Wie Carbon-Farming das Klima retten soll

Düsseldorf Annkathrin Tempel steht in der prallen Sonne auf ihrem Acker im hessischen Hofheim. Das Feld, eine große, braun-graue Fläche, wirkt verbrannt, aufgegeben. Aber das ist nicht der Fall. Die Bäuerin hebt einen dürren Stängel auf und zerreibt ihn. Es sind Überreste von Senf. Die Pflanze war auf dem Acker nur Saisongast.

Die 34-Jährige hat den Hof ihres Vaters vor einem Jahr übernommen. Und vieles von dem, was sie in den langen Jahren im Betrieb gelernt hat, auf den Kopf gestellt. Sie führte ökologische Methoden der Landwirtschaft ein, darunter eine echte Innovation: Carbon-Farming. Teil dieser Innovation ist die längst verwelkte und bewusst nicht abgeerntete Senfsaat.

Die neue Methode lehnt sich an eine jahrhundertealte Kulturtechnik an, den Fruchtwechsel. So werden beim Carbon-Farming auf einem Acker spezielle Pflanzen in einem bestimmten Rhythmus angebaut. Doch dabei geht es nicht nur um bessere und nachhaltige Erträge. Es geht darum, Kohlenstoff aus der Luft zu filtern und als Humus im Boden zu speichern.

Das Carbon-Farming steigert den Schwierigkeitsgrad, den schon die Ökolandwirtschaft hat, noch weiter. Die Umstellung auf den Ökoanbau dauert zwei Jahre, in der Zeit kann die Ernte nur als Viehfutter verwendet werden.

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Die Erlöse sind geringer. Tempel macht es trotzdem – für das Klima. „Das ist für uns der richtige Weg, trotz aller Mühen.“

Landwirtschaft ist ein großer Klimasünder

Denn Landwirtschaft trägt maßgeblich zum Klimawandel bei. Verantwortlich sind vor allem Emissionen von Treibhausgasen aus der Tierhaltung sowie landwirtschaftlich genutzten Böden als Folge von Stickstoffdüngung. Allein in Deutschland ist laut dem Umweltbundesamt die Landwirtschaft für etwa 55 Millionen Tonnen Emissionen an CO2-Äquivalenten verantwortlich – rund sieben Prozent von dem, was Deutschland insgesamt ausstößt.

Carbon-Farming zieht CO2 aus der Atmosphäre, ist damit klimapositiv. Es kompensiert so nicht nur die eigenen Emissionen, es reduziert auch andere. Der durch ausgefeilte Fruchtfolge gebundene Kohlenstoff reichert die Erde zusätzlich zu fruchtbarem Nährboden an.

>> Lesen Sie hier: Teurer Dünger, Ukraine-Krieg, Trockenheit – Nahrungsmittel könnten bald noch mehr kosten

Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat das Ziel, bis zum Jahr 2030 25 Millionen Tonnen CO2 im Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forst zu vermeiden. In der EU ist das Konzept bereits zentraler Bestandteil des Green Deals. Der Agrar- und Umweltausschuss des EU-Parlaments tagte vor wenigen Wochen zum ersten Mal zu dem Thema. Carbon-Farming könne demnach „ein zentrales Werkzeug im Rahmen der EU-Bodenstrategie werden“. Ende des Jahres will die EU ein Regelwerk verfassen, wie genau die Methode umgesetzt werden soll.

Immer mehr Konzerne wollen regenerativ anbauen

Auch Konzerne interessieren sich für Carbon-Farming. Bayer und BASF starteten in den vergangenen Monaten eigene Projekte. Lebensmittelhersteller Knorr verpflichtete sich, bis zum Jahr 2026 weltweit 80 Prozent seiner Gemüse, Kräuter und Getreide nach regenerativen Methoden anzubauen. Laut dem US-Branchendienst Agfundernews wollen Unternehmen wie Walmart, Pepsi, Unilever und Mars in den kommenden Jahren etwa 40 Millionen Hektar an regenerativer Landwirtschaft aufbauen.

Dazu entwickelt sich ein Sekundärmarkt. Die Carbon-Farmer verkaufen sogenannte Humuszertifikate, die Unternehmen als CO2-Kompensation kaufen. Sie gehören zum freiwilligen Kompensationshandel, der sich laut Forschungsinstitut Ecosystem Marketplace 2021 auf ein Volumen von mehr als einer Milliarde Dollar beläuft. Das ist im Vergleich zum Vorjahr bereits eine Verdoppelung.

Mehr als 60 Prozent des Handelsvolumens stammten aus der Wald- und Landnutzung. Unternehmen wie Shopify, IBM und die Boston Consulting Group erwarben landwirtschaftliche CO2-Zertifikate.

