Chefin Antje von Dewitz will Klimaneutralität 2022 erreichen

Stuttgart Handbemalte Demo-Pappschilder prangen im Foyer der Firmenzentrale des Outdoor-Ausrüsters Vaude in Obereisenbach. „There is no planet B“, „Protect what you love“ oder „Neustart Klima – jetzt handeln“ ist darauf zu lesen.

Unternehmenschefin Antje von Dewitz hat bereits vor über zehn Jahren Umweltverträglichkeit und Klimaschutz zur obersten Maxime ihres Unternehmens gemacht. Die mit vielen Preisen ausgezeichnete Pionierin fordert von der neuen Bundesregierung, das 1,5-Grad-Ziel auch umzusetzen. „Wir brauchen einen ganzheitlichen Masterplan“, sagt sie im Interview mit dem Handelsblatt.

Auch bei ihrem eigenen Unternehmen legt sie die Latte hoch. Während die Branche schrumpft, wächst Vaude in diesem Jahr um 15 Prozent auf mehr als 125 Millionen Euro.

Frau von Dewitz, 2022 wird Vaude weltweit klimaneutral. Sind Sie enttäuscht von den Ergebnissen der Weltklimakonferenz in Glasgow?
Angesichts der Erfahrungen bisheriger Klimakonferenzen waren meine Erwartungen nicht so groß, daher ist die Enttäuschung ausgeblieben. Immerhin wurde beschlossen, dass die Staaten nun jährlich ihre nationalen Klimapläne und Emissionsziele überarbeiten. Damit ist die Grundlage gelegt, dass das Pariser Abkommen in transparente Managementprozesse übersetzt wird.

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Was sind Ihre Forderungen an die Ampelkoalition?
An erster Stelle steht bei mir das Klima als dringlichste Aufgabe. Im Koalitionsvertrag finden sich beispielsweise beim Kohleausstieg zwar ambitioniertere, aber letztlich doch sehr weich formulierte Zeitziele. Daher bin ich erst mal gespannt, was die neue Regierung davon wirklich umsetzt.

Und wie hoch setzen Sie dabei die Latte?
Die künftige Bundesregierung hat den Rahmen geschaffen und muss jetzt entsprechend handeln, dass Deutschland das 1,5-Grad-Ziel schafft. Das ist die Voraussetzung, um den Klimawandel in einem kontrollierbaren Rahmen zu halten und die schlimmsten Folgen zu vermeiden. Wie sollen wir das sonst unseren Kindern erklären? Wir brauchen einen ganzheitlichen Masterplan, bei dem alle Sektoren einbezogen werden, damit sich die Einzelmaßnahmen nicht konterkarieren. Das ist komplex, aber ein absolutes Muss. Die Umstellung auf erneuerbare Energie muss übergreifend höchste Priorität haben, sonst können wir ja auch nicht garantieren, dass Elektroautos generell sauber sind.

Und konkret?
Klimafeindliche Subventionen haben einfach keine Existenzberechtigung mehr. Und natürlich müssen wir auch auf die sozialen Komponenten achten, damit der Wandel für alle verträglich ist und die Bevölkerung nicht zusätzlich spaltet. Nachhaltigkeit bezieht immer die Lebensumstände mit ein.

Aber als Unternehmerin wissen Sie doch, dass das mitunter konkurrierende Ziele sind?
Nachhaltigkeit ist in erster Linie das Management von Zielkonflikten. Dazu braucht es eine attraktive Vision mit klaren Meilensteinen, die nachvollziehbar kommuniziert werden, sonst schaffen wir das nicht. Wenn ich weiß, wo es hingeht und wofür ich meinen Beitrag leiste, dann bin ich auch eher bereit, unpopuläre Maßnahmen wie die Streichung der Dienstwagenregelung oder der Dieselförderung zu akzeptieren.

