unser Wirtschafts- und Sozialsystem. Denn uns geht der wichtigste Treibstoff des Wirtschaftswachstums der vergangenen Jahrhunderte aus: der Mensch.

In Deutschland wird die Erwerbsbevölkerung bis zum Ende dieses Jahrhunderts um ein Drittel zurückgehen, in Italien, Spanien und Griechenland sogar um mehr als die Hälfte. Polen, Portugal und Rumänien werden genau wie China (!) oder Japan voraussichtlich sogar bis zu zwei Drittel ihrer Arbeitskräfte verlieren.

Sebastian Dettmers

Der CEO von Stepstone sieht in der Bevölkerungsrückgang auch neue Chancen. Vor allem die Schaffung von Chancengleichheit könne nun gelingen.

Eine Zeitenwende. Über Jahrhunderte strömten Millionen in Fabriken und Büros und kurbelten mit ihren Einkommen den Konsum an.

Sie sorgten mit ihren Steuergeldern dafür, dass investiert werden konnte. In Bildung, in Gesundheit, in Forschung, in Infrastruktur. Und in ein Sozialsystem, das eine immer größer werdende Zahl von Rentnern finanziert.

Nun beginnt dieser Motor zu stottern. Denn obendrein stagnierte zuletzt auch noch die Pro-Kopf-Produktivität, der wichtigste Gradmesser für den Fortschritt.

Treffen sinkende Bevölkerungszahlen auf eine stagnierende Produktivität, bedeutet das nichts anderes als ein Schrumpfen der Wirtschaft oder mit anderen Worten: jahrzehntelange Rezession. Auf die industrielle Revolution könnte ein Jahrhundert des Rückschritts folgen.

Das Schrumpfen der Bevölkerung in Deutschland, Europa und bald der gesamten Welt ist weder eine Utopie noch eine Dystopie. Es ist vielmehr ein Fakt. Und ein Weckruf: Statt der über Jahrzehnte befürchteten „Population Bomb“ werden wir einen „Population Drop“ erleben – mit gewaltigen Konsequenzen für unseren Wohlstand. Denn statt Arbeitslosigkeit droht uns in Zukunft die Arbeiterlosigkeit.

Zwei Wege aus der Arbeiterlosigkeit stehen offen

Wir erleben die Arbeiterlosigkeit schon heute, an den Flughäfen, im Handwerk, in der Pflege, in den Schulen. In den kommenden Jahren werden viele weitere Branchen und Berufsfelder dazukommen.

Doch das Fehlen von Lokführern, Erziehern, Lehrern, Ingenieuren, Ärzten, Feuerwehrleuten, Pflegekräften und Programmierern wird noch viel weitreichendere Konsequenzen haben. Mit weniger Mitarbeitenden können viele Unternehmen weniger herstellen oder leisten. Die Folge: weniger Umsatz und damit weniger Wirtschaftswachstum und also letztendlich weniger Wohlstand für alle.

Und das ist erst der Anfang. Um die Mitte des Jahrhunderts wird die geburtenstarke Babyboomer-Generation ihre natürliche Lebensgrenze erreichen. Damit beschleunigt sich der Rückgang der Gesamtbevölkerung.

Doch wo weniger Menschen leben, schrumpfen auch die privaten Konsumausgaben – und die machen mehr als die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts aus. Eine ausweglose Situation? Ich denke: Nein!

Denn in jeder Herausforderung liegt eine Chance. So liegt es in unserer Hand, zu verhindern, dass die Arbeiterlosigkeit die Wirtschaft lahmlegt, dass der Fortschritt versiegt, der Wohlstand sinkt.

Landwirte als Digitalunternehmer und die Industrie machen es vor. Nun sind Dienstleister und der Staat dran, den Produktivitätsboost durch konsequente Digitalisierung zu zünden. Sebastian Dettmers, Stepstone

Es gibt jedoch in der Geschichte keine historische Blaupause für das, was uns bevorsteht, keine erprobten Lösungsansätze. Es liegt an uns, diese neu zu entwickeln.

