Kleber über Logistikketten, Spritpreise und Verdi

Düsseldorf An diesem Black Friday bekommt selbst der Branchenprimus Amazon die globalen Lieferengpässe und Probleme in den Logistikketten zu spüren. „Dass logistische Ketten weltweit zurzeit nicht so gut dastehen wie in den vergangenen Jahren, das ist klar“, erklärt Ralf Kleber, Deutschlandchef von Amazon, im Gespräch mit dem Handelsblatt. Auch auf der Plattform des US-Riesen werden manche Produkte vergriffen sein.

Traditionell markiert die Rabattschlacht am Black Friday Ende November den Auftakt für das Weihnachtsgeschäft. Doch mit dem verkaufsstärksten Tag im Jahr wird auch bei Amazon die Zahl der Retouren wieder steigen. Kleber wehrt sich aber gegen den Vorwurf, Amazon würde massenhaft Retouren vernichten. „Bei der Ware, die uns gehört, liegt dieser Anteil im Promillebereich“, betont er. Es würden im Prinzip nur Dinge entsorgt, „die aus Gründen der Hygiene oder der Produkthaftpflicht nicht mehr verkauft werden dürfen“. Rund 1,5 Millionen unverkäufliche Packungen habe Amazon im vergangenen Jahr auch an lokale Tafeln gespendet.

Verkaufspartner auf dem Amazon-Marketplace dagegen müssten häufig aus wirtschaftlicher Notwendigkeit Waren vernichten, statt sie zu spenden. „Die gesetzlichen Bestimmungen in Deutschland schreiben immer noch vor, dass auf Produkte, die gespendet werden, die Umsatzsteuer gezahlt werden muss“, klagt Kleber. Damit werde das Spenden teurer als die Entsorgung. „Und viele kleine Händler können sich das schlicht nicht leisten.“

Er appelliert deshalb an die künftige Bundesregierung, die gesetzlichen Bestimmungen dafür zu ändern. Vorbild seien da Länder wie Frankreich und Großbritannien, die das längst abgeschafft hätten. „In Großbritannien wurden in kurzer Zeit allein 70 Millionen an Retouren und unverkauften Produkten von Drittanbietern gespendet.“

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Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Kleber, in der Vergangenheit haben Sie an jedem Black Friday neue Verkaufsrekorde verkündet. In diesem Jahr wird daraus angesichts der internationalen Lieferprobleme wohl nichts, oder?
Unser Job ist es nicht, Rekorde zu erzielen. Aber wir sind bestens gerüstet, dass auch an diesem Black Friday möglichst viele Kundinnen und Kunden einen guten Deal abschließen können. Wie erfolgreich das dann letzten Endes wird – das entscheidet der Kunde.

Aber es werden doch sicher auch bei Amazon einige Produkte vergriffen sein?
Ja, natürlich kann das mal sein. Dass logistische Ketten weltweit zurzeit nicht so gut dastehen wie in den vergangenen Jahren, das ist klar. Was uns aber zugutekommt: Black Friday und das Weihnachtsgeschäft sind für uns so wichtig, dass die Vorbereitung darauf immer schon am 1. Januar beginnt – mit Investitionen in Technologie, die bessere Vorhersagen über das Kaufverhalten ermöglicht, oder mit der Einstellung von weiteren Mitarbeitern. Deshalb sind wir auch dieses Jahr gut vorbereitet.

In welchen Produktkategorien erwarten Sie am ehesten Probleme?
Die Produkte, bei denen es am schwierigsten ist, werden zum Glück am wenigsten zu Weihnachten verschenkt. Engpässe gibt es beispielsweise bei Speicherkarten, aber die liegen selten unterm Weihnachtsbaum. Da nahezu zwei Drittel aller über Amazon verkauften Produkte von unabhängigen Verkaufspartnern kommen, können wir es ohnehin häufig gut ausgleichen, wenn ein von Amazon angebotener Artikel knapp wird.

Können Sie denn im Weihnachtsgeschäft überhaupt die gewohnten Lieferzeiten einhalten?
Das ist eine Spitzenleistung bei der Planung, die man da jedes Jahr vollbringen muss, da muss man rechtzeitig die Kapazitäten schaffen. Wir haben mittlerweile 17 Logistikzentren und über 60 Verteilzentren in Deutschland. Damit beschäftigen wir in der Logistik über 19.000 Festangestellte plus Saisonkräfte, die dafür sorgen sollen, dass wir pünktlich unter den Weihnachtsbaum liefern.

