Cum-Ex-Strafprozess: Hanno Berger sagt aus

Meister des Cum-Ex-Handels

Hanno Berger (Mitte, hier beim Auftakt seines Strafprozesses in Bonn) gilt als Schlüsselfigur bei den verschachtelten Cum-Ex-Geschäften, die den deutschen Staat schätzungsweise 30 Milliarden Euro gekostet haben.

(Foto: dpa)

Wiesbaden Seinen großen Pappkarton hat Hanno Berger immer dabei. Er begleitete ihn schon am Landgericht Bonn, dort muss sich der 71-jährige Steueranwalt wegen schwerer Steuerhinterziehung verantworten. Hier am Landgericht Wiesbaden soll Berger heute als Zeuge aussagen. Für ihn ist das ein Luxus.

Berger ist der mutmaßlich größte Steuerhinterzieher Deutschlands. Staatsanwälte in Köln und Frankfurt haben Anklagen geschrieben, Berger gilt als Meister so genannter Cum-Ex-Geschäfte. Banken und Superreiche bedienten sich damit jahrelang aus der Staatskasse. Berger versteckte sich jahrelang vor der Justiz, weshalb er nach seinem heutigen Auftritt wieder zurück in eine Zelle muss. Er sitzt seit Monaten in Untersuchungshaft.

Berger scheint den Ausflug zu genießen. Seine braune Umzugskiste ist mit Leitz-Ordnern vollgestopft, sie speichern alles Wichtige, was Berger gesammelt hat. Der Karton wird offenbar viel benutzt. Die Seiten wellen sich leicht, die Pappdeckel hängen zerrissen herab.

Berger schreitet nach vorn, räumt seine Kiste aus und stellt die Ordner vor sich auf den Zeugentisch. Dann fragt er die Richterin: „Wie lange habe ich heute Zeit?“

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Bis 16:30 Uhr, antwortet sie ihm. Berger überlegt. Ob es möglich sei, einen zusammenhängenden Vortrag zu halten? „Der wird ungefähr drei Stunden in Anspruch nehmen“, sagt Berger. „Ich habe eine kleine Zumutung vor, es sind viele Details, die ich Ihnen an den Kopf werfen muss.“

Berger fühlt sich sichtlich wohl in seiner Rolle als Experte. Es ist ein bisschen so wie in alten Zeiten.

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Seit 25 Jahren Konzernberater in Sachen Steuern

Jahrelang galt der Frankfurter Anwalt als einer der hellsten Köpfe im deutschen Steuerrecht. Er begann seine Karriere als Finanzbeamter und wurde Hessens höchster Bankenprüfer. 1996 wechselte er die Seiten, beriet fortan große Konzerne und vermögende Personen dabei, Steuern zu sparen. Sein Motto: „Steuern sind Kosten. Kosten muss man optimieren.“

Vor rund 15 Jahren entdeckte Berger dann das Optimum in Sachen Steuern: Cum-Ex. Die fünf Buchstaben bezeichnen eine Methode, Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende im Kreis zu handeln. Die Geschäfte hatten keinen anderen Sinn als diesen: Zu einem bestimmten Zeitpunkt des Handels behaupteten zwei Beteiligte, ihnen gehöre ein und dieselbe Aktie. Einer von ihnen führte dann die Kapitalertragsteuer ab, beide ließen sie sich „erstatten“. Der Schaden dieses Verwirrspiels wird auf insgesamt zwölf Milliarden Euro geschätzt, bei dem Fall in Wiesbaden geht es um rund 120 Millionen Euro.

Berger wurde zum Meister des Cum-Ex-Handels, die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt bezeichnet ihn als „Spiritus Rector“ zahlloser Geschäfte. Sein Auftritt in Wiesbaden am 32. Verhandlungstag ist in der Aufarbeitung der Affäre damit ein Großereignis. Keiner der bisher 29 anderen Zeugen wurde mit solcher Spannung erwartet wie Berger.

