Das ist Klingbeils Strategie gegen Huawei & Co.

Scholz reist am Donnerstag nach Peking und trifft am Freitag erstmals persönlich Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping. An der Reise hatte es Kritik gegeben, weil sie unmittelbar nach der Wiederwahl Xi Jinpings stattfindet und Scholz eine Wirtschaftsdelegation nach Peking mitnimmt. Klingbeil hält das für richtig: „Eine neue China-Strategie und eine Strategie der Resilienz können wir nur mit der Wirtschaft gemeinsam erarbeiten“, sagte er. „Und deswegen ist es auch ein gutes Zeichen, dass der Kanzler sagt, er bindet die zentralen Player der wirtschaftlichen Beziehungen zu China ein.“

Angesichts der veränderten weltpolitischen Lage will Klingbeil die Industriepolitik in Deutschland mit einer neuen Strategie stärker ins Zentrum rücken. „Ich blicke schon ein bisschen besorgt auf die USA einerseits und autoritäre Staaten auf der anderen Seite, wie sie sich jeweils abschotten“, sagte er. Die Amerikaner etwa betrieben eine „knallharte Industriepolitik“, während Deutschland und Europa hinterherhinkten. „Deswegen brauchen wir dringend eine Kehrtwende im Zusammenspiel von Staat und Markt“, mahnte der SPD-Chef. „Wir haben jetzt vielleicht ein Zeitfenster von fünf Jahren, um die Industrie in Deutschland und Europa stark zu machen.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Klingbeil, Bundeskanzler Olaf Scholz reist heute nach Peking. An der Reise gibt es viel Kritik. Fehlt Scholz das nötige Feingefühl im Umgang mit Chinas autoritärem Staatschef Xi Jinping?
Ich kann die Kritik an der Reise nicht nachvollziehen. Der Dialog ist wichtig. Auch, um der chinesischen Führung deutlich zu machen, wie ihre Positionierung in der Ukrainefrage wahr‧genommen wird und dass wir die Nichteinhaltung von Menschenrechten nicht akzeptieren. Das wird der Kanzler selbstverständlich in Peking ansprechen.

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Die Kritik an der Reise entzündet sich vor allem auch daran, dass Scholz wie in alten Zeiten eine Wirtschaftsdelegation mitnimmt.
Eine neue Chinastrategie und eine Strategie der Resilienz können wir nur gemeinsam mit der Wirtschaft erarbeiten. Deswegen ist es auch ein gutes Zeichen, dass der Kanzler sagt, er bindet die zentralen Player der wirtschaftlichen Beziehungen zu China ein.

Im Ausland fürchtet man, Deutschland verhalte sich im Umgang mit China ähnlich naiv wie im Verhältnis zu Russland. Zu Recht?
Russland muss uns ein mahnendes Beispiel sein. Wir haben uns dort in einseitige Abhängigkeiten begeben, die nun unsere Volkswirtschaft ins Schwanken bringen. So was wird sich mit China nicht wiederholen.

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Die SPD hat den Einstieg des chinesischen Staatsunternehmens Cosco am Hamburger Hafen durchgedrückt. Setzt die SPD in der Chinapolitik auf ein „Weiter-so“?
Nein, auf keinen Fall. Als SPD-Chef habe ich klare Kriterien für den Umgang mit China angemahnt. Wir müssen sicherheitsrelevante Bereiche benennen, bei denen China draußen bleiben muss. Deutschland und Europa müssen sich da strategisch neu aufstellen. Ich will nicht die Globalisierung zurückdrehen, aber wir müssen diversifizieren. Und klar ist auch: Was China hier ermöglicht wird, muss uns auch in China möglich sein.

Aber genau das Gegenteil ist am Hamburger Hafen passiert. In China wäre eine solche Beteiligung für eine europäische Firma nie möglich.
Beim Hamburger Hafen geht es nicht um den Einstieg in kritische Infrastruktur, sondern um eine Minderheitsbeteiligung an einer Betreiberfirma, die einen befristeten Pachtvertrag für einen von mehreren Terminals hat. Deswegen halte ich diese Entscheidung für verantwortbar.

Qualitätskontrolle bei Elmos

Insbesondere die deutsche Automobilindustrie ist stark von den Halbleitern abhängig, sie sind für jedes moderne Fahrzeug unverzichtbar.


(Foto: Hulton Archive/Getty Images)

In welchen Bereichen muss China draußen bleiben?
Kritische Infrastruktur, Künstliche Intelligenz, Quantencomputing, Batteriezellen, Daten. Deswegen sehe ich die Übernahme einer Chipfabrik in Dortmund durch chinesische Investoren deutlich kritischer als den Einstieg Coscos in eine Betreibergesellschaft am Hamburger Hafen.

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Mit Huawei ist ein chinesisches Unternehmen immer noch am deutschen 5G-Ausbau beteiligt. Muss die Politik nicht eingreifen?
Definitiv. Ich möchte nicht, dass wir in zehn Jahren feststellen, wie technologiepolitisch abhängig wir von China geworden sind. Das heißt, Huawei darf nicht in den sicherheitsrelevanten Bereichen der digitalen Infrastruktur auftauchen.

