Was wir von anderen Ländern lernen können

Nur noch wenige Wochen bis Weihnachten – und vor allem Deutschland erlebt einmal mehr ein Déjà-vu. Wieder stark anziehende Inzidenzen. Wieder eine mehr oder weniger überraschte Politik, so, als käme die herbstliche Infektionswelle aus dem Nichts. Wieder eine Kakofonie an unterschiedlichen Maßnahmen verschiedener Bundesländer.

Dieses Mal kommt noch das Kompetenzwirrwarr zischen einer nur noch geschäftsführenden Bundesregierung und einer in schwierigen Koalitionsverhandlungen entstehenden hinzu. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es in Deutschland einmal mehr ein Weihnachten im Ausnahmezustand geben wird.

Fakt ist: Die Covid-Lage in Deutschland ist mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 201 deutlich schlechter als in vielen anderen westlichen Industriestaaten. Dort handelten die Regierungen teilweise schneller, entschlossener und auch kraftvoller. Die Folge: Viele Länder, die noch zu Beginn der Pandemie ein viel schlechteres Bild abgaben, könnten inzwischen als Vorbild für die Bundesrepublik dienen. Ein Überblick.

In Italien ist die 3G-Regel bereits seit gut drei Wochen in der gesamten Arbeitswelt verpflichtend. Fürs öffentliche Leben, etwa Theater, Kino oder Restaurantbesuch, braucht man das grüne Zertifikat über Impfung, Genesung oder Test schon seit September. Zwar kommt es immer wieder zu Protesten gegen den „Green Pass“, doch die Zahl der Impfungen bleibt stabil bei mehr als einer Million Dosen pro Woche. Nur 900 Regelverstöße notierten die Ordnungshüter – bei mehr als 1,5 Millionen Kontrollen.

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Die Akzeptanz der harten Regierungslinie zeigt sich auch in der Impfquote: Mehr als 83 Prozent der Bevölkerung über zwölf Jahre sind komplett immunisiert. In Schulen, Geschäften und allen anderen öffentlichen Innenräumen gilt ab sechs Jahren weiter strikte Maskenpflicht. Dank der Maßnahmen steigen die Infektionszahlen nur noch langsam. Am Sonntag wurden rund 5800 Neuinfektionen verzeichnet. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei knapp 60, nur zwei Regionen kommen auf einen höheren Wert als 100.

Mehr als zwei Millionen Italiener haben eine dritte Dosis erhalten. Bislang ist sie Alten und Schwachen sowie dem Gesundheitspersonal vorbehalten, für das bereits seit April eine Impfpflicht gilt. In Kürze sollen die Booster-Impfungen auch für alle unter 60 Jahren freigegeben werden. Impfzentren werden dafür wieder geöffnet.

Das Gesundheitssystem ist anders als vor einem Jahr nicht überfordert. In allen Regionen bleiben die Zahlen unter der kritischen Schwelle. Insgesamt liegen derzeit rund 400 Menschen mit Coronainfektion auf der Intensivstation – vor genau einem Jahr waren es noch mehr als 2600.

Frankreich: Macron könnte am Dienstagabend neue Maßnahmen verkünden

Frankreich verzeichnet zwar einen Anstieg der Coronainfektionen, die Situation ist allerdings deutlich entspannter als in Deutschland. Der Inzidenzwert liegt aktuell bei 70 Fällen pro 100.000 Einwohnern, die Zahl der Coronapatienten in den Krankenhäusern ist konstant niedrig. Dennoch hat Präsident Emmanuel Macron für Dienstag den nationalen Gesundheitsrat einberufen. Macrons Parteifreund Richard Ferrand, Vorsitzender der Nationalversammlung, sagte: „Es gibt einen negativen Kontext bei der Entwicklung der Pandemie.“ Nötig sei nun eine „nationale Mobilisierung, um zu verhindern, was wir in Deutschland, den Niederlanden und anderswo beobachten“.

Für die Teilnahme am öffentlichen Leben ist in Frankreich seit dem Sommer in vielen Bereichen ein Nachweis über Impfung oder Genesung, mindestens aber ein aktuelles negatives Testergebnis erforderlich. Der Einsatz des mit der 3G-Regel in Deutschland vergleichbaren Gesundheitspasses wurde kürzlich bis zum Sommer 2022 verlängert. In öffentlichen Verkehrsmitteln und allgemein zugänglichen Innenräumen herrscht weiterhin Maskenpflicht.