Der Prozess in Wiesbaden wird voraussichtlich bis Ende August dauern. Beobachter erwarten bald ein Zwischenfazit der Kammer. So hatte es das Bonner Landgericht im ersten Cum-Ex-Prozess im Dezember 2019 gemacht. Der Vorsitzende Richter Roland Zickler stufte die Geschäfte als schwere Steuerhinterziehung ein. Seine Einschätzung verfestigte sich bis zum Urteil noch – am Ende stand ein Schuldspruch.

Zickler ist inzwischen höchstrichterlich bestätigt. Der Bundesgerichtshof stempelte Cum-Ex-Geschäfte im Juli 2021 als strafbar, im März 2022 urteilte der Bundesfinanzhof, dass sie auch steuerrechtswidrig waren. Einen Monat später entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Gewinne aus Cum-Ex-Geschäften eingezogen werden können.

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Die juristischen Vorzeichen sind damit klar, trotzdem kann kein Cum-Ex-Akteur ins Gefängnis gesteckt werden, ohne ihm vorher den Prozess zu machen. Mag Berger den deutschen Staat auch abwechselnd als „kommunistisch“, „faschistoid“ oder „totalitär“ bezeichnen und die Männer und Frauen in Roben „Schweinerichter“ nennen – in Wiesbaden wird er gehört wie jeder andere Zeuge auch.

Der erste Prozess in Hessen dreht sich vor allem um den Fall Rafael Roth. Der schwerreiche Immobilienunternehmer aus Berlin investierte vor 15 Jahren auf Anraten seiner Bank, der Hypo-Vereinsbank, in das Modell Cum-Ex-Handel. 2006, 2007 und 2008 handelte die Bank für Roth jeweils Aktien im Milliardenvolumen. Dafür gewährte sie ihm ein Darlehen von 500 Millionen Euro. Berger war dabei Berater.

Angeklagt sind zwei andere Männer. Bankmitarbeiter G. soll laut Anklage in die Planung und Vorbereitung der Aktiengeschäfte für Roth eingebunden gewesen sein. Er sei vor allem für die Ausführung der einzelnen Geschäfte zuständig gewesen.

Der ebenfalls angeklagte Bankmitarbeiter B. aus der Abteilung für vermögende Privatkunden war der zentrale Ansprechpartner Rafael Roths. Ihm wirft die Anklage die maßgebliche Vorbereitung, Organisation und Abwicklung der erforderlichen Kredit- und Aktiengeschäfte für Roth vor. Gemeint damit ist der – zunächst erfolgreiche – Versuch, sich Steuern erstatten zu lassen, die gar nicht abgeführt worden waren.

Roth verdiente 25 Millionen Euro mit den Geschäften – dann kam eine Betriebsprüfung. An deren Ende forderte das Finanzamt 113 Millionen Euro zurück – zuzüglich zehn Millionen Euro Zinsen. Roth verklagte die Bank, die verklagte ihn, dazwischen stand Berger.

Ermittlungen münden in Anklage

Die strittigen Aktiengeschäfte setzten die Ermittlungsgruppe „Duplo“ in Gang – Duplo steht für die doppelte Steuererstattung. Anschließend klagte die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt sieben Männer an – neben Roth drei HVB-Aktienhändler aus London, zwei HVB-Kundenbetreuer aus München und Hanno Berger.

Dass sich der Prozess in Wiesbaden nun auf zwei Angeklagte beschränkt, ist den Umständen geschuldet. Roth ist verstorben. Der Börsenhändler Paul Mora hat sich nach Neuseeland abgesetzt. Seine beiden Ex-Kollegen leben nicht in Deutschland. Ihr Verfahren wurde abgetrennt, weil während einer Pandemie auch mutmaßlichen Millionenverbrechern keine ständigen Reisen zugemutet werden können.

