Deutsche Opferhilfsorganisationen warnen: Rechtsextreme Gewalt nimmt alarmierend zu


Gewalt gegen Politiker beherrscht die Schlagzeilen, doch auch Fälle von alltäglichem Rassismus und antisemitischen Angriffen veranlassen deutsche Opferberatungsstellen, Alarm zu schlagen. Euronews reiste in den rechtsextremen Brennpunkt Thüringen, um mit einem Opfer neonazistischer Gewalt zu sprechen.

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Deutschland ist Zeuge eines Anstiegs rechtsextremistischer, rassistischer und antisemitischer Gewalt, der seit über einem Jahrzehnt ein beispielloses Ausmaß erreicht hat.

Mayar, ein 20-jähriger Krankenpfleger, der während des Krieges aus Syrien geflohen ist und seit fast neun Jahren in Deutschland lebt, ist stark mit Deutschland verbunden, da er dort aufgewachsen ist. Er schilderte den Moment des Angriffs in allen Einzelheiten.

„Er (der Täter) hat mich beschimpft und dann geschlagen. Er hat mich gewürgt und gegen den Zug gestoßen, und dann hat er mich erwürgt, indem er mir die Daumen in die Kehle gedrückt hat.“

„Seine Handlungen waren unmenschlich. Seine Absicht war offensichtlich nicht nur, mir wehzutun, sondern mir schweren Schaden zuzufügen“, sagte Mayar gegenüber Euronews.

Mayar sagt, der Täter sei ein „bekannter Neonazi, der für seine Verbrechen bekannt ist“. Obwohl dies weder das erste noch das letzte Mal war, dass der Täter ein Gewaltverbrechen begangen hatte, lautete das Urteil auf eine Bewährungsstrafe.

Mayar sagte, das Verbrechen habe ihn schwer getroffen.

„Tagsüber kann alles normal sein. Ich kann mein Leben weiterleben, aber es fällt mir tatsächlich schwer, spät abends das Haus zu verlassen. Besonders dort, wo ich lebe, an diesem Ort“, erklärte er.

Seine Gegend sei “sehr bekannt für Rechtsextreme”, sagt Mayar. “Ich kann nicht einfach rausgehen, wann ich will. Oder ich bin selbst sehr vorsichtig bei solchen Sachen. Und das Wort ‘Sicherheit’ fehlt mir, wenn ich nachts rausgehe.”

Mayar erlebt den Anstieg des Rassismus aus erster Hand.

“Es ist schlimmer geworden als vorher. Seit etwa einem Jahr merke ich, dass es viel, viel häufiger vorkommt. Auf der Straße sieht man es also mittlerweile sehr oft. Ich bin im Durchschnitt alle zwei Wochen oder ein bis zwei Wochen selbst entweder Teil solcher Fälle auf der Straße oder Zeuge davon. Auch im Internet sehe ich Rassismus einfach täglich”, sagte er.

Er machte die AfD für den Anstieg der Unterstützung verantwortlich, die als “verdächtig” bezeichnet wird. Extremist seit 2021 von einem deutschen Gericht.

“Wenn ich daran denke, dass ich irgendwann abgeschoben werden könnte, nur weil ich aus einem anderen Land komme, obwohl ich hier aufgewachsen bin, dann ist das traurig, es macht mir Angst und ich fühle mich fremd. Ab und zu frage ich mich: Gehöre ich zu den Arabern? Bin ich zu deutsch? Und bin ich für die Deutschen zu sehr Araber? Das ist kein schönes Gefühl, auf keinen Fall.”

Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Zunahme rechter Gewalt und Unterstützung für die rechtsextreme Partei Alternative für Deutschland (AfD), die derzeit in den bundesweiten Umfragen auf Platz zwei liegt und bei den kommenden Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern voraussichtlich große Zugewinne erzielen wird, sagte die Opferhilfsgruppe Ezra gegenüber Euronews.

Im Januar kam es zu landesweiten Massenprotesten, als bekannt wurde, dass AfD Mitglieder hielten ein geheimes Treffen mit deutschen und österreichischen Rechtsextremisten ab, darunter dem Neonazi-Führer der Identitären Bewegung Martin Sellner, um einen „Remigrationsplan“ zu besprechen. Die Anwesenden sollen über die Abschiebung Hunderttausender, teilweise eingebürgerter deutscher Staatsbürger, in ihre Herkunftsländer diskutiert haben.

