„Verfügbarkeit ist keine kostenlose Selbstverständlichkeit“

Stuttgart Mahle ist groß geworden mit Kolben und anderen Teilen für Verbrennungsmotoren. Darauf entfallen heute nur noch 40 Prozent des Umsatzes. Aber die Transformation zur Elektromobilität hat der Automobilzulieferer in den vergangenen Jahren mit Akquisitionen teuer erkauft.

Der Umsatz stieg 2022 zwar um mehr als zehn Prozent auf über zwölf Milliarden Euro. Der neue Mahle-Chef Arnd Franz sagt: „Operativ schreiben wir 2022 leicht schwarze Zahlen.“ Unterm Strich dürfte das Unternehmen trotz aufsteigender Tendenz im zweiten Halbjahr noch in den roten Zahlen stecken.

In seinem ersten Interview in der neuen Position erklärt Franz, wie er das über 100 Jahre alte Stiftungsunternehmen in einem schrumpfenden Markt wieder in die Spur bringen will – unpopuläre Maßnahmen wie Personalabbau inbegriffen. Sakrosankte Themen gebe es nicht, sagt der Mann, der nach 18 Jahren das Unternehmen verließ und jetzt drei Jahre später als Chef zurückkehrte.

Herr Franz, welcher Teufel hat Sie denn geritten, nach drei Jahren zu Mahle zurückzukehren?
Ich habe mich bewusst entschieden, in ein Unternehmen mit großartigen Menschen und Fähigkeiten zurückzukehren. Es ist eine Herausforderung in schwieriger Zeit, die ich gern annehme.

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In den vergangenen fünf Jahren haben gleich drei Chefs das Unternehmen verlassen und zählt man Interimschef Frick, der nach Ihrer Berufung zum Konkurrenten ZF wechselte, sogar vier … Ihr Posten gilt als Schleudersitz in der Autozulieferbranche.
Das muss ja nicht so weitergehen. Ich habe schon 18 Jahre hier in verschiedenen Funktionen, zuletzt im Vertrieb, gearbeitet. Das hat mich zu der Auffassung gebracht, dass ich für Mahle die richtige Lösung zum richtigen Zeitpunkt auf dieser Position bin.

Was macht Sie so sicher?
Mahle hat große Aufgaben: die Krise zu überwinden und die Transformation zur Elektromobilität zu schaffen. Dafür brauchen wir ein geschlossenes Team und eine klare Führung. Das Feedback nach drei Monaten sagt mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Aufsichtsratschef Heinz Junker führt das Stiftungsunternehmen wie ein Familienunternehmer. Zumindest ist er das ja auch auf Zeit, solange er die zwischengeschaltete Gesellschaft Mabeg führt, die für die Stiftung die Stimmrechte ausübt. Warum bricht der Professor diesmal mit Ihnen die Tradition und setzt keinen Techniker, sondern einen Kaufmann an die Spitze. Braucht Mahle einen Verkäufer und Vertriebsprofi?
Auch das würde ich nicht überbewerten. Mahle lebt von der Technik. Bei der Entscheidung des Aufsichtsrats, mich zu wählen, dürfte eine Rolle gespielt haben, dass ich nach langen Jahren in der Industrie sehr technikaffin bin.

Wie sieht denn Ihre neue Strategie für Mahle aus. Das Unternehmen ist in einer Sandwichposition weit unterhalb der großen drei Bosch, ZF, Continental und zusammen mit Schaeffler, aber über den mittleren und kleineren Zulieferern?
Mahle hat die richtige Größe und ist global in allen relevanten Märkten präsent. Wir wollen uns aber fokussieren auf die Produkte, bei denen wir einen Mehrwert liefern.

Und die wären künftig?
Mahle kann nicht alles machen. Die grundsätzliche strategische Ausrichtung bleibt. Wir machen zunächst das weiter, was wir seit 100 Jahren können – Teile für Verbrennungsmotoren, solange es sie gibt.

Wie abhängig ist Mahle denn nun wirklich vom Verbrennungsmotor?
Wir sind jetzt bei Pkw auch nach den Zukäufen der vergangenen Jahre bei unter 40 Prozent und werden die Abhängigkeit weiter verringern. Wir brauchen die Erträge aus diesem Geschäft, um die Transformation zu finanzieren.