Wie sieht das denn bei Ihnen im Unternehmen aus?
Wir stellen die unsere Flotte gerade sukzessive auf Elektro um. Auch bei Vaude gibt es eingefleischte Autofans, und wir hatten uns daher mehr Widerstand erwartet. Doch die übergreifende Rückmeldung war, dass das bei unserer Unternehmensausrichtung der nächste erwartete Schritt war. Die meisten hatten sich bereits arrangiert und standen dem sehr offen gegenüber.

Die Pläne der neuen Regierung werden ja richtig teuer. Sie müssen doch auch kalkulieren, was nachhaltige Stoffe kosten und mit welcher Marge sich Jacken verkaufen lassen.
Ja, das sind unsere permanenten Zielkonflikte, mit denen wir ringen. Wer nachhaltig handelt, muss sich damit auseinandersetzen. Zugleich erreicht man aber auch die besten und nachhaltigsten Ergebnisse, wenn man alle Perspektiven einbezieht. Das macht uns als Unternehmen stark und innovativ – und wir können viel bewegen.

Woran machen Sie das fest?
An unserem eigenen Unternehmen und an unseren Initiativen. Beispielsweise setzen wir schon seit Langem freiwillig die Anforderungen eines Lieferkettengesetzes um und zeigen, dass es machbar ist. Nun wurde das Lieferkettengesetz endlich nach vielen Jahren von der Politik beschlossen, allerdings mit zahlreichen Kompromissen.

Reduktion der Emissionen hat höchste Priorität

Und bei den Klimazielen?
2019 haben wir uns zu ehrgeizigen, wissenschaftsbasierten Klimazielen, den Science-Based-Targets verpflichtet, und daraufhin unsere weltweite Klimabilanz erarbeitet. Das hat zwei Jahre gedauert. Jetzt kennen wir unseren CO2-Fußabdruck weltweit und haben uns weitreichende globale Reduktionsziele gesetzt, um unseren Beitrag zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels zu leisten. Die Hälfte unserer Materialien sind inzwischen biobasiert oder recycelt.

Bis 2030 wollen wir unsere Emissionen weltweit halbieren. Das ist wahnsinnig ehrgeizig, wir müssen unsere 40 Produktionspartner weltweit zum Umstieg auf erneuerbare Energien bewegen. Die Reduktion der Emissionen hat für uns höchste Priorität, gleichzeitig kompensieren wir auch, um angesichts der dramatischen Klimasituation schon jetzt möglichst viel zu erreichen. Daher sind wir ab nächstem Jahr mit all unseren Produkten weltweit klimaneutral.

Aber damit fördern Sie auch eine Art Kompensationsindustrie.
Bei uns steht die kontinuierliche Reduktion klar im Vordergrund, der Kompensationsanteil wird dabei immer geringer. Dann sind Klimaschutzprojekte eine sinnvolle Ergänzung. Wenn man jedoch nur kompensiert, ohne massiv Energie einzusparen, dann beißt sich wirklich der Hund in den Schwanz.

Allein aus Liebe zum Planeten bewegt sich aber auch in der Outdoor-Branche nichts?
Ja, man muss schon mit vereinten Kräften handeln. Jetzt hat erst mal der Klimaschutz unsere volle Aufmerksamkeit. Unsere Klimaziele sind ein Kraftakt an sich. Bei den Materialien müssen wir ja noch 50 Prozent auf biobasiert oder recycelt umstellen. Das ist eine große Herausforderung. Manche recycelte Materialien haben nicht die gewünschten Eigenschaften, manche Materialien gibt es noch gar nicht in recycelt. Dann müssen wir die Energiewende bei all unseren 45 Lieferanten voranbringen, die ja eigene Unternehmen sind. Das wollen wir in acht Jahren schaffen. Auf den ersten Blick wirkt das fast unmöglich.