Die Direktinvestitionen deutscher Konzerne in China lagen im ersten Halbjahr auf Rekordniveau. Begibt sich die deutsche Wirtschaft da nicht trotz aller Warnungen in eine immer größere Abhängigkeit?
Ich bin nicht gegen Handel und wirtschaftliche Kooperation mit China. Ich bin dafür, dass wir uns nicht in einseitige Abhängigkeiten begeben und dass wir klarmachen, in welchen Bereichen China draußen bleiben muss. Wir müssen uns so aufstellen, dass wir ohne China können, wenn sie politisch weiter eskalieren.

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping

Unter dem mächtigsten chinesischen Machthaber seit Mao Zedong hat sich der Einfluss der Kommunistischen Partei auf alle Bereiche massiv erhöht.

(Foto: dpa)

Wie lassen sich die Abhängigkeiten gegenüber China reduzieren?
Diversifizierung ist für mich die geeignete Strategie. Sich breit aufstellen, nicht abhängig sein. Ich erwarte von den Unternehmen, dass sie die offensichtlichen Risiken nicht einfach wegwischen. Ich habe aber den Eindruck, dass das Thema mittlerweile in allen Chefetagen angekommen ist.

VW unterhält in Xinjiang, wo China schwere Menschenrechtsvergehen vorgeworfen werden, ein Werk. Die SPD sitzt bei VW im Aufsichtsrat – warum sagt die SPD nicht, dass VW da raus soll?
Die Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren sind bestürzend. Wir dürfen dazu nicht schweigen oder dies hinnehmen. Alle Unternehmen, die in der Region ein Werk unterhalten, tragen dafür auch eine hohe Verantwortung. Ich vertraue darauf und erwarte, dass die Unternehmensleitungen dieser Verantwortung nachkommen.

Ist die Debatte um Cosco und die Kanzlerreise nach Peking nur ein Sturm im Wasserglas oder der Beginn einer neuen Chinapolitik Deutschlands? 
Es wäre fatal, wenn diese Diskussion nur ein Sturm im Wasserglas wäre. Wir sehen eine völlig veränderte weltpolitische Lage.

Was bedeutet das mit Blick auf das Verhältnis zu den USA?
Ich glaube, das transatlantische Verhältnis war lange nicht so gut wie derzeit. Aber es gibt keine Garantie, dass das nach den nächsten Wahlen so bleibt. Wir sehen aktuell natürlich auch, dass die Amerikaner knallharte Industriepolitik betreiben. Wir haben jetzt vielleicht ein Zeitfenster von fünf Jahren, um die Industrie in Deutschland und Europa stark zu machen.

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Klingt gut. Nur, wie soll das gelingen?
Der Staat kann durch Investitionen dafür sorgen, dass wir in wichtigen Bereichen vorankommen. Das betrifft zum Beispiel die Halbleiterproduktion, die Batteriefertigung, Künstliche Intelligenz, Fachkräftesicherung. Wir brauchen auch die modernste digitale Infrastruktur, da hängen wir enorm hinterher, die modernsten Stromnetze. Und natürlich geht es auch darum, klare Kriterien festzulegen, an denen wir unsere Industrie- und Standortpolitik ausrichten.

Was meinen Sie damit konkret?
Wir brauchen dringend eine Rohstoffstrategie. Wir müssen die Abhängigkeiten definieren und beschreiben, wie wir sie abbauen. Auch in der Innovationspolitik kann der Staat viel mehr tun – etwa in der Grundlagenforschung. Es geht darum, deutlich mehr Forschungsanreize zu setzen, um Innovationen zu ermöglichen. Die Unterstützung von Start-ups gehört für mich auch dazu, indem wir die Rahmenbedingungen für Gründer verbessern und dafür Geld zur Verfügung stellen und Anreize für Investitionen schaffen.

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Muss eine neue Industriepolitik auch ganze Branchen vor ausländischen Übernahmen abschirmen?
Das gehört für mich dazu. Die Frage ist dabei aber immer: Wie weit geht man? Ich blicke schon ein bisschen besorgt auf die USA einerseits und autoritäre Staaten andererseits, wie sie sich jeweils abschotten. Eine Tendenz wird allerdings klar: Der Staat wird in der Industriepolitik in anderen Ländern gerade immer wichtiger. Deutschland und Europa hinken da leider hinterher. Deswegen brauchen wir eine Kehrtwende im Zusammenspiel von Staat und Markt.

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Geraten wir dann aber nicht in einen Subventionswettbewerb zwischen den Systemen?
Wir müssen selbst ökonomisch stärker werden. Wir müssen mit Staaten, die ähnlich ticken wie wir, stärker Handel betreiben. Auf meiner Reise durch Lateinamerika haben mir die Verantwortlichen gesagt: „Wir würden gern mit Deutschland und Europa zusammenarbeiten“ – aber die, die dort auf der Matte stehen, sind China und Russland.

