Starke Frauen, starke Worte – Acht Neuerscheinungen von Autorinnen

Etwa 70 Prozent der veröffentlichten Werke im Sachbuchbereich werden von Männern geschrieben. Kein Wunder also, dass Bücher von Frauen auch seltener besprochen werden. Dabei sind sie es allemal wert.

Das Handelsblatt hat vor dem Weltfrauentag acht Titel ausgewählt, alle von Frauen geschrieben – von der Autobiografie über Finanz- und Karriereratgeber bis hin zu historischen Betrachtungen.

Einiges von dem, was Mirijam Trunk auf ihrem Weg in die Chefetage lernen musste, hätte sie gern schon eher erfahren. Dass nicht jede Kollegin auch eine Freundin werden muss, zum Beispiel. Von Lektionen wie dieser schreibt Trunk in ihrem Buch „Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte“.

Auch wenn sie nicht von Anfang an alle Erfolgsrezepte kannte: Erfolgreich ist sie dennoch geworden. Als Diversity- und Crossmedia-Chefin ist sie schon mit 31 Jahren Teil der ersten Führungsriege bei RTL. Sie wünscht sich, dass mehr Frauen eine Karriere wie ihre hinlegen. Ihr Buch soll sie dabei unterstützen.

Trunk ist es wichtig, für einen breiten Feminismus zu sensibilisieren. Einen, der über die Gedankenwelt des „White Feminism“ hinausgeht – auch wenn sie selbst weiß und privilegiert sei. Feminismus, sagt sie, funktioniere nur intersektional.

Mirijam Trunk: Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte
Penguin Verlag
München 2023
320 Seiten
22 Euro

Und so berichtet sie nicht nur von eigenen Erlebnissen – etwa davon, wie sie als Sprecherin auf einer Veranstaltung geladen war, am Einlass aber für die Assistentin eines männlichen Besuchers gehalten wurde. Zusätzlich hat Trunk mit anderen weiblichen „Role Models“ unterschiedlicher ethnischer und sozialer Herkunft gesprochen: mit Bahn-Vorständin Sigrid Nikutta, der ersten offen transsexuellen Bundestagsabgeordneten Tessa Ganserer oder der Unternehmerin Tijen Onaran, die sich seit Jahren für mehr Diversität in Politik und Wirtschaft einsetzt.

Trunks Buch richtet sich zwar in erster Linie an Berufseinsteigerinnen, denen sie dabei helfen will, „sich den Weg an die Spitze freizuräumen“, wie es im Klappentext heißt. Die Botschaft der Medienmanagerin ist allerdings weit über diese Zielgruppe hinaus von Relevanz: Hört auf, über strukturelle Ungleichheit in all ihren Facetten hinwegzusehen.

Geschichte: Heldinnen des Mittelalters

Der Blick in die Vergangenheit ist männlich geprägt. Janina Ramirez liefert gleich mehrere Geschichten von Heldinnen, Kriegerinnen und Wissenschaftlerinnen, die bislang zu Unrecht nicht besungen oder bedichtet wurden. In „Femina – eine neue Geschichte des Mittelalters aus Sicht der Frauen“ soll der Fokus eben nicht wie üblich auf den männlichen Protagonisten liegen.

Die Informationen dafür, so schreibt Autorin Ramirez, lägen schon immer in der Schublade. Sie schreibe die Geschichte also nicht um, sondern wechsle nur die Perspektive. Ramirez ist britische Kultur- und Kunsthistorikerin, Dozentin und Moderatorin mehrerer TV-Formate.

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Sie erklärt an vielen Stellen anschaulich, wie das Leben der Frauen im Mittelalter falsch interpretiert wurde oder gar unbeachtet blieb. Dabei zeigt sie auch auf, wie die männlich geprägte Forschung zum Leben zwischen 500 und 1500 nach Christus die Geschichten von Heldinnen oft im Keim erstickten. Dabei war das Mittelalter nicht nur diese dunkle Zeit, die alle damit assoziieren.

Janina Ramirez: Femina
Aufbau Verlag
Berlin 2023
522 Seiten
28 Euro
Übersetzung: Karin Schuler

Ramirez schreibt von mittelalterlichen Selfmade-Frauen und queeren Personen. Eine Geschichte: die der Birka-Kriegerin, einem Skelett, das in einem der bekanntesten Wikingergräbern in Schweden im 19. Jahrhundert gefunden wurde.

Lange gingen Experten davon aus, dass es sich um einen Wikinger handeln muss – weil das Skelett mit klassischen Insignien von Krieg und Plünderei gefunden wurde. Doch zwei Spezialistinnen extrahierten die alte DNA, stellten zwei X-Chromosomen fest – und so konnte die Geschichte der Wikingerinnen neu geschrieben werden. Ramirez“ Appell: Verlassen wir uns nicht auf die Geschichten, die wir erzählt bekommen, sondern interessieren wir uns für die Geschichten, die wir nicht zu hören bekommen.

