dm führt firmeneigenes ChatGPT ein

Düsseldorf Es ist der Albtraum jeder Unternehmensleitung: sensible Informationen, die an Unbefugte weitergegeben werden. So geschehen beim Technologiekonzern Samsung, wo Mitarbeiter mit Künstlicher Intelligenz (KI) experimentieren wollten – und ChatGPT mit vertraulichen Daten fütterten. Daten, die auf fremden Servern liegen und nicht mehr gelöscht werden können.

Für das Drogerieunternehmen dm war es ein Alarm: „Nachdem die KI von OpenAI vorgestellt wurde, wollte jeder in der Firma es mal ausprobieren“, sagt Andreas Gessner, IT-Bereichsleiter. Beispiele wie Samsung zeigten, wie schnell Firmeninterna bei externen Unternehmen landen. „Deshalb haben wir beschlossen, so schnell wie möglich eine Variante zu entwickeln, die für die Firma und die Mitarbeiter sicher ist.“

Innerhalb eines Monats entwickelte dm mit Microsoft eine Lösung auf Basis von ChatGPT: „dmGPT“. Sie können nun alle Mitarbeiter der Zentrale im Alltag einsetzen. Der Händler ist damit eines der ersten deutschen Großunternehmen, das diesen Ansatz umsetzt – und seine Lösung taugt nach Ansicht von Experten als Blaupause.Firmeneigenes ChatGPT: Wird dm zum Vorbild für andere Unternehmen?

Nach einer Umfrage der Unternehmensberatung Capterra nutzen schon heute 67 Prozent der Befragten ChatGPT täglich am Arbeitsplatz. Die meisten von ihnen verwendeten das Sprachmodell, das menschliche Sprache versteht und selbst Text generieren kann, zur Textbearbeitung und zur Analyse von Daten. Aber auch beim Programmieren, beim Erstellen von Präsentationen oder im Projektmanagement findet es Anwendung.

Firmeneigenes ChatGPT: Wird dm zum Vorbild für andere Unternehmen?

Aus Sicht von Philipp Byers, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Dentons, ist die Nutzung von ChatGPT im Arbeitsalltag aus verschiedenen Gründen heikel. So seien außer dem Datenschutz auch rechtliche Risiken nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz oder dem Urheberrecht denkbar, warnt er in einem Fachbeitrag auf Haufe.de. Unternehmen wie die Deutsche Bank haben deshalb die Website von ChatGPT für Beschäftigte gesperrt.

Für dm-Manager Gessner war das ein Dilemma. Es sei zurzeit nicht möglich, mit OpenAI Verträge abzuschließen, die konform mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) seien: „Deshalb müssten europäische Firmen die Nutzung von ChatGPT eigentlich verbieten“, sagt er. Andererseits sei es auch „fast schon fahrlässig, diese spannende Technologie seinen eigenen Mitarbeitern zu verwehren.“

Das sieht auch Thomas Strobel von der Digitalberatung Diconium so: „Kein Unternehmen kann es sich in Zukunft mehr erlauben, auf ein eigenes Sprachmodell zu verzichten.“ Einen eigenen Chatbot könne man auch speziell auf die Anforderungen im Unternehmen trainieren und filtern, welche Informationen einfließen sollen, erläutert der Digitalexperte.

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„In den USA sind viele Unternehmen beim Einsatz von Sprachmodellen mit Künstlicher Intelligenz schon deutlich weiter“, berichtet Strobel. So hat beispielsweise das Beratungsunternehmen McKinsey die Plattform „Lilli“ entwickelt, die mithilfe von generativer KI unter anderem die mehr als 100.000 Dokumente und Fallstudien aus der internen Datenbank für die Mitarbeiter einfach nutzbar macht. „Aber in Deutschland ist dm sicher einer der Vorreiter“, so Strobel.

Künstliche Intelligenz: Auch Siemens und Merck haben einen eigenen Chatbot

In der Tat haben erst wenige deutsche Unternehmen eine ähnliche Lösung wie dm umgesetzt. Siemens etwa hat einen auf ChatGPT basierenden internen Service installiert. Auch das Pharmaunternehmen Merck KGaA hat kürzlich für die Mitarbeiter den firmeneigenen Chatbot „[email protected]“ eingeführt, der nur innerhalb des Firmennetzwerkes nutzbar ist und alle Daten im Unternehmen hält.