Deutschland stehen dabei genau wie anderen Industriestaaten zwei Wege aus der Arbeiterlosigkeit offen: Wir können dafür sorgen, dass mehr Menschen arbeiten. Und wir können produktiver arbeiten.
Für den Weg aus der Arbeiterlosigkeit braucht es daher ein Upgrade auf Arbeit, einen Produktivitätsboost, der uns schon vor einem Vierteljahrtausend aus der Armut geführt hat. Wenn weniger arbeitende Menschen einen immer größer werdenden Sozialstaat finanzieren sollen, braucht es mehr Investitionen in Innovation und Fortschritt.

Landwirte als Digitalunternehmer und die Industrie machen vor, wie durch fortschrittliche Technologien die Produktivität gesteigert werden kann und attraktivere Arbeit entsteht. Nun sind Dienstleister und der Staat dran, den Produktivitätsboost durch konsequente Digitalisierung zu zünden, denn hier stagniert die Produktivität seit Jahren.

Wir brauchen Kreativität und Resilienz statt Fleiß und Gehorsam

Geschäftsmodelle, die auf gering qualifizierter Arbeit zu minimalen Löhnen basieren, sind hingegen kein Merkmal eines Hochtechnologielands. Sie sind Merkmal des Rückschritts. Daher ist es richtig, über Mindestlöhne Anreize zu schaffen, einfache Arbeiten wo immer möglich zu automatisieren.

Veränderung bedeutet auch, die verkrusteten Prozesse, veralteten Geschäftsmodelle und überholten Industrien loszulassen. Statt Bestandsbewahrung zu subventionieren, brauchen wir neue Impulse, Investitionen in Innovation und Fortschritt. Und einen Arbeitsmarkt, der Menschen motiviert, den richtigen Job zu finden, statt die Zeit bis zur Abfindung oder Rente abzusitzen.

Ein Upgrade auf Arbeit wird ohne ein Upgrade auf Bildung nicht funktionieren. Solange ein Fünftel der Jugendlichen in Deutschland nicht richtig lesen kann, wird es einen Niedriglohnsektor geben. Solange junge Menschen für die Arbeitswelt von gestern fit gemacht werden, wird es keinen Aufbruch in ein digitales Zeitalter geben.

Ein Zeitalter, in dem es anderer Fähigkeiten als Fleiß und Gehorsam bedarf. Nämlich Kreativität, Resilienz und die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen. Lassen Sie uns unseren Kindern diese Fähigkeiten beibringen, damit ein neues Wirtschaftswunder gelingt.

Ein erneutes Wirtschaftswunder wird sich jedoch ohne die Hilfe von Zuwanderern aus Europa und der ganzen Welt nicht wiederholen. Das ist leichter gesagt als getan.

Sebastian Dettmers: Die große Arbeiterlosigkeit.
FinanzBuch Verlag
München 2022
258 Seiten
25 Euro

Im 21. Jahrhundert wird ein noch nie da gewesener Wettbewerb um Einwanderung beginnen, denn die Arbeiterlosigkeit betrifft nicht nur uns, sondern praktisch alle Industrienationen, auch die Länder, aus denen traditionell viele Menschen nach Deutschland eingewandert sind. Damit es auch in Zukunft noch Menschen nach Deutschland zieht, brauchen wir mehr als erleichterte Einwanderungsbedingungen.

„Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen“, schrieb Max Frisch einmal. Recht hat er. Gelungene Zuwanderung geht weit über die Anerkennung von Abschlüssen hinaus.

Eine mangelnde Sprachförderung schließt Kinder von Zuwanderern vom Arbeitsmarkt aus, hohe Immobilienpreise sorgen für eine zunehmende Gettoisierung und verhindern gerade in großen Städten die Integration. Länder wie Kanada machen es vor, wie auf Basis eines Bündnisses von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft alle Menschen eine Chance erhalten, unabhängig von ihrer Herkunft.

Vielleicht ist das eine der großen Gelegenheiten dieser Zeit: die Schaffung von Chancengleichheit. Denn wenn die wichtigste Ressource, der Mensch, knapp wird, können wir uns Ungleichbehandlung und die Diskriminierung schlichtweg nicht mehr leisten.