Dass Hanno Berger in dem Strafprozess heute als Zeuge und nicht als Angeklagter auftritt, liegt an seiner Flucht vor zehn Jahren: Als die Generalstaatsanwaltschaft im November 2012 seine Kanzlei durchsuchte, setzte sich der Steueranwalt in die Schweiz ab. Lange konnte er sich dem Zugriff der deutschen Justiz entziehen. Deshalb trennte das Landgericht Wiesbaden seinen Fall ab und startete zunächst die Hauptverhandlung gegen die zwei HVB-Banker.

Berger sitzt daher auf einer anderen Anklagebank. Im Februar lieferte ihn die Schweiz nach Deutschland aus, im April begann sein Prozess vor dem Landgericht Bonn. Die Staatsanwaltschaft Köln hatte ihn wegen schwerer Steuerhinterziehung angeklagt – diesmal im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften der Traditionsbank M.M. Warburg.

Dort soll er schweigen, wider Willen. Nach Informationen des Handelsblatts überwarf sich Berger mit seinen Anwälten, weil er ankündigte, vor Gericht über das Steuerrecht zu dozieren und den Richtern eine Standpauke zu halten. Einmal bezeichnete Berger die Staatsanwältin Anne Brorhilker als „dumme Kuh“. Seinen Anwälten schwante Übles. Sie warfen hin. Immerhin einer von ihnen ließ sich umstimmen, weil Berger versprach, sich zu mäßigen.

Banker als „Befehlsempfänger“?

Leicht fiel ihm das nicht. Als Oberstaatsanwältin Brorhilker zum Verhandlungsauftakt die Anklageschrift verlas, schüttelte Berger immer wieder den Kopf. Ihr Vortrag schien ihm zu bestätigen, was er seit Jahren schon zu glauben weiß: Die Beamtin hat die Geschäfte, mit denen Berger so viel Geld verdiente, einfach nicht verstanden. Und so gut wie Berger, so meint Berger, versteht sowieso niemand sie.

Genau dies scheint auch der Gedanke der beiden Angeklagten in Wiesbaden zu sein, sie setzen wohl darauf, dass der Zeuge Berger sie entlastet. Vor allem der Angeklagte G. und dessen Verteidiger Frank Eckstein pochen darauf, die Cum-Ex-Geschäfte für Rafael Roth selbst nicht durchdrungen zu haben. Man habe sich auf den Experten Berger verlassen.

Eckstein bezeichnete seinen Mandanten einmal als „reinen Befehlsempfänger“, der die Details und Struktur des Deals für den Bankkunden Roth nicht gekannt habe. Berger sei eine absolute Koryphäe im Steuerrecht gewesen. Es habe keinen Grund gegeben, an dessen Seriosität und Kompetenz zu zweifeln.

Ähnlich argumentierte Rainer Spatscheck, Anwalt des Angeklagten B. Spatscheck verwies für seine Verteidigung auf ein Beispiel aus einem anderen großen Wirtschaftsskandal: Dieselgate. Jahrelang und millionenfach verkauften Volkswagen und andere Automobilhersteller Fahrzeuge, die viel mehr Schadstoffe ausstießen, als sie durften.

Sein Mandant, sagte Spatscheck, sei wie ein VW-Händler. Zwar hätte er die schädlichen Fahrzeuge verkauft. B. habe aber nichts von der eingebauten Software gewusst, die aus vermeintlich umweltfreundlichen Autos wahre Dreckschleudern machte. Ähnlich sei es bei den Cum-Ex-Deals gewesen. Sein Mandant habe das Produkt verkauft, seine Schädlichkeit aber nicht erkannt.

Vom Zeugen zum Angeklagten

Bergers Argument lautet anders. Der Steueranwalt sieht sich als derjenige, der Cum-Ex-Geschäfte zu denen machte, was sie waren: immens profitabel für seine Kunden und sich selbst. Dass diese Gewinne aus dem Steuertopf kamen, sei nicht verboten gewesen. Und, so Bergers Logik: Was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt.

Berger widerspricht mit seiner Einschätzung der Cum-Ex-Deals dem Bundesfinanzhof, dem Bundesgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht. Aber das hemmt ihn nicht. Berger hält es für einen Justizskandal, dass Männer wie B. und G. überhaupt angeklagt werden, ganz zu schweigen von ihm selbst.