Viele Firmen würden noch experimentieren, hätten aber bisher keine Lösung umgesetzt, schreibt Kai Beckmann, Mitglied der Geschäftsleitung von Merck, in einem Beitrag auf LinkedIn. „Ich bin überzeugt, dass generative Künstliche Intelligenz ein essenzieller Baustein ist, um im Wettbewerb zu überleben“, betont er, „trotz der Fragen, die noch offen sind und der Risiken, die existieren.“

Auch die Automobilunternehmen setzen auf generative KI. So hat Tanja Rückert, die IT-Chefin von Bosch, im Gespräch mit dem Handelsblatt angekündigt, dass das Unternehmen bis Ende des Jahres ein eigenes „BoschGPT“ am Start haben wird. Allerdings nutzt Bosch nicht ChatGPT als Basis, sondern die Technologie des deutschen Unternehmens Aleph Alpha. „Generative KI wird die Industrie verändern, ähnlich wie bei der Erfindung des Computers“, ist Rückert überzeugt.

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Um vorn dabei sein zu können, hat sich die Drogeriekette entschieden, in ihre neue Mitarbeiter-App „dmGPT“ zum Start so wenig spezielle eigene Anwendungen einzubauen wie möglich. „Uns ging es im ersten Schritt um Geschwindigkeit, deshalb haben wir zunächst nur minimale Veränderungen am Grundmodell vorgenommen“, sagt IT-Bereichsleiter Gessner.

Im Juni hatte das Unternehmen mit den Planungen begonnen und sich nach kurzer Prüfung für ChatGPT und Microsoft als Technologiepartner entschieden. Im Juli bereits ist es mit 1000 Nutzern in den Pilotbetrieb gegangen. Mehr als 35.000 sogenannte Prompts, also Einträge mit Arbeitsanweisungen für das KI-Tool, sind in dieser Phase zusammengekommen, mit denen „dmGPT“ weiter trainiert werden konnte.

Seit vergangener Woche ist „dmGPT“ für alle Mitarbeiter in der Zentrale freigeschaltet. Seitdem geben 3300 Nutzer täglich mehr als 2000 Prompts ein, die Anfragen kommen aus allen Abteilungen.

dm begleitet die Einführung des firmeneigenen ChatGPT mit Kursen

„Dass dm das in so kurzer Zeit und mit so vielen beteiligten Mitarbeitern auf die Beine gestellt hat, ist schon eine große Leistung“, sagt Digitalexperte Strobel. Gut sei auch, dass die Mitarbeiter nicht nur von Anfang an mitgenommen werden, sondern auch für die Nutzung trainiert werden.

„Parallel zum technischen Roll-out haben wir ein Lernprogramm entwickelt, mit kurzen Videosequenzen und einer entsprechenden Schulung“, berichtet Gessner. „Die Menschen sollten verstehen, wie sie das in ihren Arbeitsalltag integrieren können, aber auch, wo die Grenzen dieser Technologie liegen.“ Das werde sehr gut angenommen.

Im nächsten Schritt soll das Intranet des Unternehmens mit angebunden werden, um dm-spezifisches Wissen ausspielen zu können. Geplant sind auch Komponenten zur Bildgenerierung. Ebenso will dm den Einsatz in den Filialen mittelfristig testen. „Für den Zeitplan ist immer wichtig, wann eine spezielle Anwendung rechtssicher einsetzbar ist“, so Gessner.

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dm-Chef Christoph Werner sieht ein riesiges Potenzial für den Einsatz generativer KI. „Wir begeben uns in ein Feld, das noch offen ist für ganz viele Anwendungsfälle und das die Art, wie wir arbeiten grundsätzlich verändern wird“, prognostiziert er. „Es freut mich, dass wir da so schnell sein konnten, weil sich alle Mitarbeiter damit beschäftigen können und neue Ideen generieren, wo wir es noch einsetzen können.“

Für ihn ist die KI „ein kraftvolles Innovationswerkzeug“. Und er ist überzeugt: „Das wird ein richtiger Turbo sein für die Art und Weise, wie wir zu neuen Ideen kommen und die Qualität unserer Prozesse verbessern.“

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