Dunkelblum, Noise und Co.: Die besten Bücher 2021

Zeit für ein gutes Buch

Neun Autorinnen und Autoren stellen ihre Bücher des Jahres vor.


(Foto: DigitalVision/Getty Images)

Düsseldorf Die kalten Monate sind die Monate, in denen es noch wertvoller ist, ein gutes Buch zu lesen. Überaschende Geschichten, tiefgründige Biografien oder spannende Analysen – für den Jahresausklang sollte für ausreichend Lesestoff gesorgt sein.

Die Jury der „Menschen des Jahres“-Ausgabe hat neun Titel ausgewählt, die Sie auf Ihre Leseliste setzen sollten. Vom besten Wirtschaftsbuch des Jahres über Bestsellerroman und Pandemie-Reflexionen ist für jeden etwas dabei.

Miller, Şahin, Türeci: Project Lightspeed

Joe Miller, Uğur Şahin, Özlem Türeci: Projekt Lightspeed. Der Weg zum Biontech-Impfstoff – und zu einer Medizin von morgen.
Rowohlt Buchverlag
Hamburg 2021
352 Seiten
22 Euro

Mein Buch des Jahres ist eine faszinierende Geschichte über Wissenschaft, Pioniergeist und einen atemlosen Lauf gegen die Zeit: Es geht um „Projekt Lightspeed“, in dem der „Financial Times“-Journalist Joe Miller die Geschichte des Biontech-Impfstoffs und des Unternehmer-Paares Uğur Şahin und Özlem Türeci erzählt.

Miller erklärt, wie es den beiden gelungen ist, mit einem neuartigen mRNA-Impfstoff in recht kurzer Zeit Abermillionen Menschen zu helfen. Eigentlich hatte Biontech mit dem Impfstoff andere Pläne: Das Biotech-Unternehmen hatte sich auf die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Krebs konzentriert.

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Die Wende kam im Januar 2020, als Sahin im Netz von dem neuartigen Coronavirus und den Nachrichten aus dem chinesischen Wuhan las. Schon damals rechnete er, das zeigen firmeninterne Mails, mit einer weltweiten Verbreitung des Virus – und richtete sein Unternehmen neu auf diese Herausforderung aus. Miller beschreibt, wie Biontech den Impfstoff so schnell auf den Markt bringen konnte, welche Widerstände das Unternehmen überwinden musste – und wie die mRNA-Technik zur Basis für die Medizin der Zukunft wird. Sebastian Matthes

Michael Hüther: Erschöpft durch die Pandemie

Michael Hüther, Matthias Diermeier, Henry Goecke: Erschöpft durch die Pandemie.
Springer Verlag
Heidelberg 2021
306 Seiten
19,99 Euro

Als Mitinhaber eines 236 Jahre alten Familienunternehmens, das Kriege, Weltwirtschaftskrisen, Finanzkrisen und Pandemien erfolgreich überlebt hat, denkt man langfristig, heute sagen wir auch nachhaltig, in Generationen. Heute geben die „vier Ds“ für Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demografie und Deglobalisierung den Handlungsrahmen vor.

In seinem im Jahr 2019 erschienenen ersten Buch zu diesem Kontext mit dem Titel „Die erschöpfte Globalisierung“ beschreibt Michael Hüther die erste Globalisierung zwischen 1870 und 1914 und analysiert die zweite Globalisierung ab 1978 mit der Öffnung Chinas, die er jetzt durch den in diesem Jahr veröffentlichten Titel „Erschöpft durch die Pandemie“ fortsetzt.