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Unwahrscheinlich ist, dass Macron fünf Monate vor der Präsidentschaftswahl unpopuläre Einschränkungen verkündet oder gar mit einem erneuten Lockdown droht. Spekuliert wird allerdings darüber, dass Macron die Gültigkeit des Gesundheitspasses für Risikogruppen mit einer Auffrischungsimpfung verbinden könnte. Das würde Menschen über 65 Jahre betreffen, aber auch Vorerkrankte und Beschäftigte im Gesundheitssektor. Bislang haben sechs Prozent der Bevölkerung eine dritte Dosis erhalten.

Die Zahl der Menschen, die sich auf der Website Doctolib einen Termin für einen Impf-Booster holten, erreichte am Wochenende einen Rekordwert. Frankreich gehört zu den Ländern, in denen die Impfkampagne am weitesten vorangeschritten ist: 87 Prozent der Bevölkerung über zwölf Jahre gelten als vollständig geimpft.

Spanien: Herdenimmunität ist in greifbare Nähe gerückt

Spanien gehörte in der Pandemie lange zu den Ländern mit den meisten Fällen. Doch das hat sich vor allem dank der hohen Impfrate geändert: Fast 90 Prozent der über Zwölfjährigen sind geimpft, rund 80 Prozent der Gesamtbevölkerung. Derzeit erhalten die über 65-Jährigen sowie Risikogruppen eine Booster-Impfung.

Die Medizin-Zeitschrift „The Lancet“ publizierte kürzlich einen Artikel, der die Frage aufwarf, ob Spanien bereits eine Herdenimmunität erreicht habe. Die Sieben-Tage-Inzidenz von 27 gehört jedenfalls zu den niedrigsten in ganz Europa. Und das, obwohl in Spanien in den meisten Regionen Restriktionen wie die begrenzte Auslastung von Restaurants oder Fitnessstudios aufgehoben sind. Nach wie vor sind aber Masken in Innenräumen Pflicht.

Straßenszene aus Barcelona im August

Das wärmere Wetter ist vermutlich der Grund, dass es in Spanien eine so niedrige Inzidenz gibt.


(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Für die niedrigen Fallzahlen ist neben der hohen Impfquote nach Ansicht von Experten auch die hohe Durchseuchung der Spanier nach einer besonders verheerenden ersten Welle und vier weiteren Wellen die Erklärung. Allerdings steigt auch in Spanien die Inzidenz derzeit – wenn auch nur langsam. Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, erklärte im NDR, vermutlich sei das wärmere Wetter der Grund, dass es dort eine so außerordentlich niedrige Inzidenz gebe. Es sei zu befürchten, dass die Inzidenz steigen werde, wenn die Menschen sich nun wieder vermehrt in Innenräumen aufhalten.

Israel: 44 Prozent der Bevölkerung hat bereits eine Booster-Impfung

Israel gilt wegen seiner frühen ersten Impfkampagne als eine Art Labor für die Wirksamkeit von Coronarestriktionen. Inzwischen setzt das Land neben der Maskenpflicht in geschlossenen Räumen vor allem auf die Booster-Impfung: 44 Prozent der neun Millionen Bürger haben eine dritte Dosis erhalten. Das habe wesentlich dazu beigetragen, dass die vierte Welle ohne einen Lockdown beendet werden konnte, sagte Israels Gesundheitsminister Nitzan Horowitz. Seit dem Höchststand Anfang September mit täglich mehr als 10.000 Neuinfektionen sind diese auf rund 300 zurückgegangen. Restaurants, Kino- und Theatersäle sind voll, und seit dem 1. November werden geimpfte Touristen wieder ins Land gelassen.

Israels Erfahrungen mit der Auffrischungsimpfung sind positiv: Der Covid-19-Booster von Biontech/Pfizer sei neun bis zehn Monate und vielleicht noch länger wirksam, heißt es in einer neuen Studie, die demnächst publiziert werden soll. Die neuesten Forschungsergebnisse folgen auf eine groß angelegte israelische Studie, die im Oktober veröffentlicht wurde und zeigt, dass eine dritte Impfung in 92 Prozent der Fälle wirksam war, um schwere Erkrankungen zu verhindern.