Die Einnahmen aus den Zertifikaten sind allerdings gering – und die Art der Kompensation gilt als umstritten. Carsten Paul vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung erklärt, häufig würden die Methoden nicht gründlich genug überwacht, langfristige Effekte außer Acht gelassen. „Meine Kollegen und ich sehen den Humusaufbau als sehr wichtige Maßnahme“, sagt Paul. „Aber das Instrument der Humuszertifikate ist dafür ungeeignet.“

Mit bestimmten Früchten immer mehr Kohlenstoff einspeichern

Für die Landwirtin Tempel ist Carbon-Farming zuvorderst im Kontext ihres Hofs ein wichtiges Mittel. Sie baut Zwischenfrüchte oder Hülsenfrüchte an, pflügt nicht mehr maschinell, um den Boden nicht zu beschädigen. Weil sie letztes Jahr auf den Bio-Landbau umgestellt hat, darf sie nicht mehr chemisch düngen und muss nun genau darauf achten, welche Früchte sie nacheinander anbaut. Unkraut entfernt sie mit Hacke oder Striegel. Für zusätzliche Nährstoffe düngt sie die Pflanzen mit Mist, den sie von Viehbauern bekommt.

Die Pflanzen, die als Zwischenfrüchte infrage kommen, werden gesät, aber nicht geerntet. „Zwischenfrüchte binden außerdem überschüssigen Stickstoff“, erklärt Tempel. Praktisch sei dies, weil somit für weitere Fruchtfolgen bereits Stickstoff bereitstehe und sie weniger düngen muss.

Ackerbohne

Die Pflanzen, die als Zwischenfrüchte infrage kommen, werden gesät, aber nicht geerntet.


(Foto: action press)

Die zusätzlichen Pflanzen nehmen Kohlenstoff auf, bilden damit Stängel und Blätter. Wenn sie absterben, bleiben die Pflanzenreste im Boden, wo sie zu Humus zersetzt werden, der zu etwa 60 Prozent aus Kohlenstoff besteht. Betreiben die Landwirte diese regenerativen Methoden immer weiter, bleibt der Kohlenstoff lange im Boden, bevor er natürlich in die Atmosphäre veratmet wird.

Bauern, die das Konzept nachhaltig durchziehen, fügen ihren Böden mehr Kohlenstoff zu, als dieser freilässt – Experten nennen das Negativ-Emissionen. Als Instrument für Klimaschutz hat das Potenzial, wenn es richtig gemacht wird. Konstant grüne Flächen könnten pro Hektar fast das Doppelte an Kohlenstoff speichern wie der durchschnittliche Ackerboden.

Das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft rechnet mit etwa 181 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar einer Dauergrünlandfläche. Laut Thünen vom Bundesforschungsinstitut für Landwirtschaft könnte man mit mehr Humus im Boden bis zu fünf Millionen Tonnen CO2 Kohlenstoff zusätzlich im Boden pro Jahr verbuddeln, das entspricht etwa dem CO2-Fußabdruck von 460.000 Deutschen.

Auch in der „Vier-Promille-Initiative“, eines der freiwilligen Ziele aus dem Pariser Klimaabkommen, steckt viel Hoffnung auf Carbon-Farming: Sie besagt, würde man weltweit den Kohlenstoffgehalt der oberen 30 bis 40 Zentimeter in den Böden um jährlich 0,4 Prozent erhöhen, könnte man die menschengemachte Zunahme der Treibhausgase in der Atmosphäre ausgleichen.

„Wichtig ist vor allem die Dauerhaftigkeit beim Humusaufbau“, sagt Paul vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung. Kurzfristiges Carbon-Farming wäre wie ein zweiwöchiger Sportkurs: viel Anstrengung, kein Effekt. „Nur wenn man langfristig Humus aufbaut, hat man einen Klimavorteil.“

Zusätzliche Einnahmen durch „Humuszertifikate“

Für Landwirtin Tempel ist der Klimawandel aktuell Belastung und Geschäftsoption zugleich. In ihrem Betrieb spürt sie bereits die Auswirkungen, starke Regenfälle, längere Trockenperioden. Neben der Zwischenfrucht Ackerbohne wächst ganz regulär der Mohn, den sie nach der Ernte zu Speiseöl verarbeitet – letztes Jahr wuchs er jedoch unregelmäßig, wegen der langen Trockenzeit. Mittlerweile verdient Tempel mit ihrem regenerativen Anbau aber auch etwas Geld und verkauft ihr eingespartes CO2 an Zertifizierungsunternehmen, die wiederum Humuszertifikate an andere Unternehmen weitergeben.

Aber der Markt ist noch völlig unreguliert: Es gibt fast ausschließlich privatwirtschaftliche Zertifizierer, die ihre Regeln selbst festlegen. Manche messen den Kohlenstoffgehalt mit Bodenproben. Diese Messungen sind aber so teuer und aufwendig, dass sich die Honorierung bislang nicht lohnt.

Zertifizierungsunternehmen behelfen sich daher mit Schätzungen des Humusgehalts und der CO2-Einsparung. Beide Methoden bergen in sich laut Wissenschaftler Paul ein Grundproblem: Es wird nicht überwacht, wie lange Landwirte Kohlenstoff in ihren Böden speichern. „Man versucht, ein fertiges Produkt zu honorieren“, sagt Paul.

