„Wir brauchen andere Politik für Deutschland“

Düsseldorf Marie-Christine Ostermann geht zum Auftakt ihrer Präsidentschaft des Bundesverbands Die Familienunternehmer mit der Politik der Bundesregierung hart ins Gericht. „Deutschland ist international nicht mehr wettbewerbsfähig. Wir brauchen eine andere Politik für Deutschland“, sagte Ostermann dem Handelsblatt.

„Wir brauchen Politiker, die sich etwas trauen, die uns in die Zukunft führen und nicht nur Krisen managen“, sagte die Unternehmerin. Deutschland benötige eine Führung, die zu den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zurückkehre. Ostermann trat 2013 in die FDP ein, will ihre Mitgliedschaft nun aber ruhen lassen.

Die 45-Jährige, die in vierter Generation den Lebensmittelgroßhändler Rullko in Hamm in Westfalen führt, soll an diesem Freitag an die Spitze des einflussreichen Unternehmerverbands gewählt werden. Dieser vertritt eigenen Angaben zufolge die wirtschaftspolitischen Interessen von 180.000 Familienunternehmern in Deutschland, die acht Millionen sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter beschäftigen.

Ostermann ist die erste Frau in diesem Amt in der mehr als 70-jährigen Geschichte des Verbands. Sie folgt auf Reinhold von Eben-Worlée. Ostermann will sich auch für eine bessere Gleichstellung einsetzen – Frauenquoten lehnt sie jedoch ab. „Der Hebel für mehr Gleichberechtigung und mehr Frauen in Führungspositionen sind meines Erachtens die richtigen Rahmenbedingungen“, sagte sie. Man müsse weg von überkommenen Rollenbildern und brauche gleichzeitig ein besseres Betreuungs- und Bildungssystem.

Lesen Sie hier das komplette Interview mit Marie-Christine Ostermann:

Frau Ostermann, Sie sind die neue Präsidentin des Bundesverbands Die Familienunternehmer. Was hat Sie dazu bewogen, sich für dieses Amt zu bewerben?
Deutschland ist als Wirtschaftsstandort abgerutscht, international nicht mehr wettbewerbsfähig. Das ist tragisch. Wir Deutschen sind laut ZEW-Studie in Europa auf Rang 18 von 21. Wir haben die höchsten Energiekosten, Steuern und Abgaben, wir sind extrem bürokratisch aufgestellt, wir sind in unseren Ansichten sehr traditionell. Es ist deshalb dringend nötig, sich für strukturelle Reformen einzusetzen und das Unternehmertum in diesem Land zu stärken. Die letzten sinnvollen Strukturreformen waren 2008 die Unternehmensteuerreform und 2009 die Schuldenbremse. Seitdem wurde nichts getan, um die Wirtschaft zu stärken. Ganz im Gegenteil: Es gab einen Linksrutsch. Nur Umverteilung, keine Befähigung oder Stärkung.

Inwiefern?
Die Rente mit 63, der Mindestlohn, das Bürgergeld und nun die geplante Erbschaftsteuer auf Betriebsgewinne – es gab so viele linke Maßnahmen. Und hat sich etwas verändert oder gar verbessert in Deutschland? Nein, wir rutschen weiter ab. Vor allem die Ungerechtigkeit steigt. Der soziale Aufstieg etwa wird in Deutschland immer schwieriger. Sie sehen das auch daran, dass die Schreie der Linken nicht leiser werden, sie werden immer lauter und schriller. Der linke Weg ist der falsche.

Vita Marie-Christine Ostermann

Erst die Pandemie, nun der Ukrainekrieg, die Energiekrise und die hohe Inflation: Ist es da nicht wenig verwunderlich, dass sich die Menschen mehr Umverteilung wünschen?
Natürlich. Die Menschen sind inzwischen daran gewöhnt. Denn bei jeder neuen Krise gibt es die nächste Vollkasko-Versicherung vom Staat. Es gibt Hilfen, Förderungen, Subventionen. Es ist aber falsch, den Menschen vorzugaukeln, dass der Staat allen helfen, alle retten, alles fördern kann. Es geht nicht nur darum, Krisen zu managen. Unser Land muss krisenresistenter werden. Hätten wir ein vernünftiges Einwanderungsgesetz, hätten wir nachhaltig in unsere Infrastruktur investiert, hätten wir ein gutes Bildungssystem, dann bräuchten wir die meisten dieser Hilfen nicht.

Was schlagen Sie vor?
Wir brauchen Steuererleichterungen und keine Erhöhungen. Wir haben schließlich Rekordsteuereinnahmen. Vor allem diese nun ausgerechnet von der CDU geforderte Erbschaftsteuer auch auf Betriebsvermögen wäre extrem schädlich. Sie wäre Gift für Familienunternehmen. An ihnen hängen 60 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze, 80 Prozent der Ausbildungsplätze, und über 90 Prozent der Firmen überhaupt in Deutschland sind Familienunternehmen. Eine solche Steuer würde prompt zu geringeren Investitionen führen und könnte massiv Arbeitsplätze kosten. Oder die Erben verkaufen gleich an Konzerne, um die Steuer zahlen zu können. Wir Unternehmer brauchen unser Betriebsvermögen – als Risikopuffer und für Investitionen.