Israel hat bereits Anfang August mit der Auffrischungsimpfung bei den über 60-Jährigen begonnen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Schutz, den die erste Impfkampagne mit zwei Impfdosen bot, nach etwa fünf Monaten schwächer wurde. Vier Wochen später wurde die Kampagne auf die Gruppe der über Zwölfjährigen ausgedehnt. Seit dem 3. Oktober sind Impfzertifikate nur noch gültig, wenn der dritte Shot dokumentiert oder die zweite Impfung vor weniger als sechs Monaten erfolgt ist.

Österreich setzt Lockdown für Ungeimpfte durch

Seit Montag kann rund ein Drittel der Bewohner Österreichs nicht mehr ins Restaurant oder ins Museum gehen oder an sonstigen Kulturveranstaltungen teilnehmen. Vergangenen Freitag hat die Regierung unter Bundeskanzler Alexander Schallenberg die sogenannte 2G-Regel angekündigt: Völlige Bewegungsfreiheit genießen nun nur noch Personen, die entweder gegen Covid-19 geimpft oder genesen sind.

Die Regierung sah sich zum Handeln gezwungen, weil die Zahl der täglichen Neuinfektionen in die Höhe schoss. Mit fast 9900 markiert sie einen neuen Höhepunkt. Die Impfquote beträgt in Österreich nur 64 Prozent. Die 2G-Regel sei notwendig, um die Infektionszahlen so rasch wie möglich wieder zu senken, sagte Innenminister Karl Nehammer am Montag. Selbstverständlich will die Regierung mit der 2G-Regel auch Zauderer dazu bringen, sich impfen zu lassen. Diesem Ziel dient auch die 3G-Regel (geimpft, genesen, getestet), die seit dem 1. November am Arbeitsplatz gilt.

Die Ankündigung der 2G-Regel hat zumindest am Sonntag zu einem starken Anstieg der Impfungen geführt. Die Krankenhäuser warnen seit Tagen, dass sich die Intensivstationen rasch füllen. In Österreich steigt aber auch die Angst, dass die touristische Wintersaison erneut ausfallen könnte.

USA: Unternehmen machen ernst mit der Impfpflicht

Ab dem 4. Januar gilt für alle US-Unternehmen mit mehr als 100 Angestellten eine Impfpflicht. Entsprechende Regeln hat das Arbeitsministerium in der vergangenen Woche vorgelegt und damit die Ankündigung von US-Präsident Joe Biden vom September in die Praxis umgesetzt. Wer sich nicht impfen lässt, muss sich wöchentlich testen lassen und außerdem schon ab dem 5. Dezember Maske tragen. Von den neuen Regeln sind 84 Millionen Menschen betroffen, die für mittlere und größere US-Unternehmen arbeiten. Laut Schätzungen sind davon rund 30 Millionen noch nicht geimpft. Bisher sind in den USA 58,2 Prozent der Gesamtbevölkerung geimpft.

In den USA haben zwar viele Bundesstaaten für die öffentlichen Angestellten eine Impfpflicht vorgeschrieben. Aber die privaten Unternehmen waren bisher nicht von den staatlichen Regeln betroffen. Das ändert sich nun. Nicht überall kommt die Impfpflicht gut an. Am Wochenende haben Piloten in Charlotte in North Carolina vor dem Flughafen dagegen protestiert. Ein Berufungsgericht in Louisiana hat zudem am Samstag das neue Gesetz vorübergehend ausgesetzt.

Die Kritik in den Firmen wächst. Der Nationale Einzelhandelsverband beklagte, dass seine Mitglieder mit der Organisation mitten in der wichtigen Feiertagssaison getroffen werden. Joshua Bolten, der Vorsitzende des mächtigen „Business Roundtable“, der die CEOs der größten US-Unternehmen vereint, fordert mehr Flexibilität und weist darauf hin, dass es Unternehmen in diesen Zeiten ohnehin schwerfällt, Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. Auch der Verband der verarbeitenden Industrie warnt vor „unnötigen Kosten“.

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Aber es gibt auch viele Konzerne, die wie der Fleisch-Gigant Tyson Foods die Impfpflicht bereits eingeführt haben: Bei General Electric (GE) etwa müssen sich sämtliche 56.000 US-Mitarbeiter impfen lassen. Das liegt vor allem daran, dass GE staatliche Aufträge annimmt und damit ursprünglich schon ab Dezember unter die Impfpflicht fallen sollte. Aus dem gleichen Grund fordert auch Southwest Airlines von seinen Mitarbeitern die Impfung. Auch hier gelten religiöse und medizinische Ausnahmen.

