Großbritannien: Russischer Konvoi bei Kiew kaum vorangekommen – Lawrow: „Militäreinsatz verläuft nach Plan“

Düsseldorf In der Ukraine sollen an diesem Donnerstag sieben Fluchtkorridore für die Zivilbevölkerung geöffnet werden. Darunter sei auch Mariupol, sagt die stellvertretende Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk. Allerdings musste ein Hilfskonvoi bereits umkehren, bevor er die eingekesselte Stadt im Süden der Ukraine erreicht hatte. Der Grund dafür sei anhaltender Beschuss, erklärte die stellvertretende Ministerpräsidentin.

Zudem sollten über drei Fluchtkorridore Menschen aus Städten der Region Sumy im Nordosten in die weiter westlich liegende Stadt Poltawa gerettet werden. Dafür sei regional eine Waffenruhe geplant, teilte die Gebietsverwaltung mit. Aus der umzingelten Großstadt selbst entkamen am Dienstag und Mittwoch fast 50.000 Menschen.

Die Ukraine meldete zuvor Beschuss auf mehrere Großstädte, in der Hauptstadt Kiew gab es wohl Fliegeralarm. Der lange russische Militärkonvoi nordwestlich der ukrainischen Hauptstadt ist nach britischer Darstellung in der vergangenen Woche allerdings nur langsam vorangekommen. Zudem erleide er anhaltend Verluste, erklärt das Verteidigungsministerium in London.

Der Militäreinsatz seines Landes in der Ukraine verlaufe nach Plan, sagte dagegen der russische Außenminister Sergej Lawrow. Er kündigte am Donnerstag an, dass sein Land mit einem neuen Blick auf die Welt aus der Krise kommen werde. Russland werde versuchen, nie wieder vom Westen abhängig zu sein.

Top-Jobs des Tages

Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.

Die britische Regierung hält unterdessen auch einen Einsatz russischer Söldner bei der Invasion in die Ukraine für wahrscheinlich. Die Briten gehen von engen Kontakten zwischen Moskau und privaten russischen Militärunternehmen aus.

Angesichts deren Aktivitäten in anderen Ländern zeigte sich das britische Verteidigungsministerium besorgt. „Private russische Militärunternehmen wurden in mehreren Ländern wie Syrien, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, während sie für den russischen Staat im Einsatz waren“, heißt es in der Mitteilung.

Angriff auf Geburtsklinik

Bei einem Angriff auf eine Geburtsklinik im ukrainischen Mariupol sind nach Angaben des stellvertretenden Bürgermeisters der Stadt drei Menschen ums Leben gekommen. Unter den Toten sei auch ein Kind, sagte Vize-Bürgermeister Sergej Orlow am Donnerstag dem britischen Sender BBC. Ukrainische Behörden hatten von 17 Verletzen gesprochen, darunter auch Schwangere. Die Ukraine macht Russland für den Angriff verantwortlich. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig prüfen.

Zerstörtes Krankenhaus in Mariupol

Die Ukraine macht Russland für den Angriff verantwortlich.


(Foto: AP)

Präsident Wolodimir Selenski veröffentlichte am Mittwoch im Kurznachrichtendienst Twitter ein Video, das völlig verwüstete Räume der Klinik zeigen soll. Demnach müssen eines oder mehrere Geschosse oder Bomben im Hof des Klinikkomplexes eingeschlagen sein.

Der Kreml in Moskau kündigte eine Untersuchung an. „Wir werden unser Militär fragen, weil wir keine genauen Informationen darüber haben, was dort passiert ist“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Russlands Außenminister hat die Vorwürfe als Falschmeldung zurückgewiesen.

Russland habe bereits am 7. März die Vereinten Nationen informiert, dass in der ehemaligen Klinik laut Russland kein medizinisches Personal mehr sei, sondern ein Lager ultraradikaler Kämpfer des ukrainischen Bataillons Asow, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Donnerstag in Antalya nach Gesprächen mit seinem ukrainischen Kollegen Dmitro Kuleba. Lawrow sprach von einer „Manipulation“ der gesamten Welt mit Informationen zu mutmaßlichen Gräueltaten der russischen Armee.

Außenministertreffen in der Türkei

Erstmals seit Kriegsausbruch haben sich Lawrow und Kuleba getroffen. Nach den Gesprächen hat sich der ukrainische Außenminister während einer Pressekonferenz geäußert. Die tragischste Situation gebe es derzeit in der Hafenstadt Mariupol. Sie liege unter Artilleriebeschuss. Er sei mit humanitären Zielen nach Antalya gereist. Es sei ihm um humanitäre Korridore gegangen. Leider sei sein russischer Amtskollege Lawrow nicht in der Lage gewesen, sich selbst darauf zu verpflichten. Aber dieser werde mit den „Autoritäten“ in Russland darüber diskutieren.

Außenministertreffen in der Türkei

Beim Thema Waffenruhe habe man bei den Gesprächen keine Entscheidung erzielt.