„Der Verbrennungsmotor wird noch länger gebraucht“

Und wie sieht Ihr Zukunftsgeschäft aus?
Unsere beiden anderen Strategiefelder sind Thermomanagement und Elektrifizierung. Im Thermomanagement sind wir historisch gewachsen mit Motorkühlung und Klimatisierung. Dieser Bereich wird mit den höheren Ansprüchen in der E-Mobilität immer wichtiger, das Geschäft wächst. Weiter konzentrieren wir uns auf elektrische Antriebe und das Laden von E-Autos. Mit dieser Ausrichtung sind wir weltweit wettbewerbsfähig.

Klingt nach: bei Mahle nicht viel Neues.
Es geht um Veränderung und um Verbesserung.

Das heißt?
Die Kunst liegt in der Umsetzung. Wir müssen schneller und deutlich effektiver werden.

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Wie lange kann Mahle mit dem schrumpfenden Verbrennergeschäft noch genug Geld verdienen, um die Transformation zu bezahlen?
Noch viele Jahre, auch wenn das nicht populär klingt. Denn: Wenn wir in den nächsten Jahren das Erreichen der Klimaziele nicht gefährden wollen, dann geht das nicht ohne Verbrennungsmotoren, die mit nachhaltig erzeugten Kraftstoffen, wie E-Fuels und Wasserstoff, betrieben werden. Das sollte die EU bei ihren jetzt anstehenden Entscheidungen für den Schwerlastverkehr bedenken.

Sie setzen auf die Verbrennertechnik. Abspaltung, womit wohl der eine oder andere Ihrer Vorgänger liebäugelte, ist vom Tisch?
Ja. Uns ist klar, dass dieser Markt schrumpft, vor allem weil in Europa ab 2035 nur noch E-Autos produziert werden. Aber in anderen Teilen der Welt, in Asien, China und Südamerika, wird der Verbrennungsmotor noch länger gebraucht. Diese Märkte werden insgesamt weiterwachsen, wir wollen davon profitieren.

„Wir werden die Finanzkraft von Mahle stärken“

Wie ist denn das Geschäft insgesamt gelaufen?
Wir haben 2022 den Umsatz in einem sehr schwierigen Jahr nach vorläufigen Zahlen um über zehn Prozent auf über zwölf Milliarden Euro gesteigert.

Was ist davon inflationsbedingt?
Die Inflation macht einen großen Teil aus, neben Währungseffekten durch den starken Dollar. Aber wir haben tatsächlich auch mehr verkauft. Und 2022 war ein sehr erfolgreiches Akquisejahr.

Im ersten Halbjahr haben Sie 300 Millionen Euro Verlust gemacht. Wie sieht es im Gesamtjahr aus?
Das Gesamtjahr wird besser, auch weil das zweite Halbjahr und besonders das letzte Quartal deutlich besser waren. Operativ schreiben wir 2022 leicht schwarze Zahlen. Aber wir sind für 2023 zuversichtlich, wenngleich wir Risiken in China und im Kaufkraftverlust in Europa sehen.

Das klingt aber nicht so, als könnten Sie Schulden abbauen.
Ganz und gar nicht. Im Laufe des zweiten Halbjahrs 2022 konnten wir uns um 150 Millionen Euro entschulden – bei gleichzeitig getätigten Investitionen von 300 Millionen. Euro.

Gibt es Auflagen der Banken?
Nein, Mahle hat eine stabile Finanzierung.

Mahle Produktion

Mahle steht als Autozulieferer hinter den großen drei wie Bosch, ZF und Continental im Ranking auf Platz vier in Deutschland.


(Foto: Mahle)

Die Ratingagenturen haben Mahle aber heruntergestuft. Moody’s gibt Ihnen „Ba2 Ausblick negativ“. Das heißt hohes Ausfallrisiko. Wie und bis wann wollen Sie das ändern?
Wir stehen in sehr engem Austausch mit den Banken. Wir werden die Finanzkraft von Mahle stärken, den seit zehn Jahren rückläufigen Trend bei der Profitabilität umkehren mit dem mittelfristigen Ziel, bis 2025 wieder zu alter Stärke zurückzufinden. Dazu müssen Einkauf, Produktivität, Produktionsnetz und Kunden beitragen. Die nächsten Jahre werden nicht einfach, aber ich bin zuversichtlich.