Umso schwieriger wird das, weil die Gewerkschaft Verdi Jahr für Jahr zur Weihnachtszeit ihre Versandzentren bestreikt. Sie fordert einen Tarifvertrag für die Mitarbeiter. Warum sträuben Sie sich so dagegen?
Wir führen uns einfach die Fakten vor Augen: Wir haben Arbeit für 19.000 fest angestellte Menschen in der Logistik geschaffen. Wir achten darauf, dass alle Gesundheitsmaßnahmen eingehalten werden, wir haben Betriebsräte, mit denen wir bei Bedarf jeden einzelnen Schritt von der Pausenzeit bis zur Umkleidekabine absprechen. Wir haben dieses Jahr einen Einstiegslohn von 12 Euro plus Zusatzleistungen eingeführt, um auch da ein Zeichen zu setzen. Wir bieten Einstiegschancen und Karrieremöglichkeiten für jeden.

Trotzdem gibt es immer wieder Klagen über Arbeitsbedingungen in ihren Lagern.
Ich weiß, wie es in einem Logistikzentrum aussieht. Und ich weiß auch, dass es dort gute Jobs gibt, die gut bezahlt werden, und dass es dort ein kollegiales Umfeld gibt. Natürlich können wir uns immer noch verbessern, aber über 90 Prozent unserer Mitarbeiter bewerten uns als sehr guten Arbeitgeber.

„Dass eine Gewerkschaft ihrer Arbeit nachkommt, überrascht uns nicht“

Verdi beharrt aber auf der Forderung nach einem Tarifvertrag. Warum erzielen Sie nicht einfach eine Einigung und räumen das Thema ab?
Warum sollten wir? Wir stehen in engem Kontakt mit unseren Mitarbeitern, wir tun alles, um der beste Arbeitgeber zu sein: vom Lohn bis zur Arbeitssicherheit. Dass eine Gewerkschaft ihrer Gewerkschaftsarbeit nachkommt, überrascht uns nicht. Das gehört dazu, wie es im Winter Eis und Schnee gibt.

Also sind Sie nicht bereit Tariflöhne zu zahlen?
Das Thema ist uns ernst, das dokumentieren wir doch schon mit unserem Lohn von mindestens 12 Euro brutto. Und in Wahrheit sind wir mit unseren Zusatzleistungen wie Boni und beschränkten Mitarbeiteraktien doch schon weit darüber hinaus.

Alle klagen über die hohen Benzinpreise. Wie stark belastet Sie das?
Klar, das spüren wir auch, wir tanken ja auch an Tankstellen, das sind außerordentliche Kosten. Aber es sind ja nicht nur die Spritpreise. Viele vergessen, was die Pandemie allein in der Logistik ausgelöst hat. Wir haben seit Beginn der Pandemie 15 Milliarden US-Dollar in die Hand genommen, damit wir sicher arbeiten können. Und diese Kosten sind weiterhin da.

Beschleunigen die hohen Spritpreise den Umstieg auf elektrische Lieferwagen?
Wir haben ein Versprechen abgegeben, bis 2040 klimaneutral zu operieren. Wir haben ja beim Start-up Rivian 100.000 Fahrzeuge bestellt. Europaweit haben wir 1.800 Fahrzeuge bei Mercedes-Benz bestellt und in Deutschland 800 auf die Straße gebracht.

Angesichts Ihrer riesigen Logistik ist das noch ein kleiner Anteil.
100.000 Fahrzeuge sind nicht wenig. Ein begrenzender Faktor können jedoch bisweilen auch die fehlenden Produktionskapazitäten sein. Da macht sich wieder der Chip-Engpass bemerkbar. Ich glaube, die Automobilhersteller würden gerne noch mehr E-Mobilitätsfahrzeuge herstellen.

„Retouren gehören im Handel zum Geschäft“

Die Lieferkapazitäten im E-Commerce werden durch hohe Retourenquoten zusätzlich belastet. Was tun Sie dagegen?
Erst mal hat ja niemand ein Interesse an Retouren – weder der Kunde , noch die Umwelt und wir auch nicht. Deshalb tun wir viel, damit Kundinnen und Kunden direkt bekommen, was sie brauchen. Retouren gehören aber im Handel zum Geschäft und sind je nach Produkt sehr unterschiedlich. Wir versuchen natürlich, möglichst viel der retournierten Ware als Neuware wieder in den Verkauf zu bringen. Den Rest versuchen wir als B-Ware zu Schnäppchenpreisen anzubieten. Wir haben im vergangenen Jahr auch 1,5 Millionen Einzel- und Großpackungen allein an lokale Tafeln gespendet, die wir nicht mehr verkaufen konnten.

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Ihnen wird immer wieder vorgeworfen, Sie würden massenhaft Retouren vernichten. Hand aufs Herz: Wie viel wandert in den Schredder?
Bei der Ware, die uns gehört, liegt dieser Anteil im Promillebereich. Wir entsorgen im Prinzip nur Dinge, die aus Gründen der Hygiene oder der Produkthaftpflicht nicht mehr verkauft werden dürfen. Das Entsorgen von Ware bedeutet ja auch das Entsorgen von Geld – das können wir als Händler allein aus wirtschaftlichen Gründen nicht wollen.