(Foto: dpa)

Beim Thema Waffenruhe habe man keine Entscheidung erzielt. Es sei vereinbart worden, die Bemühungen fortzusetzen, um Lösungen für die humanitären Probleme zu finden. Er sei bereit für weitere Gespräche, vorausgesetzt es werde nach ernsthaften Lösungen gesucht, so Kuleba.

Die Ukraine wird nach den Worten Kulebas nicht kapitulieren. Die Ukraine habe den Plan Russlands durchkreuzt. „Russland wird von der Ukraine keine Kapitulation bekommen.“ Sein Land sei zu einer ausgewogenen diplomatischen Lösung bereit. Sein Eindruck sei, dass Russland derzeit nicht in der Position sei, eine Waffenruhe herzustellen. Lawrows Darstellung sei es gewesen, dass Russland seine Aggression fortsetzen werde, bis die Ukraine die russischen Forderungen erfüllt habe.

Derweil plant Finnlands Präsident Sauli Niinistö am Freitag mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin zu telefonieren. Worüber er mit dem Kremlchef sprechen will, ließ der Finne nach Angaben des Rundfunksenders Yle am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Helsinki zunächst offen. „Das weiß ich nicht einmal selbst“, sagte Niinistö, dem in der Vergangenheit Verständnis für Putins Positionen unterstellt wurde.

Finnland ist das EU-Land mit der längsten gemeinsamen Grenze mit Russland. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine diskutieren die Finnen ebenso wie die benachbarten Schweden erneut über einen möglichen Beitritt zur Nato – beide Länder sind keine offiziellen Mitglieder des Militärbündnisses, aber enge Partner der Allianz.

Ukraine hofft auf schnelle Zusage für mehr deutsche Waffenlieferungen

Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, hofft auf eine schnelle Zusage Deutschlands für weitere Waffenlieferungen an sein Land. „Ich werde mich heute mit der Verteidigungsministerin treffen, und ich hoffe, dass wir da auch eine ganz konkrete Zusage bekommen“, sagte Melnyk am Donnerstag im ZDF-„Morgenmagazin“.

Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur hatte Melnyk zuvor auf Wunschlisten der Ukraine verwiesen, auf denen unter anderem Luftabwehrsysteme und Anti-Drohnen-Gewehre stehen, auf einer zweiten Liste aber auch schweren Waffensysteme wie U-Boote und Panzer.

Melnyk forderte eindringlich eine Waffenruhe. „Die Hauptsache ist, dass eine allumfassende Waffenruhe eingeführt wird, denn bis heute zwei Wochen dauert dieser perfide, barbarische Krieg vor allem gegen Zivilisten“, sagte Melnyk im ZDF. Die Toten müssten geborgen, die in Trümmern ausharrenden Menschen müssten gerettet werden können. „Das ist das Gebot der Stunde.“

Auf die Frage, ob die Ukraine Russland die Schwarzmeer-Halbinsel Krim überlassen könnte, sagte Melnyk: „Ich glaube, es ist heute zu früh, über solche Fragen zu reden und den Verhandlungen vorzugreifen.“ Solche Fragen könnten nur in bilateralen Verhandlungen zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski und Kremlchef Putin besprochen werden. Dazu sei Putin bisher nicht bereit.

>> Lesen Sie hier alle aktuellen Entwicklungen in unserem Liveblog.

Chelsea-Inhaber Roman Abramowitsch mit Sanktionen belegt

Großbritannien hat Sanktionen gegen Chelsea-Inhaber Roman Abramowitsch und weitere russische Oligarchen verhängt. Das gab die britische Regierung am Donnerstag bekannt. Demnach wurde Abramowitschs Vermögen eingefroren, Transaktionen mit britischen Privatpersonen und Unternehmen sind ihm verboten. Außerdem wurde er mit einem Reise- und Transportverbot belegt.

>> Lesen Sie dazu: Roman Abramowitsch auf der Sanktionsliste

Großbritannien reagiert damit auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. „Es darf keine sicheren Häfen geben für die, die Putins bösartigen Angriff auf die Ukraine unterstützt haben“, wurde Premierminister Boris Johnson zitiert. Abramowitsch wird eine Nähe zu Kreml-Chef Putin nachgesagt, was er allerdings bestreitet.

Was die Sanktionen für den geplanten Verkauf des FC Chelsea bedeuten, war zunächst unklar. Abramowitsch hatte kürzlich angekündigt, den Club nach fast 20 Jahren verkaufen zu wollen. Der Schritt galt als Reaktion auf die Forderung nach Sanktionen gegen ihn, die nun allerdings noch vor dem Chelsea-Verkauf in Kraft treten.

Hier finden Sie mehr Handelsblatt-Artikel zum Thema:

Tui entzieht Ex-Russland-Ableger Markenrechte

Der weltgrößte Reisekonzern Tui hat seinem früheren Russland-Ableger die Nutzung der Markenrechte entzogen. Wie das Unternehmen am Donnerstag mitteilte, wurde ein entsprechender Vertrag mit Tui Russia gekündigt. Die Tui AG mit Hauptsitz in Hannover betonte, dass dieses Unternehmen nach dem Verkauf der letzten Anteile 2021 „keine Gesellschaft der Tui Group“ mehr sei.