Das Fenster der zweiten Globalisierung schließt sich seit einigen Jahren. Dabei ist der Autor – und auch ich – davon überzeugt, dass die Globalisierung als Sicherung der verantwortlichen Freiheit fungiert. Für uns Unternehmer ist die Wettbewerbsfähigkeit durch die jeweiligen Standortbedingungen, den freien Handel, die Innovationsfähigkeit, die Akzeptanz in der Gesellschaft und die internationale Arbeitsteilung maßgeblich. Arndt Kirchhoff

Indra Nooyi: My Life in Full

Indra Nooyi: My Life in Full. Work, Familiy and Our Future.
Portfolio
USA 2021
320 Seiten
20,78 Euro

Einerseits ist „My Life in Full“ eine ganz normale Autobiografie über eine der erfolgreichsten Managerkarrieren weltweit. Andererseits erzählt Indra Nooyi eine Geschichte, die der ihrer Vorgänger nicht unähnlicher sein könnte.

Geboren im indischen Madras, studiert Nooyi zuerst Chemie und BWL in Kalkutta – und ist hier beide Male eine von nur wenigen Frauen. Dann zieht es sie an die Yale Business School in den USA. Dies ist der Beginn eines Karrierewegs, der seinesgleichen sucht und sie über verschiedene Stationen 1994 zu Pepsico führt, einem der größten globalen Konzerne in der Getränke- und Lebensmittelindustrie.

2006 wird Nooyi CEO. Als erste Frau. Parallel bekommt sie zwei Töchter und teilt sich die Betreuung mit ihrem Ehemann, der ebenso Karriere macht. Nooyi erzählt von ihrem Weg als Vorreiterin in einer Welt, die noch heute mit mangelnder Diversität zu kämpfen hat.

Sie zeigt aber auch, wie sie sich ihren Rang erarbeiten konnte: mit Beharrlichkeit, Ausdauer und einem ungebrochenen Streben nach Exzellenz. Nooyis Geschichte gibt Hoffnung und ehrliche Einblicke in den Karriereweg einer Ausnahmefrau, die hoffentlich keine Ausnahme bleiben wird. Judith Dada

Ferdinand von Schirach: Jeder Mensch

Ferdinand von Schirach: Jeder Mensch.
Luchterhand Literaturverlag
München 2021
32 Seiten
5 Euro

Digitalisierung, Klimawandel, der Systemwettbewerb zwischen den USA und China – sie gelten als Treiber unserer sich immer schneller verändernden Welt. Und werden oft dargestellt auf eine Art und Weise, als wären es Naturgewalten, auf die wir nicht anders reagieren könnten, als uns anzupassen.

Dem widersprechen Ferdinand von Schirach und die Initiatoren der Initiative „Jeder Mensch“. Und mit ihnen inzwischen bald 250.000 Unterzeichner des Appells „Für neue Grundrechte in Europa“. Aus der einst von von Schirach öffentlich gemachten Überlegung, dass Europa neue Grundrechte brauche, ist inzwischen eine konzise, historisch und vor allem juristisch umfassend begründete Schrift entstanden.

Dabei ist der Text selbst bestechend einfach geschrieben. Sechs zusätzliche Grundrechte werden gefordert unter den Überschriften Umwelt, Digitale Selbstbestimmung, Künstliche Intelligenz, Wahrheit, Globalisierung und Grundrechtsklage. „Jeder Mensch“ ist ein Vorschlag, wie unser Rechtsrahmen ergänzt werden könnte, sodass er auch im 21. Jahrhundert die Würde des Menschen schützt. Nun ist es an uns Bürgerinnen und Bürgern, uns dazu zu verhalten. Anna Herrhausen

Florian Illies: Liebe in Zeiten des Hasses

Florian Illies: Liebe in Zeiten des Hasses. Chronik eines Gefühls 1929–1939.
Verlag S. Fischer
Frankfurt 2021
432 Seiten
24 Euro

Was für ein lehrreiches und schönes Lese- und Geschichtsbuch! Die Episoden und Eskapaden der deutschen Schauspieler- und Schriftstellereliten während der Weimarer Republik illustrieren und erzählen das Jahrzehnt des sich verdunkelnden Deutschlands.