Roman: Standhaft in Krisenzeiten

Die US-amerikanische Schriftstellerin Janet Lewis (1899 – 1998) war eine große Beobachtungskünstlerin, erzählt mit eindrucksvollen Naturbildern, völlig unaufgeregt. In ihrem Roman „Draußen die Welt“, der jetzt auf Deutsch erschienen ist, lebt die schottisch-amerikanische Hauptprotagonisten Mary Perrault im Hinterland von San Francisco ein beschauliches, unspektakuläres Kleinstadtleben zwischen Obstgärten, Feldern und Gemeindetreffen. Die Hausfrau umsorgt vier Kinder samt Ehemann, kümmert sich um Freunde und Nachbarn.

Doch das Leben verändert sich, als die Auswirkungen der großen US-Depression Ende der 1920er-Jahre vordringen. „Die Felder wurden an den vielen Tagen … in der Erinnerung zu Feldern vor einem Sturm, helles, klares Sonnenlicht holt da vor einer düsteren Wolkenwand Vertrautes gestochen scharf hervor. Die Katastrophe … stellt alles, was sie schon bald zerstören wird, noch einmal in ein besonderes Licht.“

Marys beste Freundin kommt bei einem Autounfall ums Leben, ihre Tochter befreit sich aus der Kleinstadtenge, der Kampf ums nackte Überleben bringt das Fundament der Gesellschaft ins Wanken. Fast schon ein wenig unheimlich vorausschauend beschreibt Lewis zudem die voranschreitende Naturzerstörung: Der enorme Wasserdurst der Landwirtschaft lässt Brunnen versalzen.

Janet Lewis: Draußen die Welt
dtv
München 2023
368Seiten
24 Euro
Übersetzung: Sylvia Spatz

Die Zeiten verdunkeln sich, und doch schafft es Mary, sich ihre Antriebskraft zu bewahren. Standhaft lässt sie sich vom Zeitgeist nicht treiben, bleibt ein moralischer Ruhepol für Familie und Freunde, verweigert sich dem zunehmend stärker um sich greifenden Egoismus.

Ihr Behaupten in Krisenzeiten ist es, was den Roman zu einem Stück zeitloser Literatur macht, auch im Jahr 2023. Dem „Draußen“ steht ein starkes „Innen“ gegenüber.

Autobiografie: Eine von uns

Große Menschlichkeit – dieses Gefühl durchzieht die mitreißenden Memoiren einer herausragenden Top-Managerin, die auf den ersten Blick nicht die Voraussetzungen erfüllte, um an die Spitze eines der größten börsennotierten Unternehmen in den USA aufzusteigen: Die Immigrantin Indra Nooyi, „Person of Color“ und zweifache Mutter, wird 2006 CEO von Pepsico mit einer halben Million Mitarbeitern.

Als Quelle ihres Aufstiegs beschreibt sie ihre Familie, die ihr Halt gab, Fundament war und antreibende Kraft. Und die sie in ihrer indischen Heimat lehrte, mutig und kompromisslos als Frau voranzuschreiten. In ihren „Lektionen eines Lebens“ beschreibt Nooyi chronologisch und nie langweilig, wie sie sich teils märchenhaft wie in der Tellerwäscher-Geschichte voller Hürden und Gefahren an die Spitze des Getränkekonzerns kämpfte und ihr Bildung, Netzwerke und auch der Zufall zu Hilfe kamen.

„Oh! Aber sie ist eine von uns“, freute sich 2009 der indische Premier Singh bei einem Treffen in Washington D. C. mit hochrangigen Wirtschaftsvertretern. Worauf US-Präsident Obama konterte: „Aber sie ist auch eine von uns.“

Indra Nooyi: Die Lektionen eines Lebens
Plassen Verlag
Kulmbach 2023
380 Seiten
24,90 Euro

Dass Indra Nooyi sich nicht nur in diesen beiden Welten zu Hause fühlt, sondern immer auch zwischen Macht und Demut schwankt und dabei vor allem Frau bleibt, wird in ihrem Buch deutlich. Sie beschreibt die Wertschätzung der Familie in der indischen Kultur – und sieht es als ihren Auftrag, sich für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Nachhaltigkeit zu engagieren. „Ich glaube, dass eine gesunde Familie die Wurzel einer gesunden Gesellschaft ist.“

Nicht zuletzt aufgrund dieser Einstellung gelang ihr in zwölf Jahren an der Pepsico-Spitze der Wandel hin auch zu gesünderen Produkten, trotz Gegenwind selbst von aktivistischen Investoren. Von ihr lässt sich lernen: als Vorbild, nicht nur für Frauen.