Andere haben die Impfpflicht ohne den staatlichen Druck beschlossen: Bei der Bahngesellschaft Amtrak müssen die 17.500 Angestellten bereits seit Anfang des Monats komplett geimpft sein oder sich wöchentlich testen lassen. „Covid-19-Vakzine sind sicher, effektiv und lebensrettend“, schrieb der Amtrak-CEO Bill Flynn an die Mitarbeiter. „Vakzine sind ein entscheidendes Instrument, die Pandemie unter Kontrolle zu bekommen.“

Noch vor Southwest war United Airlines die erste US-Fluggesellschaft, die die Impfpflicht für ihre Angestellten aus eigener Entscheidung bereits im Sommer eingeführt hat. Allerdings haben dort einige Mitarbeiter geklagt, und ein Gericht in Texas hat diesen Monat das Impfmandat vorübergehend gestoppt.

Bei Großbanken wie Goldman Sachs, Citi, Morgan Stanley und JP Morgan dürfen Ungeimpfte schon heute nicht zurück ins Büro. Und auch die Kaufhauskette Saks Fifth Avenue schreibt ihren Mitarbeitern die Impfung vor. „Wenn wir die Menschen zurückholen wollen, müssen wir das Umfeld so sicher wie möglich machen“, begründete der CEO Marc Metrik schon im Mai die Entscheidung.

Skandinavien: Sorge vor steigenden Fallzahlen im Winter

Trotz steigender Inzidenzen gibt es in Dänemark und Schweden kaum Coronarestriktionen. Schweden hatte wegen seines „Sonderwegs“ ohne Lockdown und ohne Maskenpflicht bereits im vergangenen Jahr für internationale Schlagzeilen gesorgt. Gleichzeitig beklagt das Land bislang mehr als 15.000 Coronatote. Momentan liegt die Sieben-Tage-Inzidenz mit 55 noch auf einem sehr niedrigen Niveau.

Allerdings ist sie in den vergangenen Tagen gestiegen, und Chefepidemiologe Anders Tegnell erklärte vergangene Woche, dass auch die zweite und dritte Coronawelle in Schweden später ankam als in den meisten anderen europäischen Ländern. „Wir werden im Winter wieder steigende Zahlen sehen“, sagte er, betonte aber zugleich, dass er nicht von einem dramatischen Anstieg ausgehe. In Schweden sind bislang 68,2 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft.

Anders sieht die Lage in Dänemark aus. Trotz einer hohen Impfquote von 75,9 Prozent steigt die Sieben-Tage-Inzidenz seit zwei Wochen kontinuierlich an. Am Montag lag sie mit 263,3 deutlich höher als in Deutschland. Am Wochenende deutete Regierungschefin Mette Frederiksen denn auch an, dass ihre Regierung über neue Restriktionen nachdenke. „Die Krankheit beginnt erneut, größere Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und unser Gesundheitswesen zu haben. Deshalb erwarte ich, dass neue Initiativen notwendig werden, um die Infektionsketten brechen zu können“, erklärte sie. In der Diskussion ist die Wiedereinführung des Coronapasses für den Besuch in Restaurants, Kinos, Sportstätten und anderen Plätzen.

Dänemark hatte im September im Prinzip alle Restriktionen aufgehoben. Die Pandemie sei „unter Kontrolle“, erklärte damals Gesundheitsminister Magnus Heunicke. Offenbar kam dieser Schritt zu früh. Ein Unterschied zu Deutschland ist in Dänemark und Schweden das große Vertrauen der Bevölkerung in die Maßnahmen der Regierung. Impfverweigerer gibt es nur wenige, und die Proteste gegen Einschränkungen halten sich sehr in Grenzen.

Griechenland: Druck auf Ungeimpfte zeigt Wirkung

In Griechenland grassiert das Virus aggressiver als je zuvor. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt mit 412 auf dem höchsten Wert seit Beginn der Pandemie. Das Gesundheitsministerium reagiert mit neuen Beschränkungen – und erhöht den Druck auf Ungeimpfte. Bisher sind in Griechenland erst 70 Prozent der Erwachsenen vollständig geimpft, gegenüber fast 76 Prozent im EU-Durchschnitt.