Und Unternehmen sind schneller als die Politik?
Sofern Unternehmen die Relevanz erkennen, auf jeden Fall. In unserem Fall setzen wir uns von Anfang an hohe Ziele. Wir denken dabei radikal vom Ergebnis her: Wir wollen unseren Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel leisten. Was müssen wir dafür tun? Wir möchten absolut schadstofffrei sein. Ob bei Schadstoffen oder beim Klima, wir agieren radikaler und schneller als die Politik. Die Politik braucht mehr Zeit und geht schon Kompromisse bei der Formulierung der Ziele ein.

Sie reden wie jemand, der zum Mars fliegen will. Sie müssen doch auch Kompromisse machen.
Bei der Zielsetzung nicht. Wenn ich etwas erreichen will, muss ich die Latte hochlegen. Bei der Erschließung des Weges natürlich schon. Da gibt es jede Menge Zielkonflikte, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Da gilt es, jeden Schritt sorgfältig abzuwägen und vielleicht auch mal einen Schritt seitwärts zu gehen. Aber das Ziel wird dabei nie aus den Augen verloren.

Als Familienunternehmerin haben Sie es aber auch leichter, wenn Sie ein Ziel verfehlen. Bei börsennotierten Unternehmen kracht der Aktienkurs in den Keller.
Leichter? Das finde ich nicht. Dafür haben börsennotierte Unternehmen ja auch viel mehr finanzielle Power, wenn sie etwas bewirken wollen. Zudem ist das Vertrauen, das Menschen unserer Marke geben, unser höchstes Gut. Wenn wir etwas beschließen, wollen wir das auch wirklich erreichen. Sonst wären wir nicht glaubwürdig. Nachhaltiges Wirtschaften entwickelt eine eigene Kraft, und das Schöne ist, dass es sich zum regelrechten Innovationstreiber für neue Materialien, Produkte und Geschäftsideen entwickelt. Damit kreiert man eine neue Nachfrage, schafft neue Märkte, und das trägt zum wirtschaftlichen Erfolg bei. Das heißt, der Blick auf die Mehrkosten ist zu einseitig, nachhaltige Ziele zahlen sich auf der anderen Seite auch wieder aus.

Kommt denn bei Ihren ehrgeizigen Zielen keine Skepsis auf?
Doch schon, als wir beschlossen haben, bis 2030 die Emissionen zu halbieren, indem wir die gesamte Lieferkette umstellen. Erste Reaktion war: Das geht ja gar nicht. Da haben wir ja keine Einwirkungskraft auf die Lieferanten. Jetzt, ein halbes Jahr später, sind wir schon in Arbeitskreisen mit Lieferanten, Produzenten und Marken. Wir arbeiten an konkreten Plänen für die einzelnen Länder mit ihren Klimastrategien. Wir haben schon intern Kompetenz aufgebaut, wie wir vorgehen. Das geht nur gemeinsam, indem alle mitziehen.

Und was kostet Sie das?
Das ist schwer genau zu beziffern. Die Kompensationskosten kommen ja nur zusätzlich auf die Kosten für die Umstellung der Materialien und Produktionsstätten oben drauf. Um hierbei noch mehr Tempo zu machen, zweigen wir rund eine halbe Million Euro aus dem Marketingetat ab. Aber das ist bei Weitem nicht, was es uns insgesamt kostet. Wir stellen beispielsweise schrittweise unsere Umverpackungen auf 100 Prozent Recyclingmaterial um. Die Umstellung allein bei Rucksäcken kostet pro Jahr 60.000 Euro.

Wachstum über dem Branchendurchschnitt

Nachhaltigkeit statt Werbung oder als Werbung?
Im Grunde beides. Aber ganz so einfach ist es nicht. Wir engagieren uns seit vielen Jahren mit sehr viel Aufwand und Kosten ganzheitlich für Nachhaltigkeit und berichten transparent darüber. Das wird von den Konsumenten wahrgenommen, die uns als glaubwürdige Marke schätzen. Das ist jedoch auch wichtig für uns, denn große Marketingkampagnen können wir uns angesichts der Nachhaltigkeitskosten auch gar nicht leisten.