Als Zeuge redet sich Berger schnell in Rage. Er zieht einen Aufsatz, ein Buch nach dem anderen aus seiner Kiste, zitiert die vermeintlichen Beweise seiner Unschuld. Es sei ein Unglück, sagt er, dass die Medien „die Hoheit über das Thema gewonnen haben und das Narrativ prägen“. Der Richterin rät Berger: „Gehen Sie nicht davon aus, dass das stimmt, was in den Medien zu lesen ist.“

Es sei eben alles ganz anders als von Bundesgerichtshof, Bundesfinanzhof und Bundesverfassungsgericht höchstrichterlich entschieden. „Natürlich gibt es am Markt auch Leerverkäufe. Man kann aber nicht feststellen, ob die Aktien von einem Leerverkäufer kommen“, sagt Berger.

Es ist der Kern seiner Verteidigung. Die einzelnen Beteiligten an einem Cum-Ex-Geschäft wüssten gar nichts voneinander – und deshalb auch nicht, ob jemand schon eine Steuerbescheinigung für die Aktien beantragt habe, bei denen man es selbst vorhat. Berger: „Praktisch ist unmöglich nachzuvollziehen, wer von wem Aktien bezogen hat.“

Die doppelten Steuererstattungen wiederum, so führt Berger vor Gericht aus, habe es gar nicht gegeben. Sie seien quasi eine Erfindung der Medien und Staatsanwälte. Als Gericht und Staatsanwälte ihm seine eigenen Schreiben vorhalten, in denen vom Segen der doppelten Steuererklärungen berichtet wird, weicht Berger aus. Das sei ein „plakativer Begriff“, sagt Berger. Es sei halt alles viel komplizierter, als gemeinhin dargestellt.

Insider packen aus: Milliardengeschäfte durch minutiöse Planung

Das undurchdringliche System, das Berger beschwört, war lange die maßgebliche These vieler Cum-Ex-Akteure. Seit einigen Jahren allerdings ist sie gebrochen. Insider packten aus und berichteten über genaue Absprachen und minutiös abgestimmtes Vorgehen beim Aktienhandel.

Anders seien die Milliardengeschäfte gar nicht durchzuführen gewesen, sagte etwa ein ehemaliger Partner von Berger, der öffentlich unter dem Decknamen Benjamin Frey aufritt. Berger sei „wie ein Vater“ für ihn gewesen. Zum Bruch sei es gekommen, als sich Berger am Tag der ersten Cum-Ex-Durchsuchung Ende 2012 in die Schweiz absetzte. Frey: „Ich fühlte mich alleingelassen.“

Vor dem Landgericht Bonn schilderte Frey dann die Arbeit unter Berger als Geschichte von Gier und Größenwahn, von Lüge und Erpressung, von Lobbyismus in seiner schmutzigsten Form. Berger habe namhafte Professoren als Mietschreiber gewonnen, damit sie Gutachten und Artikel platzierten, die Cum-Ex als legal darstellten.

Allen Beteiligten an den Geschäften sei aber immer klar gewesen, auf wessen Kosten sie stattfanden: die des Steuerzahlers. Der Griff in den Staatssäckel sei nur möglich gewesen mit genauen Absprachen und gezielter Verschleierung. Berger sei der Pate dieses Bandenbetrugs gewesen.

Berger hat Freys Aussage nicht vergessen. „Es ist vielleicht eine kleine Bombe, die ich gleich platzen lasse“, sagt er im Zeugenstand. Aber das Urteil in Bonn sei falsch, weil es auf Aussagen beruhe, die falsch seien. Er werde seinen ehemaligen Partner zur Rechenschaft ziehen.

„Ich wollte es eigentlich nicht tun. Aber er hat die Unwahrheit gesagt“, sagt Berger. „Ich werde gegen ihn vorgehen. Mit aller Kraft, die ich noch habe.“

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