Erschwerend wird bei weiter steigenden Zinsen der zum Jahresende anstehende Teil der Refinanzierung aber immer teurer.
Um dem entgegenzuwirken, werden wir unsere Verschuldung relativ deutlich reduzieren, und das Portfoliomanagement wird ebenfalls einen Beitrag zur Reduzierung unserer Verschuldung leisten.

Das heißt, Sie müssen Bereiche verkaufen. Wollen Sie BHTC, das mit knapp 3000 Mitarbeitern rund 500 Millionen Euro Umsatz mit Klimabedienelementen erzielt, abgeben?
Wie gesagt, wir werden uns fokussieren. Das heißt, wir werden unser Portfolio regelmäßig dahingehend überprüfen, wie es zu unserer Strategie passt. Aktuell ist noch nichts entschieden.

Und Ihr teures Engagement in der Formel 1?
Es ist sehr motivierend für die Mannschaft. Und der Motorsport hilft uns, neue Technologien für die Serie mit viel Herzblut auszuprobieren.

Werden Sie es fortsetzen?
Kein Thema ist sakrosankt. Wir sind in der ständigen Überprüfung des Portfolios, und dazu gehört auch der Motorsport. Aber wir sind sehr zufrieden mit dem Engagement.

„Kapazitäten und Investitionen anpassen“

Die Autohersteller könnten Ihnen auch mehr unter die Arme greifen. Schließlich haben Mercedes und BMW 2022 sehr gut mit höheren Autopreisen verdient. Ihr Vorgänger hat an die Hersteller appelliert, die Zulieferer nicht auf den Kostensteigerungen bei Rohstoffen, Chips, Energie und in der Lieferkette sitzen zu lassen und die laufenden Lieferverträge nachzubessern. Hat das gefruchtet?
Ja, wir hatten sehr gute Gespräche. Ich hoffe, dass die Kunden künftig schneller reagieren. Wir werden 2023 nicht noch einmal bis in die zweite Jahreshälfte auf Inflationsanpassung bei den Preisen warten können. Die kommerzielle Vertragsgestaltung zwischen Zulieferern und Herstellern erlebt durch die Inflation einen Paradigmenwechsel.

Welchen?
In volatilen Zeiten wie diesen werden sich viele Prozesse in der Autoindustrie verändern.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Verträge mit Kunden und Lieferanten werden künftig wesentlich flexibler gestaltet sein müssen, damit exogene Kostensteigerungen automatisch schneller Eingang finden. Auch Verfügbarkeit ist keine kostenlose Selbstverständlichkeit. Wir können keine Kapazitäten über Nacht aus dem Boden stampfen.

Früher wäre eine Luxusstrategie von Mercedes für Mahle gut gewesen. Sie hätte teure Motoren mit vielen hochwertigen Zylindern bedeutet. Wie trifft Mahle die Entscheidung von Mercedes, keine kleineren Modelle mehr zu bauen?
Ich möchte mich nicht zur Strategie einzelner Kunden äußern. Wir liefern, was nachgefragt wird. Als Zulieferer brauchen wir generell beides – Klasse und Masse, um unsere Kapazitäten auszulasten. Wir sind breit aufgestellt, um die Mobilität der Zukunft zu gestalten. Wir beliefern alle Hersteller vom E-Bike bis zum 40-Tonner und zur Baumaschine. Nur eines ist klar: Der europäische Markt wird eine Jahresproduktion von 20 Millionen Fahrzeugen nicht mehr erreichen. Wir müssen uns hier dauerhaft auf 17 Millionen einstellen.

Und was heißt das für Mahle konkret?
Wir werden unsere Kapazitäten und unsere Investitionen anpassen. In Europa zählt die Elektromobilität, aber hier verdienen wir in der Anlaufphase noch kein Geld, das unterscheidet uns nicht vom Wettbewerb. Die Zulieferindustrie steht da noch vor einem langen Weg. Das wissen alle, auch die Arbeitnehmer. Den Weg können wir nur erfolgreich gestalten, wenn wir es gemeinsam tun.

>> Lesen Sie hier: Ist die Luxusstrategie der Autokonzerne am Ende?