Wer keine Impfung oder Genesung nachweisen kann, darf Einzelhandelsgeschäfte, Behörden und Restaurants jetzt nur noch mit einem aktuellen negativen Test betreten. Das Personal prüft die QR-Codes der Dokumente vor den Eingängen mit einer Handy-App und gleicht die Daten mit den Personalausweisen ab. Vor Geschäften und Bankfilialen in Athen bildeten sich am Montag wegen der Kontrollen lange Schlangen. Frei zugänglich sind nur noch Supermärkte und Apotheken. Ungeimpfte Beschäftigte in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst müssen ab sofort zwei negative Tests pro Woche vorlegen, auf eigene Kosten.

Die meisten Kliniken sind am Rand ihrer Kapazitäten, die Intensivstationen überfüllt. „Wir mussten vergangene Nacht viele neu eingewiesene Covid-Patienten behelfsmäßig auf Feldbetten in den Gängen unterbringen“, berichtete am Montag die Vorsitzende des Verbands der Krankenhausärzte von Athen und Piräus, Mantina Pagoni, im TV-Sender „Skai“. In den staatlichen griechischen Kliniken fehlen derzeit rund 5300 Ärztinnen und Ärzte sowie Beschäftigte in der Pflege und Verwaltung. Das sind etwa fünf Prozent der Belegschaft. Sie wurden freigestellt, weil sie sich trotz der Impfflicht, die seit 1. September im Gesundheitswesen und in privaten Pflegeeinrichtungen gilt, nicht impfen lassen.

Eine Ausweitung der Impfpflicht im Gesundheits- und Pflegesektor auf andere Berufsgruppen erwägt die Regierung zurzeit nicht. Sie setzt darauf, dass die neuen Beschränkungen viele Skeptiker bewegen werden, sich doch noch impfen zu lassen. Das scheint sich zu bestätigen. In der ersten Novemberwoche meldeten sich fast doppelt so viele Menschen für eine Erstimpfung an wie in der letzten Oktoberwoche.

Schweiz: Volksentscheid über das gültige Covid-Gesetz

Auch in der Schweiz zeichnet sich eine vierte Coronawelle ab – wenn auch nicht ganz so schnell wie in Deutschland. Mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von rund 160 Fällen pro 100.000 Einwohner grassiert das Virus noch nicht ganz so stark wie in Deutschland. Allerdings hängt die Schweiz bei der Impfquote im Vergleich zu den Nachbarländern leicht hinterher. Nur 64 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft – in Deutschland sind es 67 Prozent.

Eine Verschärfung der Coronamaßnahmen ist in der Schweiz dennoch kein Thema: Es gilt in den meisten Innenräumen eine 3G-Regel. Wer geimpft, genesen oder getestet ist, kann in Restaurants, Bars, Klubs oder Kultureinrichtungen die Maske abnehmen. Eine Impfpflicht gibt es nicht, Arbeitgeber dürfen den Impfstatus ihrer Beschäftigten nicht abfragen. Lediglich bei der Einreise per Auto, Zug oder Flugzeug müssen Reisende ein Formular des Bundesamts für Gesundheit zur Kontaktnachverfolgung ausfüllen.

Obwohl die Maßnahmen im europäischen Vergleich lax sind, treffen sie in der Schweiz auf eine starke und vor allem laute Opposition. Ende November stimmt das Land in einem Volksentscheid über einen Teil des aktuell gültigen Covid-Gesetzes ab. Das Nein-Lager, das das Covid-Gesetz ablehnt, will vor allem die 3G-Regel kippen. Im Juni hatte die Schweiz bereits über das gesamte Covid-19-Gesetz abgestimmt und die Maßnahmen mit 60 Prozent angenommen. Diesmal könnte die Entscheidung jedoch knapper ausfallen.

Türkei: Trotz hoher Inzidenz keine neuen Restriktionen

In der Türkei sind die Zahlen seit über einem Monat so hoch wie jetzt in Deutschland – über neue Einschränkungen redet hier aber niemand. Gesundheitsminister Fahrettin Koca, der regelmäßig zur Impfung aufruft, hatte am Wochenende Schulschließungen ausgeschlossen. In Busse, Bahnen und Flugzeuge sowie nahezu alle anderen öffentlichen Einrichtungen kommt man seit Sommer nur noch mit Doppelimpfung. In vielen Gebäuden und Hotels muss man den „HES Code“ aus einer Corona-App zeigen, über die Kontakt mit Risikopatienten registriert und der Impfstatus angezeigt wird.