Bisher durfte Tui Russia etwa auch in Russland, Belarus, der Ukraine, Kasachstan oder Usbekistan den Namen Tui verwenden. Tui-Vorstandschef Fritz Joussen erklärte: „Die Tui verurteilt den Angriff und den Krieg Russlands. Die Marke Tui darf nicht länger von Tui Russia für ihr Geschäft und den Auftritt des Unternehmens genutzt werden.“

Hinter Tui Russia steht die Familie des russischen Oligarchen und bisher größten Tui-Einzelaktionärs Alexej Mordaschow. Er ist auf der Sanktionsliste der EU. Kürzlich war bekannt geworden, dass der schwerreiche Geschäftsmann mit mehreren Firmenbeteiligungen bereits kurz vor der Verhängung der Strafmaßnahmen aus Brüssel Ende Februar seine Anteile am Tui-Konzern im Hintergrund neu geordnet hatte.

Spendenbereitschaft für Ukraine teils so hoch wie nie zuvor

Die Spendenbereitschaft für die Kriegsopfer der Ukraine ist bei einigen Organisationen so hoch wie nie zuvor. Dies berichtet das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe. „Noch nie in der Geschichte des Aktionsbündnisses, also den letzten 21 Jahren, gingen in einem vergleichbaren Zeitraum so viele Spenden ein“, sagte Geschäftsführer Dominique Mann der Deutschen Presse-Agentur.

Bisher seien über 76 Millionen Euro Spendengelder verbucht worden. Das Aktionsbündnis setzt sich aus Caritas international, dem Deutschen Roten Kreuz, der Diakonie Katastrophenhilfe sowie Unicef Deutschland zusammen.

Das Bündnis Aktion Deutschland Hilft sieht ebenfalls eine hohe Resonanz. Die Spendenbereitschaft sei sicher vergleichbar mit der für die Hilfe nach dem Tsunami 2004 und dem Hochwasser 2021, sagte Sprecherin Birte Steigert. Der Spendenstand nach dem Angriff auf die Ukraine liege bisher bei 55,9 Millionen Euro.

Mehr als zwei Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen

US-Vizepräsidentin Kamala Harris wird nach eigenen Angaben während ihres Besuchs in Polen Wege besprechen, um Russland für die Invasion in der Ukraine bezahlen zu lassen. Harris lobte die „außergewöhnliche Arbeit“ des Nato-Verbündeten bei der Versorgung der Flüchtlinge aus der Ukraine. Harris soll sich unter anderem mit Präsident Andrzej Duda und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki treffen.

>> Lesen Sie dazu: Kommentar: Flüchtlinge willkommen – der Hilfsbereitschaft muss gute Politik folgen

Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge sind inzwischen 2,3 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Darunter seien mehr als 112.000 Bürger von Drittstaaten, teilt die UN-Behörde auf ihrer Website mit. Vor dem Krieg lebten in der Ukraine etwa 44 Millionen Menschen.

Geflüchtete in Leipzig

In Deutschland haben die Behörden inzwischen fast 100.000 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert.

(Foto: dpa)

In Deutschland haben die Behörden inzwischen fast 100.000 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert. Es seien nach Zahlen der Bundespolizei mittlerweile 95 913 Menschen festgestellt worden, teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Donnerstag in Berlin mit.

„Da aber keine festen Grenzkontrollen an den Binnengrenzen stattfinden, kann die Zahl der nach Deutschland eingereisten Kriegsflüchtlinge tatsächlich bereits wesentlich höher sein.“

Zivilisten dürfen Waffen nutzen

In der Ukraine ist Zivilisten der Gebrauch von Waffen zur Abwehr des russischen Angriffs erlaubt worden. Das Gesetz trat bereits am Montag in Kraft, wie ukrainische Medien am Donnerstag berichteten. Auch legal im Land lebende Ausländer und Staatenlose können demnach Waffen erhalten und diese gegen russische Soldaten einsetzen. Die Waffenausgabe werde vom Innenministerium geregelt. Dem Gesetz zufolge sollen ausgegebene Waffen und Munitionsvorräte spätestens zehn Tage nach dem Ende des derzeit geltenden Kriegsrechts wieder abgegeben werden.

Vor allem in Kiew wurden in den ersten Kriegstagen bereits willkürlich Sturmgewehre und Munition ausgegeben. In den Nächten gab es Schießereien in den Straßen der Stadt mit drei Millionen Einwohnern, die erst nach der Verhängung einer strengen Ausgangssperre aufhörten. Beobachter befürchteten, dass Russland zivile Opfer mit der Gefährdung durch bewaffnete Zivilisten begründen könnte.

Der Kreml in Moskau kritisierte die nun erteilte Erlaubnis. „Wenn jemand mit einer Waffe in der Hand einen russischen Soldaten angreift, dann wird er auch zu einem Ziel“, hieß es.

Mit Agenturmaterial

Mehr: Warum ein Staatsbankrott Russlands kaum zu vermeiden ist

source site-16