Zwar beziffern die Zahlen des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) die Zahl der Übergriffe auf einen Rekordwert von 3.384, doch diese Zahl ist nur die Spitze des Eisbergs.

Nicht alle Straftaten werden der Polizei und den Opferhilfeeinrichtungen gemeldet, und nur in elf von 16 Bundesländern werden die Zahlen erhoben.

Verurteilungen können Jahre dauern

Ezra-Sprecher Franz Zobel sagte, es gebe einen direkten Zusammenhang zwischen der Zunahme der Gewalt und der Unterstützung der AfD.

“Hier hatten wir einen starken Anstieg, vor allem im Kreis Sonneberg. Das ist der Kreis, in dem zum ersten Mal ein AfD-Politiker zum Landrat gewählt wurde. Und dort haben wir einen massiven Anstieg rechter Gewalt erlebt”, sagte er gegenüber Euronews.

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Zobel verwies auf eine repräsentative Studie von Prof. Dr. Dancygier von der Princeton University, wonach zwischen 38,7 und 42,5 Prozent der Unterstützer von Hassverbrechen die AfD wählen würden.

Zobel sagte aber auch, dass die Zunahme der Angriffe nicht nur auf Thüringen oder gar Deutschland beschränkt sei.

“Die AfD und andere rechtsextreme Parteien in Europa sind sehr gut vernetzt und sie sind deshalb auch die größte Bedrohung für die Europäische Union und auch für die Idee von Europa und für die Menschen, weil sie das erleben. Dieses Erstarken gibt es nicht nur in Deutschland oder in Ostdeutschland, sondern wir sehen das in ganz Europa.”

Zobel sagte außerdem, dass sich viele AfD-Anhänger „einfach legitimiert fühlen, zuzuschlagen“ und verwies auf Fälle von AfD-Politikern, die selbst Menschen angegriffen hätten.

Laut investigativer Zeitung Korrektur„48 AfD-Vertreter und Mitarbeiter auf Kreis-, Landes- und Bundesebene waren zuletzt an Gewalttaten beteiligt“.

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28 dieser Politiker wurden den Angaben zufolge von einem Gericht verurteilt oder es wurde ein Strafbefehl gegen sie erlassen – und 14 sind noch immer politisch aktiv.

Gegen mindestens fünf weitere AfD-Abgeordnete laufen Ermittlungen, teilweise geht es um tätliche Angriffe und Volksverhetzung.

“Hier wissen die Täter, dass ihnen keine Konsequenzen drohen. Wenn überhaupt, dann erst nach Jahren und mit milden Strafen. Und dann müssen sie sich auch nicht für die politischen Motive ihrer Unmenschlichkeit verantworten”, so Zobel.

Zobel sagte, vor allem Thüringen habe ein Problem mit der Justiz, viele der Urteile seien sehr milde.

“Wir haben Prozesse, die dauern acht Jahre, bis es am Ende eine Verurteilung gibt. Weitere Probleme sind, dass die Motive ganz, ganz selten erkannt werden. Also in den Urteilen findet man selten wieder, dass es sich zum Beispiel um eine rassistische Straftat handelt.”

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Im Fall Mayar beispielsweise dauerte die Verurteilung mehrere Jahre.

„Im vorliegenden Fall geht es beispielsweise um einen organisierten Neonazi, er (Täter) ist also Teil der organisierten Neonaziszene. Er ist vorher schon mit über zehn Delikten aufgefallen, er wurde mehrfach mit Geldstrafen belegt und nun gibt es am Ende noch mal eine Bewährungsstrafe“, so der Sprecher.

„Dies ermutigt Täter, rechtsextremistische und rassistische Gewalttaten zu begehen, denn ohne Konsequenzen fühlen sich die Täter sicher.“

Laut der deutschen Zeitung TAZ haben Richter im thüringischen Bezirk Gera enge Verbindungen zu AfD-Politikern auf lokaler und nationaler Ebene und zitieren Statistiken, wonach Richter in einstelliger Prozentzahl zugunsten von Asylbewerbern entscheiden. Die Richter bestreiten jegliche rechtsgerichtete Voreingenommenheit.

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