Weil auch internationale Größen wie Ernest Hemingway und Pablo Picasso, wie Jean-Paul Sartre und natürlich Simone de Beauvoir ausführlich in (Liebes-)Szene gesetzt werden, weil das Werk auch in Paris und New York spielt, am Lago Maggiore und an der Côte d’Azur, bietet das Buch weit mehr als eine ausführliche deutsche Geschichtsstunde.

Die mehr als 400 Seiten öffnen den Blick in die Welt – und wie sich die vorhersehbare Katastrophe in Frankreich, den USA und anderswo schon früh in Details und Dilemmata zeigte. Unterteilt in ungezählte kleine Kapitel voller Liebe und Leidenschaft, schlägt Florian Illies’ Buch als eine Art Epochengemälde den geschichtlichen Bogen zwischen 1929 und dem Kriegsbeginn 1939 und spiegelt die Chronik zweier großer Gefühle, eben von Hass und Liebe, roman- und meisterhaft erzählt. Peter Brors

Juli Zeh: Über Menschen

Juli Zeh: Über Menschen.
Luchterhand Literaturverlag
München 2021
416 Seiten
22 Euro

Juli Zeh ist mit „Über Menschen“ wieder ein Buch gelungen, das unsere unmittelbare Gegenwart und die darin agierenden Menschen auf großartige Weise spiegelt – mit all ihren Stärken, Schwächen, und Widersprüchen.

Es handelt von einer jungen Frau, die aus der Stadt aufs Land flüchtet. Sie will allem und jedem entkommen – auch ihrem Lebensgefährten und der Coronapandemie. Sie findet sich wieder in einem alten Haus mit verwildertem Garten in einem Straßendorf mit Busverbindungen im Tageszeitentakt.

Sie trifft Menschen wie ihren rechtspopulistischen Nachbarn, der erst alle Vorurteile bestätigt und atypisch erscheint und dann alle Raster und geglaubten Gewissheiten sprengt. Die diesem Roman zugrunde liegende Frage lautet: Trauen wir uns, Mensch zu sein?

Der promovierten Völkerrechtlerin Juli Zeh ist damit erneut ein Bestseller gelungen, gar der am häufigsten verkaufte Roman des Jahres, der in der Gegenwart spielt, aber weit zurück und über diese hinaus weist. „Über Menschen“ ist ein Stück Literatur im besten Sinne des Begriffs. Die Autorin richtet nicht oder weiß besser. Sie erzählt, lässt passieren. Und der Leser? Denkt weiter, kommt auf sich, ist Mensch. Tanja Kewes

Daniel Kahnemann et al.: Noise

Daniel Kahneman, Olivier Sibony, Cass R. Sunstein: Noise. Was unsere Entscheidungen verzerrt – und wie wir sie verbessern können.
Siedler Verlag
München 2021
480 Seiten
30 Euro

Wir alle haben schon erlebt, wie unterschiedlich ein und dieselbe Person von anderen – Aufsichtsräten, CEOs – wahrgenommen und beurteilt werden kann. Daniel Kahneman, Olivier Sibony und Cass R. Sunstein liefern in ihrem Buch „Noise“ die Erklärung dazu. Je nach Störfaktoren urteilen die Betroffenen unterschiedlich.

Das könne ein verlorenes Fußballspiel des Lieblingsklubs sein, ein Regenschauer am Morgen oder der Ärger über einen Fauxpas eines Mitarbeiters kurz zuvor. Ein und derselbe Fall, etwa die Bewertung einer Immobilie oder die Kreditwürdigkeit eines Menschen, kann so innerhalb eines Tages von Sachbearbeitern der jeweiligen Unternehmen ganz unterschiedlich bewertet werden.