Wie kommt es dann immer wieder zu Videos aus Ihren Lägern mit Containern von Waren, die zur Vernichtung bestimmt sind?
Sie dürfen nicht vergessen, dass wir nicht Eigentümer von allen Waren sind, die in unseren Logistikzentren liegen. Wenn ein Verkaufspartner seine Ware entsorgen will, können wir ihn nicht daran hindern. Wir können ihm aber helfen, die Ware zu retten – und das tun wir. Aber eine ganz wichtige Möglichkeit bleibt uns dabei leider verschlossen.

Welche denn?
Die gesetzlichen Bestimmungen in Deutschland schreiben immer noch vor, dass auf Produkte, die gespendet werden, die Umsatzsteuer gezahlt werden muss. Damit wird vielfach das Spenden teurer als die Entsorgung. Und viele kleine Händler können sich das schlicht nicht leisten. Das sind ja keine Großkonzerne. Das ist eine Situation, die auch sicher nicht im Sinne der Umwelt ist.

Das heißt, dass die Politik letztlich selbst für die Vernichtung von Waren eine Mitschuld trägt?
Seit Jahren machen wir das Bundesfinanzministerium darauf aufmerksam, diese Situation endlich zu ändern. In vielen anderen Ländern wie Frankreich, Belgien oder Großbritannien ist der Weg längst frei. Wir hoffen, dass die neue Regierung jetzt diesen Hemmschuh beseitigt. Nur um eine Größenordnung zu zeigen, was das bewirken könnte: In Großbritannien wurden in kurzer Zeit allein 70 Millionen an Retouren und unverkauften Produkten von Drittanbietern gespendet.

In den USA und Großbritannien hat Amazon auch eigene stationäre Läden. Wann sehen wir die auch in Deutschland?
Die Wann-Fragen sind immer die schwierigsten, die kann ich nicht kommentieren. Wir haben dazu bisher keine Pläne bekannt gegeben.

Warum zögern Sie in Deutschland so?
Wenn bestimmte Services in einem Land noch nicht verfügbar sind, würde ich das nicht unbedingt als zögern bezeichnen. Wir stecken sehr viel Geld in die unterschiedlichsten Innovationen und es war schon immer so, dass eine Innovation in einem Land schon verfügbar war und in einem anderen erst später.

Die meisten ihrer stationären Geschäfte sind Lebensmittelläden. Ist das Händlernetz in Deutschland schon so dicht, dass da für Sie kein Platz mehr ist?
Das hat auch damit zu tun, dass wir in Whole Foods in den USA einen optimalen Partner gefunden hatten, das war ja eine große Akquisition. Was Deutschland anbelangt, melden wir uns, wenn es etwas zu verkünden gibt.

„Zur Vielfalt des Handels gehört auch der stationäre Handel“

Also es sind auch Amazon-Läden in Deutschland denkbar?
Nichts ist undenkbar. Wir haben selten etwas komplett ausgeschlossen. Unser Job ist es, die Vielfalt, die Kundinnen und Kunden schätzen, zu erweitern und durch Innovation in neue Erfahrungsdimensionen zu erweitern. Und wenn dazu stationäre Geschäfte gehören sollten, dann werden wir die entsprechende Entwicklung auch vorantreiben.

Was bringt Ihnen eine stationäre Präsenz?
Definitiv die Nähe zum Kunden. Wir könnten dadurch ein Stück nahbarer für die Kunden werden. Wir haben anfangs sehr stark auf den E-Commerce gesetzt. Aber zur Vielfalt des Handels gehört auch der stationäre Handel – was aber auch keine Überraschung ist.

Zur Vielfalt des Handels gehören auch Innovationen im E-Commerce, wie Live-Shopping über Videos. Amazon ist da selten ganz vorne. Liegt das daran, dass Sie mittlerweile so groß und damit unbeweglicher geworden sind?
Nein, das glaube ich nicht. Die Meilensteine, die wir als Innovator gesetzt haben, sind ja überall sichtbar, vom Marktplatz über Kindle bis zu Alexa. Wir sind auch im Bereich Künstliche Intelligenz ein Innovator, ein Bereich, der für uns ganz wichtig ist. Es geht auch um Dinge, die dem Kunden nicht sofort ins Auge springen, wie zum Beispiel die Kundenrezensionen, die wir erfunden haben.

Mit Live-Commerce werden in Asien schon Milliarden umgesetzt. Müssten Sie da nicht längst dabei sein?
In den 22 Jahren, die ich jetzt bei Amazon bin, habe ich so viel kommen und gehen sehen. Der Schlüssel für den Erfolg liegt in unserer Beziehung zum Kunden und der schreit jetzt nicht gerade nach neuen Formen des Handels. Man vergisst immer: Die wichtigen, bahnbrechenden Innovationen, die das Unternehmen groß gemacht haben, das waren beispielsweise der Umstieg vom Desktop auf den Mobile Commerce oder das Bezahlen mit einem Click. Das waren nicht die kleinen Experimentierfelder.

Herr Kleber, vielen Dank für das Interview.

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