Netzwerke: Selbstvermarktung

Christina Richter hat sie in ihrem Buch alle versammelt und lässt sie berichten: die weiblichen Topstimmen der deutschen Wirtschaft auf LinkedIn. Tina Müller (Douglas), Verena Pausder (Investorin), Sigrid Nikutta (Deutsche Bahn), Annahita Esmailzadeh (Microsoft), Marie-Christine Ostermann (Rullko), Miriam Wohlfarth (Ratepay), Anna Weber (Babyone), Laura Bornmann (StartUp Teens) und Tatjana Kiel (WeAreAllUkrainians) haben auf dem sozialen Netzwerk zum Teil mehr als 100.000 Follower und sind damit für sie „Sichtbare Frauen“, so der Titel des Buchs.

Sie erzählen in Interviews über die Chancen und auch Risiken, die ihnen das soziale Netzwerk bietet: Was erzähle ich hier wie? Wo beginnt, wo endet meine Mitteilungsfreude? Wie gehe ich mit negativen Kommentaren um? Brauche ich Fotos oder Videos von mir?

Neben den Einblicken in die persönlichen Strategien bietet das Buch auch immer wieder verallgemeinerbaren Nutzwert wie, welche Wörter sind besser zu vermeiden, weil sie zu dick auftragen. Dazu gehören: „die beste, außergewöhnlich, hochbegabt“. Es gibt auch Tipps zum Schreibstil: „Formuliere respektvoll und sachlich, aber hart in der Sache.“

Christina Richter: Sichtbare Frauen
Campus Verlag
Frankfurt 2023
260 Seiten
24 Euro

Daneben bietet das Buch auch technische Handreichungen wie „Setze nicht mehr als drei bis fünf Hashtags!“ oder „Poste lieber an verschiedenen Tagen als mehrmals an einem Tag!“.
Autorin Richter betreibt mit diesem Buch natürlich auch Selbstvermarktung.

Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin des Personal Branding Instituts in Berlin und natürlich auch eine Vielerzählerin auf LinkdeIn mit derzeit 20.000 Followern. Doch das sei ihr gegönnt. Die Lektüre lohnt sich im besten Sinne des Wortes: Das Buch bietet interessante Einblicke und viele praktische Tipps. Tanja Kewes

Finanzen: Geldfragen für Frauen

Die Geburt von Kindern ist immer noch das finanziell einschneidendste Ereignis im Leben einer Frau. Das sagt Rechtsanwältin Christiane Warnke in Birgit Happels Buch „Auf Kosten der Mütter“. Sie begründet ihre Einschätzung auch damit, dass eine gleichberechtigte Aufteilung der Erziehungsarbeit immer noch nicht vom Staat gefördert wird.

Warnke ist eine von vielen Experten und Expertinnen, die in dem Werk zu Wort kommen. Happel beschäftigt sich darin mit überholten Rollenbildern, handfesten Fehlanreizen im Steuer- und Transfersystem und damit, wie sich das alles auf Kontostand und Rente von Frauen auswirkt. Sie liefert viele Beispiele, die sie unter anderem auf Veranstaltungen zum Thema „Frauen stärken ihre Finanzen“ gesammelt hat, und regt an, offen mit dem Partner über Geld und Aufgaben zu sprechen.

Dafür liefert sie gleich Fragebögen mit, die auch praktische Tipps etwa zur Budgetplanung oder finanziellen Unterstützung enthalten. In Abständen wird Wissenswertes zusammengefasst.

Birgit Happel: Auf Kosten der Mütter
Kösel-Verlag
München 2023
256 Seiten
28 Euro

Dabei schreibt sie auch über ihre eigenen Erfahrungen. Fazit: „Die Elternrollen gerecht zu verteilen ist ein stetiger Aushandlungsprozess.“ Zum Handeln oder zumindest Nachdenken anregen dürften Sätze wie: „Auf das gesamte Erwerbsleben gerechnet, erzielen Frauen im Durchschnitt nur etwas mehr als 50 Prozent des Bruttoeinkommens von Männern.“

Happel greift auch Themen wie die Diskriminierung nach dem Wiedereinstieg in den Beruf auf. Plakative Überschriften wie „Teilzeitarbeit ist später eben auch Teilzeitrente“ ziehen in die Kapitel rein, und im Kapitel „Familienarbeitszeit“ versucht sich Happel an einem Lösungsansatz – und damit einem Kompromiss im Ringen um mehr finanzielle Gleichberechtigung.