„Noise“ bestärkt mich darin, wie wichtig es ist, Objektivität walten zu lassen und Entscheidungen nicht aus dem Bauch heraus zu treffen, sondern basierend auf Daten und unabhängigen Eindrücken. Jeder von uns hat jede Menge ‚Noise‘ in sich und um sich herum, wir sollten ihm aber keine Macht über unsere Entscheidungen geben.

Die Autoren nennen das nüchtern „Entscheidungshygiene“, aber dahinter verbirgt sich ein wertvolles Prinzip. Für mich eines der wichtigsten Managementbücher des Jahres. Ralf Landmann

Eva Menasse: Dunkelblum

Eva Menasse: Dunkelblum.
Kiepenheuer & Witsch
Köln 2021
528 Seiten
25 Euro

„Dunkelblum“ ist ein Roman über ein fiktives Dorf und seine Menschen im Burgenland im Jahr 1989. Anders als zu erwarten spielen die historischen Ereignisse des Jahres nur ganz am Rande eine Rolle. Vielmehr zeichnet Eva Menasse ein bedrückendes Psychogramm eines ganzen Dorfs, das zwar nicht real existiert, aber durch die großartige Sprache Menasses und ihre detaillierte Beschreibung jedes einzelnen Bewohners, die düster und manchmal sogar geradezu komisch wirkt, auf erschreckende Weise für den Leser Wirklichkeit wird.

Erschreckend, weil der Roman bis auf die geänderten Namen ziemlich genau das Dorf Reichnitz beschreibt, in dem es in der Endphase des Zweiten Weltkriegs das „Massaker von Reichnitz“ gab, bei dem vermutlich 200 jüdische Zwangsarbeiter hingerichtet wurden.

Menasse will nicht das Verbrechen aufklären – was tatsächlich nie gänzlich passiert ist –, sondern in ihrem dörflichen Sittengemälde zeigen, wie ein solcher Massenmord möglich werden und dennoch verschwiegen werden konnte. Der Roman spielt in einer anderen Zeit, an einem vermeintlich fiktiven Ort, aber der aufkeimende Antisemitismus in Deutschland macht das Buch leider hochaktuell. Philipp Rösler

Markus Brunnermeier: Die resiliente Gesellschaft

Markus Brunnermeier: Die resiliente Gesellschaft. Wie wir künftige Krisen besser meistern können.
Deutsche Übersetzung: Henning Dedekind, Marlene Fleißig, Frank Lachmann
Aufbau Verlag
Berlin 2021
336 Seiten
24 Euro

Bücher zur Coronapandemie hat es in diesem Jahr viele gegeben. Das von Markus K. Brunnermeier sticht heraus. Der deutsche Ökonom, der an der US-Universität Princeton lehrt, betrachtet in „Die resiliente Gesellschaft“, für das er den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis gewonnen hat, nicht nur die Pandemie an sich.

Er liefert eine Anleitung, wie Gesellschaften aufgestellt sein müssen, um mit Krisen jeglicher Art umzugehen. Der Kern liegt dabei in der Resilienz, keinesfalls zu verwechseln mit Robustheit. Es gehe darum, einen Schock zu überstehen und sich danach zu erholen, wie in der berühmten Fabel „Die Eiche und das Schilfrohr“ des französischen Dichters Jean de La Fontaine: „Die Eiche ist mächtig, wirkt unzerstörbar und robust und bewegt sich bei normalen Windverhältnissen nicht. Das biegsame Schilfrohr indes neigt sich bereits bei einer leichten Brise.“

Bei starkem Sturm jedoch beugt sich das Schilfrohr – um am Ende schnell wieder aufrecht zu stehen. Die starke Eiche aber wird vom Sturm entwurzelt. Langlebiger also ist das flexible Schilfrohr. Das ist der Kerngedanke von Brunnermeiers Resilienz. Und ein Appell an jeden in der Gesellschaft, ein bisschen mehr Schilfrohr zu sein. Claudia Panster

Mehr: Das sind die zehn besten Wirtschaftsbücher des Jahres.

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