Ostermann beklagt „Wahnsinns-Bürokratie“ bei Mindestlohn-Dokumentation

Was möchten Sie sonst noch anpacken?
Wir müssen den Fachkräftemangel lösen. Damit eng verbunden ist die Bildung. Es kann beispielsweise nicht sein, dass 2,5 Millionen junge Menschen keinen Berufsabschluss haben. Nötig ist auch eine geregelte Zuwanderung mit einem Punktesystem wie in Kanada, eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit mehr Betreuungsmöglichkeiten in Kitas und Schulen. Wir brauchen eine bessere Infrastruktur, insbesondere bezahlbare, zukunftsfähige Energie. Die Bürokratie muss reduziert werden.

Wie soll das gelingen?
Es ist beispielsweise widersprüchlich, dass eine digitale Personalakte möglich sein soll, aber Arbeitsverträge weiterhin in Papierform vorhanden sein müssen und jeder einzelne Mitarbeiter eine digitale Personalakte mit seiner analogen Unterschrift genehmigen muss. Auch die Mindestlohndokumentationspflichten erzeugen eine Wahnsinns-Bürokratie. Überhaupt sollte die Tarifautonomie gestärkt werden und Löhne durch die Tarifpartner, also Arbeitgeber und Gewerkschaften, festgelegt werden und nicht durch Arbeitsminister Heil. Der hat ja gerade wieder eine Mindestlohnerhöhung angekündigt, obwohl dafür die Mindestlohnkommission verantwortlich ist. Außerdem müssen die Steuern runter.

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Wie stellen Sie sich das genau vor?
Wir brauchen ein Steuersystem, das mehr Netto vom Brutto ermöglicht und die Eigenkapitalbildung in den Betrieben stärkt für Investitionen und Innovationen. Die sozialen Sicherungssysteme müssen zukunftssicher und bezahlbar werden. Mit Blick darauf, wo in Deutschland das meiste Geld verdient wird, müssen wir doch unser Land weiter industrialisieren, nicht deindustrialisieren. Wir brauchen ein starkes Europa mit soliden Staatsfinanzen und mehr Freihandel, insbesondere mit den USA.

Sie sprechen wie eine Politikerin und sind auch Mitglied der FDP. Ihre Mitgliedschaft wollen Sie jetzt ruhen lassen, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Warum sind Sie eigentlich nicht direkt in die Politik gegangen? Die Liberalen könnten eine Führungsfrau wie Sie vielleicht gut gebrauchen …
Ich war von 2015 bis 2017 Schatzmeisterin der FDP in Nordrhein-Westfalen. In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass ein politisches Amt ein Vollzeitjob ist. Einen solchen kann ich neben meiner Tätigkeit als Unternehmerin nicht ausfüllen. Das Präsidentenamt bei den Familienunternehmern kann ich jetzt auch nur übernehmen, weil wir in unserer Firma Rullko mit Bernhard Huber seit vergangenem Jahr einen Betriebsleiter haben, der das operative Geschäft managt und auf den ich mich voll verlassen kann.

Marie-Christine Ostermann

Die Unternehmerin kritisiert die Bundesregierung für ihre Wirtschaftspolitik.

(Foto: IMAGO/Klaus W. Schmidt)

2021 waren laut einer Umfrage Ihres Verbands 79 Prozent der Unternehmen unzufrieden mit der Wirtschaftspolitik der Großen Koalition. Wie sieht es nun mit der Politik der Ampel aus?
Wir haben derzeit dazu keine aktuellen Zahlen erhoben. Es ist aber unüberhörbar: Die Unzufriedenheit der deutschen Wirtschaft ist weiter gestiegen. Wir brauchen eine andere Politik für Deutschland. Wir brauchen Politiker, die sich etwas trauen, die uns in die Zukunft führen und nicht nur Krisen managen. Umverteilung ist bequem, einfach und populär. Umstrukturierung ist anstrengend und schwierig. Wenn immer das Steuergeld genommen wird, um alle Fehler auszubügeln, dann handelt niemand mehr vorausschauend und verantwortungsbewusst. Wir brauchen eine Führung, die zu den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zurückkehrt: zu Freiheit, Wettbewerb, Eigentum und Verantwortung.

„Angela Merkel hat ein geschwächtes Land hinterlassen“

Bundeskanzler Olaf Scholz will eine neue „Deutschlandgeschwindigkeit“ im Planungsrecht erreichen. Merken Sie davon schon etwas?
Bisher sind den Worten noch keine Taten gefolgt. Die Hoffnung stirbt aber zuletzt. Und ich werde deshalb natürlich in meiner neuen Rolle sehr gezielt das Gespräch mit ihm und anderen Entscheidungsträgern suchen und versuchen, das Beste daraus zu machen.