Wie läuft Ihr Geschäft?
Gut, sogar sehr gut. Wir wachsen seit Jahren über dem Branchendurchschnitt. In diesem Jahr haben wir mit einem Wachstum von 15 Prozent wahnsinnigen Rückenwind. Wir haben 2020 bereits 8,7 Prozent Wachstum erreicht, während der Branchenumsatz bei minus zehn Prozent lag. Das Thema Nachhaltigkeit zieht und stärkt dabei unsere Marke.

Wie hoch ist der Umsatz konkret?
Im vergangenen Jahr waren es über 110 Millionen Euro. Dieses Jahr dann wohl über 125 Millionen Euro.

Ist Vaude ein Coronaprofiteur?
Das ist ein hässliches Wort. Die Menschen sind mehr draußen, fahren mehr Fahrrad. Die kleinen Fluchten vom Alltag haben im Lockdown zugenommen, ähnlich wie in der Finanzkrise 2009. In unsicheren Zeiten werden eher keine großen Investitionen getätigt, es wurde weniger gereist, dafür wurde die Natur vor Ort entdeckt. Outdoor-Aktivitäten haben Konjunktur, und davon profitieren wir natürlich.

Vaude-Zentrale in Obereisenbach

Der Outdoor-Ausrüster will in diesem Jahr mehr als 125 Millionen Euro umsetzen.


(Foto: VAUDE)

Wie sieht es mit der Lieferfähigkeit aus? Haben Sie Material gebunkert?
Die Lieferfähigkeit war das ganze Jahr über angespannt, denn wir hatten nur mit acht Prozent Wachstum gerechnet und entsprechend Ware eingekauft. Wir haben teilweise zu spät geliefert, konnten aber insgesamt 89 Prozent der Bestellungen für dieses Jahr ausliefern.

Wie haben Sie die deutlich höhere Steigerung bei den aktuellen Lieferengpässen hinbekommen?
Ein wesentlicher Faktor sind sehr lange und enge Partnerschaften mit unseren Produzenten und Materiallieferanten. Das hilft uns bei Lieferschwierigkeiten. Denn wir sind es gewohnt, Probleme zusammen zu lösen.

Und die reinen Transportprobleme?
Das führt zu enormen Kosten von zusätzlich zwei Millionen Euro in diesem Jahr.

Mussten Sie auch fliegen? Das versaut doch den CO2-Footprint?
Ja, wenn Konventionalstrafen drohen, müssen wir in Ausnahmefällen leider auch mal fliegen. Aber über 95 Prozent gehen immer noch über den Seeweg.

Noch eine Frage zum Schluss: Welchen Dienstwagen fahren Sie denn?
Zur Arbeit fahre ich mit dem Fahrrad. Das ist also überwiegend im Einsatz bei mir. Ansonsten fahre ich einen VW-Bus und schaue mich gerade nach einem E-Auto um, doch 98 Prozent der Fahrzeuge auf der Liste gefallen mir nicht. Die meisten sehen mir zu aggressiv aus. Es wundert mich, dass die Autohersteller nicht mehr Vielfalt bieten.

Was wäre für Sie das ideale Auto?
Definitiv nicht die aktuellen großen Fahrzeuge mit ihrer maskulinen, bulligen Körperlichkeit. Die wirken auf mich wie konservative Statussymbole. Ich hätte gerne ein freundlich aussehendes Auto, das nach dem Design-Prinzip „form follows function“ gebaut wird. Ich würde mir wünschen, dass sich ein Hersteller mit meinen Bedürfnissen als umweltbewusste, Outdoor-begeisterte Frau mit großer Familie beschäftigt und dann ein modernes umweltfreundliches Auto baut, das diese ganz pragmatisch erfüllt und das auch ausstrahlt.

Frau von Dewitz, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Die 50 Klimapioniere der deutschen Wirtschaft

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