Aber Mahle hat doch schon in den vergangenen Jahren jeden sechsten Arbeitsplatz abgebaut?
Wir haben derzeit relativ stabil 72.000 Mitarbeitende, mit einer sehr hohen Beschäftigung in Europa. In Deutschland hängen 6000 von 10.000 Arbeitsplätzen vom Verbrennungsmotor ab. Es wird sicher noch Anpassungen an den schrumpfenden Markt geben müssen.

Haben Sie noch Ihr Restrukturierungsbüro?
Wir steuern über ein konzerneigenes Programm in allen Bereichen die Kosten und haben verschiedene Projekte aufgesetzt, um die Ertragskraft des Unternehmens zu stärken.

Klimakompressoren als Wachstumsmarkt

Was sind denn Ihre heißesten Produkte?
Wir haben Aufträge über 1,4 Milliarden Euro für Klimakompressoren für E-Autos. Deren Aufgabe wird immer größer. Beim Elektroauto müssen ja nicht nur Motor und Innenraum temperiert werden, sondern auch die gesamte Leistungselektronik sowie die Batterie. Unsere Techniker sagen: „Die Batterie ist auch nur ein Mensch.“ Denn sie arbeitet am besten bei Körpertemperatur.

Und jenseits der Thermotechnik?
Die gesamten Mechatronik-Produkte haben einen Umsatzanteil von deutlich über zehn Prozent, bei Wachstumsquoten von 40 Prozent. Alles zielt auf möglichst geringen Energieverbrauch, denn das bedeutet mehr Reichweite, und das merkt der Autofahrer.

Wie kommen Sie aus der Bredouille heraus, dass Bosch, ZF und auch Conti und Schaeffler immer mehr Thermotechnik anbieten?
Es ist doch ganz klar: Das Wertschöpfungspotenzial beim Elektroauto beträgt das 2,8-Fache im Vergleich zu Autos mit Verbrennungsmotor. Das ist ein riesiger Wachstumsmarkt, auf den sich alle stürzen.

Und wie können Sie da bestehen?
Wir sind durch die Übernahme von Behr seit Jahrzehnten im Thermomanagement zu Hause. Wir haben technologische Vorteile durch unsere Systemkompetenz beim Temperieren aller Aggregate von Innenraum, Antrieb, Batterie und Elektronik, und das mit den kleinsten und leichtesten Komponenten mit zusätzlicher Funktionalität. Wir sind da bereits auf allen wesentlichen Märkten unterwegs.

Aber Bosch, ZF oder Conti haben einen deutlich größeren Vertrieb?
Ich bin leidenschaftlicher Vertriebler.

Das hätten Sie jetzt nicht sagen müssen.
Seien Sie sicher. Die gesamte Mahle-Organisation ist schlagkräftig.

„Wir stehen vor fünf Jahren mit Wachstum“

Und was macht Ihr neuer Wundermotor?
Es gibt mehrere Wunder: Wir haben nicht nur einen verschleißfreien E-Motor ohne Magnete und Bürsten entwickelt, sondern auch einen mit einer neuen Ölkühlung. Mit ihr kann der E-Motor dauerhaft über 90 Prozent der Spitzenleistung arbeiten. Das schafft sonst niemand. Im Markt gibt es Motoren, die deutlich darunter liegen.

Klingt vielversprechend. Haben Sie denn schon einen Auftrag?
Nein, aber sehr hohes Kundeninteresse, und wir sind bereits in Musterversuchen mit einer ganzen Reihe von Kunden.

Der Wettbewerb ist hart in der Transformation. Wie wird sich die Branche entwickeln?
Wo es früher für den Verbrennungsmotor fünf Lieferanten gab, sind es in der Elektromobilität bis zu 20.

Was ist das Problem?
Die Volumina der einzelnen Hersteller sind zu klein, um wirtschaftlich zu produzieren. Wir werden eine Konzentrationswelle erleben in den nächsten zehn Jahren.

Wird es Mahle noch in zehn Jahren geben?

Aber klar, davon bin ich fest überzeugt.

Was macht Sie so sicher?
Wir haben eine sehr gute DNA. Auch deshalb bin ich zurückgekommen. Wir können Veränderungen bewältigen. Wir stehen vor fünf Jahren mit Wachstum. Wir müssen es nur profitabel gestalten. Ich bin guter Dinge.

Herr Franz, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Mahle verliert drei Chefs innerhalb von vier Jahren. Einblicke in einen der wichtigsten Automobilzulieferer in Deutschland

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