Seine Vorgängerin Angela Merkel hat nun nach Konrad Adenauer und Helmut Kohl die höchste Auszeichnung erhalten, die die Bundesrepublik Deutschland zu vergeben hat: das Großkreuz des Verdienstordens. War das Ihres Erachtens gerechtfertigt oder nicht?
Nein, dieser Orden ist nicht gerechtfertigt. Sie ist mit einer schwarz-gelben Koalition hoffnungsvoll gestartet und hat 2008 und 2009 auch die beiden schon erwähnten strukturellen Reformen geliefert. Doch dann ist nicht mehr viel passiert. Die Energiepolitik etwa war völlig verfehlt. Ich verstehe es nicht. Angela Merkel hat ein geschwächtes Land hinterlassen.

Ihre Amtsvorgänger Reinhold von Eben-Worlée, Lutz Goebel und Patrick Adenauer waren nicht gerade Leisetreter. Wie möchten Sie mehr Gehör finden?
Ich war schon in meiner Zeit als Vorsitzende der Jungen Unternehmer laut PR-Report „das Gesicht der deutschen Wirtschaft“. Das will ich wieder sein. Einem mir wichtigen Thema mehr Sichtbarkeit verschaffen – das kann ich besonders gut. Das ist mein Alleinstellungsmerkmal. Es reicht für Unternehmer nicht mehr, ein Hidden Champion zu sein. Deutschland ist ein Angestelltenland. Wir haben 45 Millionen angestellte Arbeitnehmer und nur 3,5 Millionen Selbstständige. Aber es sind wir Unternehmer, die den Karren ziehen. Ohne uns gäbe es nur Staatswirtschaft.

Wie soll sich das ändern?
Wir müssen uns als Unternehmer und unsere Verbände stark machen und mit einer deutlich hörbaren Stimme sprechen. Nur so können wir die Welt verändern. Und wenn man die Aufmerksamkeit hat, gilt es, dicke Bretter zu bohren. In einer so exponierten Rolle muss man einstecken und austeilen können, Ideen einbringen, sich ständig austauschen, dranbleiben, keine Angst haben, nie lockerlassen. Und das kann ich.

Sie werden seit neun Jahren von einem Stalker verfolgt. Er wurde 2020 rechtskräftig verurteilt, ist seit vergangenem Jahr aber wieder auf freiem Fuß und macht weiter. Haben Sie keine Angst?
Ich lebe mein Leben, wie ich es mir vorstelle. Ich lasse mir von diesem Menschen mein Leben nicht vorschreiben oder gar kaputt machen.

„Die Schule muss auch für das Leben fit machen“

Sie selbst hatten als Unternehmerkind von Geburt an eine herausgehobene Ausgangsposition. In Deutschland wird man meistens das, was auch die Eltern sind. Wie lässt sich mehr Chancengerechtigkeit herstellen?
Unser Bildungssystem ist eine Katastrophe. Wir müssen dahin kommen, dass wir bei Schülern etwa nicht nur die Schwächen ausbügeln, sondern die Stärken finden und fördern. Die Schule muss auch für das Leben fit machen. Ich habe deshalb 2015 mit einigen Gleichgesinnten die Non-Profit-Initiative Startup Teens gegründet, die sich dafür einsetzt, dass Jugendliche in wirtschaftlichen Dingen befähigt werden und lernen, ihre Ideen selbst zu verwirklichen. Das sollten nicht nur Unternehmerkinder tun können. Denn gute Ideen der Menschen sind der einzige Rohstoff, den Deutschland hat.

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Sie sind in 70 Jahren Verbandsgeschichte die erste Frau im Präsidentenamt. Was dürfen wir von Ihnen erwarten? Feministische Wirtschaftspolitik?
Ich bin zunächst einmal die Präsidentin aller in unserem Verband organisierten Unternehmer. Aber natürlich bin ich mir meiner Vorbildfunktion und meiner Magnetwirkung als Frau in Führung bewusst und stehe auch dazu. Ich setze mich für mehr Gleichberechtigung ein.

Braucht es dafür eine Frauenquote?
Die lehne ich als überzeugte Liberale ab. Das ist für mich nur Kosmetik. Der Hebel für mehr Gleichberechtigung und mehr Frauen in Führungspositionen sind meines Erachtens die richtigen Rahmenbedingungen. Wir müssen weg von diesen traditionellen, überkommenen Rollenbildern. Wir brauchen gleichzeitig ein besseres Betreuungs- und Bildungssystem. Ziel ist, dass jede und jeder das beruflich tun kann, was sie oder er möchte, unabhängig von Geschlecht oder Herkunft.

Frau Ostermann, vielen Dank für das Interview.

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