Dazu gehören Fehlanreize wie das Ehegattensplitting ebenso wie Vorurteile in unseren Köpfen in Bezug auf Menschen anderer Herkunft. Lassen Sie uns Schluss machen mit einer Welt der Unterschiede und eine Welt schaffen, in der alle Menschen die gleiche Chance auf Wohlstand haben.

Es braucht eine Revolution

Wenn uns die Geschichte eines gelehrt hat, dann ist es die Tatsache, dass Fortschritt immer mit Wandel einhergeht. Mit dem Mut, Neues zu wagen. Mit der Bereitschaft, alte Industrien aufzugeben und neue entstehen zu lassen. Mit einer Vision, mit einem Ziel. Genau das brauchen Deutschland und Europa: eine Vision und ein Ziel.

Lassen Sie uns daher einen Traum von einer besseren Zukunft entwickeln, ohne ein Weiter-so, ohne ein Festhalten an alten Rezepten, sondern mit dem Mut, die Zukunft neu zu gestalten: die Zukunft Deutschlands, Europas und vielleicht sogar der ganzen Welt.

Was es dafür braucht? Nicht weniger als eine Revolution, eine Revolution in den Köpfen.

Lassen Sie uns träumen, vom Fortschritt, von neuen Erfindungen, die das Leben bereichern. Von Robotern und Künstlicher Intelligenz, die uns die Arbeit abnehmen. Davon, dass jeder in diesem Land die Chance auf gute Aus- und Weiterbildung erhält.

Mit der Sicherheit, eine erfüllende Arbeit ausüben zu können. Mit der Freiheit, den Job einfach mal wechseln zu können. Lassen Sie uns davon träumen, dass es unseren Kindern einmal besser geht als uns. In Deutschland, Europa, und dem Rest der Welt. In Freiheit und Sicherheit.

Das schließt auch den einzigen Kontinent ein, wo die Bevölkerung derzeit noch rapide wächst: Afrika. Denn obwohl durch ersten Fortschritt die Kindersterblichkeit längst rapide gesunken ist, leben noch immer Millionen Menschen in Armut, haben Millionen von Kindern keinen Zugang zu Bildung. Hier ist die „Population Bomb“ noch nicht entschärft.

Lassen Sie uns daher Wohlstand in den letzten Winkel der Erde exportieren. Nicht durch Entwicklungshilfe, die jede Eigeninitiative im Keim erstickt, sondern durch Handel, durch den Export von Know-how, durch Bildung.

Je schneller sich der Wohlstand auf der Welt ausbreitet, desto eher endet das Bevölkerungswachstum. Und so würde die ganze Welt der Überbevölkerung entkommen. Nicht durch Verzicht, sondern durch Wohlstand – für alle.

Kritiker mögen einwenden, dass ein steigender Wohlstand den Ressourcenverbrauch steigert und den Klimawandel beschleunigt. Ich aber sage: Die Argumentation ist kurzsichtig, weil sich der Fortschritt nicht aufhalten lässt. Er lässt sich nur verlangsamen.

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Und das – so lehrt uns die Geschichte – würde nur dazu führen, dass die Geburtenraten langsamer sinken und die Weltbevölkerung damit länger wächst. Es ist daher keine Alternative, den globalen Fortschritt aufzuhalten, Kindern den Zugang zu Bildung zu verwehren oder keinen Handel zu betreiben.

Im Gegenteil: Es ist in unserem ureigenen Interesse, den Wohlstand auf der ganzen Welt möglichst schnell wachsen zu lassen.

Hierin liegt die vielleicht größte Chance unserer heutigen Zeit: die Menschheit aus der Armutsfalle zu befreien und den Weg zu Ende zu gehen, den unsere Vorfahren Ende des 18. Jahrhunderts beschritten haben. Nicht durch Verzicht, sondern durch Fortschritt, durch Kooperation, durch Handel, durch Teilhabe.

Auf dem Weg dahin werden wir Wege finden müssen, wie wir diesen Fortschritt klimaneutral gestalten, durch Investitionen in nachhaltige Energiegewinnung und emissionsarme Technologien. Und vielleicht werden wir dann, wenn die Weltbevölkerung Mitte des Jahrhunderts zu schrumpfen beginnt, die industrielle Revolution vollendet und die Menschheit von Armut und Hunger befreit haben.

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