Es scheint, als würde darüber hinaus der derzeitige Zustand mehr oder weniger akzeptiert. Das neu eröffnete „Atatürk Kulturzentrum“ am Istanbuler Taksimplatz zeigt jeden Abend Konzerte und Theaterveranstaltungen. Neben der Impf- und Maskenpflicht gibt es keine Vorsichtsmaßnahmen, der Saal ist in der Regel bis auf den letzten Platz ausgebucht – freie Plätze für mehr Abstand zwischen den Besuchern gibt es nicht.

Unter den Erwachsenen über 18 Jahre haben 79 Prozent zwei Impfdosen erhalten. Mehr als elf Millionen Menschen und damit rund 15 Prozent der erwachsenen Bevölkerung im Land haben eine Auffrischungsimpfung erhalten. Alle über 60 Jahre oder mit Vorerkrankungen können online bei den staatlichen Krankenhäusern Termine für die Booster-Impfung vereinbaren.

Alper Sener, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats zum Coronavirus des Gesundheitsministeriums, schlägt derweil vor, Impfstoffe für die breite Öffentlichkeit obligatorisch zu machen. Sener, der in einem Krankenhaus in der westlichen Provinz Izmir arbeitet, sagte laut Nachrichtenagentur Anadolu, es gebe einen Zustrom ungeimpfter Patienten, die in die Krankenhäuser eingeliefert werden. Einige seiner Patienten seien „weit über 80“ und kämen daher für eine dritte Dosis infrage. „Trotzdem haben einige nicht einmal die erste Dosis erhalten“, sagte er am Freitag gegenüber Anadolu. Trotz Aufklärungskampagnen hält sich die Impfzurückhaltung in einigen Teilen der Bevölkerung.

Derzeit entfällt mehr als die Hälfte der Neuerkrankungen auf Menschen, die jünger als 30 Jahre alt sind. Die Sieben-Tage-Inzidenz schwankt deutlich. In den ländlicheren Regionen im Südosten liegt sie zwischen 27 und 115 Infektionen pro 100.000 Einwohnern, während sie in Großstädten wie Istanbul 293 beträgt. In Ferienregionen wie Mugla oder Antalya liegt der Wert bei 50 beziehungsweise 61.

Großbritannien: Regierung setzt auf Eigenverantwortung

In Großbritannien läuft die dritte Coronawelle. Die Inzidenz liegt bei 400, täglich werden tausend Menschen mit Covid ins Krankenhaus eingeliefert. Die Todeszahl liegt bei rund 200 am Tag. Ärzte warnen vor einer „Winterkrise“ im staatlichen Gesundheitssystem NHS und fordern eine Wiedereinführung der Maskenpflicht und Covid-Pässe. Die Kliniken seien 14-mal so voll wie vor dem letzten Winter, sagte Amanda Pritchard von NHS England.

Doch Premier Boris Johnson lässt die Pandemie jetzt laufen. Seit dem „Freedom Day“ am 19. Juli gibt es keine Corona-Einschränkungen mehr, und die Regierung lehnt neue Regeln bislang ab. Sie setzt darauf, dass die hohe Impfquote und die natürliche Immunität der Genesenen ausreichend Schutz bieten. 80 Prozent der über Zwölfjährigen sind vollständig geimpft. 18 Prozent haben auch schon eine Booster-Impfung erhalten.

Für Pflegekräfte in Altersheimen gilt ab Donnerstag eine Impfpflicht. Zehntausende, die noch ungeimpft sind, könnten dann ihren Job verlieren. Für Krankenpfleger und Ärztinnen im NHS tritt die Impfpflicht erst im April in Kraft. Befürworter der Impfpflicht für Krankenhauspersonal verweisen auf Frankreich, wo sie sich als sehr effektiv erwiesen hat.

Abgesehen von der Impfpflicht für diese Berufsgruppen gibt es jedoch keinerlei Zwangsmaßnahmen oder Vorschriften. Die Regierung setzt auf die Eigenverantwortung von Unternehmen und Bürgern.

Mehr: Deutschlands Corona-Krisenmanagement – ein Versagen mit Ansage, kommentiert Jürgen Klöckner.

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