Historische Biografie: Eine moderne Mutter

Zu den bedeutenden Frauen in der europäischen Geschichte zählt zweifelslos die österreichische Kaiserin Maria Theresia, die das Habsburgerreich 40 Jahre regierte. Doch eine ihrer bemerkenswertesten Leistungen fand bislang wenig Beachtung: Sie entwickelte ein für das 18. Jahrhundert neues Verständnis der Mutterrolle.

Die französische Philosophin Elisabeth Badinter hat diesem Teil von Maria Theresias Leben ein Buch gewidmet. Badinter hat bereits 2017 eine Biografie über die Kaiserin veröffentlicht. Anhand von Briefwechseln zeichnet sie nun die Beziehung Maria Theresias zu ihren 16 Kindern, wovon 13 überlebten, nach.

Das Rollenbild einer adligen Mutter war um 1740 vor allem von Distanz geprägt, Ammen und Erzieher kümmerten sich um die Kinder. Auch die Kaiserin überließ offiziell die Erziehung ihrer Kinder anderen. Allerdings brach sie die Konventionen, indem sie viel mit den Erziehern korrespondierte, klare Anweisungen für jedes Kind gab und über die Entwicklungen ihrer Söhne und Töchter auf dem Laufenden gehalten wurde.

Elisabeth Badinter: Macht und Ohnmacht einer Mutter
Paul Zsolnay Verlag
Wien 2023
208 Seiten
26 Euro
Übersetzung: Stephanie Singh

Das ging so weit, dass Maria Theresia jedem an den damals hochansteckenden und lebensgefährlichen Pocken erkrankten Kind beistand. Auch scheute sie sich nicht, ihre Trauer über den Tod der drei Kinder jeweils öffentlich zu zeigen. Badinter überhöht Maria Theresias emotionales Verhalten fast.

Andererseits zeigt sie auch andere Facetten: Trotz aller Gefühle opferte die Kaiserin das Glück ihrer Töchter zugunsten politischer Interessen. Auch bevorzugte sie drei Kinder klar, darunter den Thronfolger Joseph. Beruhigend für heutige Mütter ist vielleicht die Lehre, dass selbst eine Kaiserin mit einer Hundertschaft an Bediensteten keine perfekte Mutter war.

Manifest: Ungehaltene Frauen

„Letztendlich bin ich auch wütend darüber, dass ich nicht wütend sein darf,“ sagt Aileen Puhlmann. Denn weibliche Wut ist nicht einfach Wut, begründet durch eine nachvollziehbare Kausalkette, sondern in Strukturen entstanden, in denen sie nie existieren durfte.

Weibliche Wut wird zum Politikum, zu Hysterie und Unprofessionalität. Das hört jetzt auf, beschließt Puhlmann mit den 23 weiteren Autorinnen aus Wissenschaft und Literatur, die teilweise noch die Schulbank drücken – oder bereits Ende 80 sind.

Der Sammelband „Sag jetzt nichts, lass mich zu Ende reden!“ wütet – das wird bereits im Vorwort versprochen und die Leserin nicht enttäuscht. „Nie wieder will ich ‚du hast dich gut gehalten‘ hören. Ich habe mich gar nicht gehalten, ich bin ungehalten, keiner und keine hält mich, ich liebe den freien Fall,“ sagt Eva Schulz-Jander. Mit dem Satz „Ich bin – Loch“ beschreibt Ruta Dreyer die gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, dass Frauen aufgrund ihrer Weiblichkeit erdulden müssen.

Ungehaltene Frauen: Sag jetzt nichts, lass mich zu Ende reden!
S. Fischer Verlag
Frankfurt 2023
208 Seiten
17 Euro

„Sag jetzt nichts, lass mich zu Ende reden!“ ist ein Buch, mit dem man sich weniger allein fühlt. Denn ich wusste, dass ich nicht die einzige Frau sein kann, die Desdemonas Schweigsamkeit in Shakespeares Othello vor Wut und vor Betroffenheit verrückt werden ließ – und der Beweis holte mich bereits im Vorwort ab.

Aber dieses Buch schenkt nicht nur Wut, sondern auch Mut. Mut, ungehalten zu sprechen, auch wenn die internalisierten Strukturen versuchen, die eigenen Worte zurückzuhalten. Die 24 Verfasserinnen schreiten voran und wüten aus lebensweltlicher Perspektive, die mitreißt – wenn nicht aus eigener Betroffenheit, dann aus Empathie.

Ein großartiger Sammelband, zu dem noch so vieles zu sagen wäre, aber es ist kein Platz mehr – und frau darf mal wieder nicht ausreden.

Mehr: Den eigenen Stil finden: Wie Frauen gute Rednerinnen werden

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