Gilt die neue Offenheit auch für ein neues Handelsabkommen mit den USA?
Es geht nicht darum, TTIP eins zu eins wiederzubeleben. Aber natürlich müssen wir den Handel zwischen Deutschland und den USA stärken.

Für die Wirtschaft sind das größte Thema derzeit die hohen Energiepreise. Die Wirtschaft fürchtet eine Deindustrialisierung. Teilen Sie die Sorge?
Der industrielle Kern Deutschlands ist durch die aktuelle Lage bedroht. Wir müssen jetzt alles tun, um eine Deindustrialisierung zu verhindern. Mit der Gaspreis- und Strompreisbremse sowie dem Energie-Abwehrschirm treffen wir in dieser Woche die nötigen Entscheidungen, um Bürger und Wirtschaft durch diese schwere Zeit zu bringen.

Olaf Scholz

Die Energiepolitik des Bundeskanzlers stößt in Europa teilweise auf deutliche Kritik.

(Foto: dpa)

Die Energiepreise bleiben aber auch über die akute Krise hinaus hoch. Wie will die SPD diese Probleme angehen?
Wir werden am Wochenende mit Expertinnen und Experten und unseren Mitgliedern auf einem Debattenkonvent die Herausforderungen für Wirtschaft, Gesellschaft und Politik diskutieren. Es geht um die Frage, ob wir Wohlstand und Arbeitsplätze halten. Es geht auch um die Frage, ob wir in der Krise die Weichen so stellen, dass wir eine gute Zukunft haben, Stichwort Klimaneutralität.

Mir ist dabei wichtig, dass wir diese Debatten mit Respekt führen, vor allem für diejenigen, die seit Jahren mit ihren Jobs den industriellen Erfolg Deutschlands ermöglicht haben. Industrie sichern und gleichzeitig den Wandel schaffen: Das geht nicht von oben herab.

Deutschland müsse „Führungsmacht“ sein, fordern Sie. Können wir so eine Rolle angesichts unserer Geschichte überhaupt einnehmen?
Wenn ich von „Führungsmacht“ rede, rede ich ja nicht von einem breitbeinigen Auftreten mit Großmachtfantasien, sondern davon, dass ein Land offensiv und mit Verantwortung für seine Werte und Prinzipien einsteht. Gerade in Zeiten, in denen sich autoritäre Staaten aufmachen, mehr globale Verantwortung an sich zu reißen, wo wir nicht wissen, wie die nächsten Wahlen in den USA ausgehen, kommt es immer mehr auf ein starkes Land wie Deutschland an, das aus einem starken Europa Verantwortung übernimmt.

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Verteidigungsministerin Lambrecht hat sogar von Deutschland als „militärischer Führungsmacht“ gesprochen. Gehen Sie da mit?
Es wäre naiv zu sagen, dass in Zeiten, in denen Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Mitte Europas startet, das Militärische nicht auch dazugehört. Deshalb statten wir die Bundeswehr besser aus. Aber das Militärische ist nur ein kleiner Teil. Es geht um strategische Partnerschaften, um ökonomische Kooperation oder auch eine Reform der Vereinten Nationen. Führung darf nicht auf das Militärische reduziert werden.

Das Verteidigungsministerium streicht schon wieder Rüstungsvorhaben zusammen, weil sie teurer werden. Fällt die bessere Ausstattung der Bundeswehr in Teilen aus?
Nein. Das Verteidigungsministerium entscheidet jetzt darüber, welche Projekte umgesetzt werden. Die 100 Milliarden sind eine riesige Summe, sie werden die Bundeswehr stärken.

Huawei-Logo

Der chinesische Konzern bescheinigt sich selbst eine „hervorragende Sicherheitsbilanz“. 


(Foto: imago images/Passion2Press)

Der Kanzler eckt in Europa wegen seiner Energiepolitik an. Hat Olaf Scholz seine Führungsrolle in Europa noch nicht gefunden?
Wir bekommen sehr viel Zustimmung für unsere Politik in diesen schwierigen Zeiten. Alle wissen: Wenn wir Arbeitsplätze in Deutschland retten, ist das gut für ganz Europa. Insofern konnten wir da ein paar Missverständnisse ausräumen.

Könnte Deutschland Führungsstärke zeigen, indem es der Ukraine Kampfpanzer liefert?
Deutschland ist mittlerweile der drittgrößte Waffenlieferant der Ukraine. Vitali Klitschko hat mir diese Woche in einem emotionalen Telefonat davon berichtet, dass an einem Tag sämtliche Raketenangriffe auf Kiew dank der deutschen Raketenabwehr Iris-T abgewehrt werden konnten. Es bleibt aber bei dem, was Olaf Scholz gesagt hat: Es gibt keine Alleingänge Deutschlands. Und die Frage weiterer Waffenlieferungen sollte man weniger in Zeitungsinterviews diskutieren, sondern eher mit den Bündnispartnern.

Herr Klingbeil, vielen Dank für das Interview.

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