Zertifizierungsunternehmen wollen nicht jahrelang auf ihr Geld warten, genauso wenig wie die Landwirte. Kohlenstoff, der über viele Jahre in den Böden gelagert wurde, kann dadurch, dass ein Bauer etwas an seiner Praxis ändert, aber wieder entweichen. Ein verkauftes Zertifikat könnte also bedeuten, dass ein Unternehmen seine Emissionen gar nicht wirklich kompensiert hat – Greenwashing.

Zudem gibt es das Problem der „Verschiebungseffekte“: Zertifikate können nicht ausschließen, dass Landwirte den Humus auf dem einen Feld aufbauen, während sie ihn auf einem anderen abbauen, beispielsweise durch verschiedene Düngung, heißt es in einem Positionspapier zu regenerativer Landwirtschaft von der Umweltorganisation WWF zusammen mit anderen Institutionen.

Agrarexperte Paul schlägt vor, den Humusaufbau finanziell zu fördern, statt Zertifikate zu vergeben. Man könne etwa die Agrarförderungen anpassen und Vorgaben für Fruchtfolgen verschärfen sowie humusschädigende Praktiken beenden. Eignen können sich Humuszertifikate, wenn etwa Lebensmittelkonzerne ihre eigene Lieferkette treibhausgasneutral stellen wollen, erklärt Steffen Pingen. Er ist Agraringenieur und Leiter des Fachbereichs Umwelt und ländlicher Raum des Deutschen Bauernverbandes.

Klar ist für ihn, dass Landwirte für Carbon-Farming bezahlt werden müssen. „Es ist eine Leistung für die Gesellschaft, die dann auch zusätzlich honoriert werden soll.“ Der Verband forderte von der EU bereits mehrmals, ein einheitliches Verfahren für die Zertifizierung und für die Anerkennung der Leistungen zu formulieren.

Start-ups wollen die Methode optimieren

Einige Start-ups haben den Bereich als Chance entdeckt. Sie wollen das Carbon-Farming und die Zertifizierungen effizienter gestalten. Nina Mannheimer ist Co-Gründerin und Produktchefin des jungen Unternehmens Klim. Mit dessen App können Landwirte ihre Carbon-Farming-Methoden dokumentieren und entsprechend honoriert werden. „Wir arbeiten methodenbasiert und nutzen wissenschaftliche Daten, um zu berechnen, wie viel Kohlenstoff Landwirte speichern“, sagt Mannheimer.

Klim-App

In der App von Klim können Bauern ihre Fortschritte eintragen.


(Foto: Klim)

Dafür rechnet Klim aber mit den kleinstmöglichen Zahlen, um nicht zu bezahlen, was vielleicht gar nicht geleistet wurde. „Mit der App können wir den Fortschritt besser verfolgen, als wenn nur einmal im Jahr jemand auf dem Hof vorbeischaut.“

Zusätzlich zu Fotos der Bauern wertet Klim Satellitenbilder aus: „Wenn jemand zum Beispiel eine Winterzwischenfrucht hat, kann man auf den Satelliten erkennen, ob da wirklich etwas wächst.“ Auch Algorithmen helfen zu erkennen, welche Früchte auf den Felder wachsen. Laut Mannheimer hat das Start-up 1500 Nutzer, durchschnittlich 45 Euro bekommen sie für eine Tonne CO2.

Carbon Farmerin

Landwirtinnen, die von den Climate Farmers zertifiziert werden, müssen auch auf Biodiversität achten.


(Foto: Climate Farmers)

So sieht das auch Ivo Degn von den Climate-Farmers. Er will mit seinem Geschäftsmodell die regenerative Landwirtschaft skalieren. Er verbindet Landwirte mit Experten, die sie zum Thema Carbon-Farming genau beraten und helfen sollen, Fruchtfolgen und Anbau richtig umzusetzen. Auch Degns Start-up zertifiziert Carbon-Farming, für die Messung nutzt es innovative Methoden.

Etwa die Laser-Spektroskopie, mit der auch kleine Moleküle in Böden aufgespürt werden können. Das ist technisch hochanspruchsvoll. Auch Degn und sein Team orientieren sich zusätzlich an Satellitenbildern und kombinieren sie mit wissenschaftlichen Daten. „Wir wollen ein ganzheitliches Ergebnis“, sagt Degn. So bewertet Climate-Farmers auch, ob Landwirte die Biodiversität in ihren Betrieben aufrechterhalten.

Landwirtin Tempel verdient 30 Euro pro eingesparter Tonne CO2. „Es ist wie ein Taschengeld“, sagt sie. Dieses Jahr wird sie etwa 200 Euro verdienen. Sie gleicht damit aus, was sie zusätzlich für das Saatgut ausgibt, die Arbeitsschritte und die Einarbeitung der Früchte.

„Ein finanzieller Ausgleich über CO2-Preise ist ein weiterer Baustein, der uns hilft, diese Methoden umsetzen zu können.“ Bald will sie auch neue Methoden probieren, mit Kompost und Pflanzenkohle – die ihren Böden noch mehr Humus schenken sollen.

Mehr: Digital-Technik in der Landwirtschaft in Deutschland weit verbreitet.

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