Arbeitgeber-Chef Dulger kritisiert Mindestlohn-Entscheidung hart

Berlin Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, geht hart mit der Entscheidung der neuen Bundesregierung ins Gericht, den Mindestlohn auf zwölf Euro anzuheben: „Die Höhe von zwölf Euro ist nicht das, was ich vorrangig kritisiere. Unsere Kritik bezieht sich darauf, wie hier mit der Mindestlohnkommission umgegangen und wie sie ausgehebelt wird“, sagte Dulger im Interview mit dem Handelsblatt.

Eine politische Festsetzung des Mindestlohns entwerte Tarifvertragsverhandlungen und senke die Tarifbindung. Der Mindestlohn dürfe nicht zum Spielball der Politik werden, dieses Versprechen habe die frühere Arbeitsministerin Andrea Nahles den Arbeitgebern gegeben, sagte der Heidelberger Unternehmer weiter: „Wir warten jetzt ab, was die Ampel auf den Weg bringt – und dann werden wir entsprechend reagieren. Aber der Wortbruch hat viel Vertrauen zerstört.“

Dass angesichts der sozialpolitischen Pläne der Ampelregierung die 40-Prozent-Marke bei den Sozialversicherungsbeiträgen wohl nicht zu halten sein wird, sieht der Arbeitgeberpräsident kritisch. Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „Respekt“ als Motto für seine Regierungsarbeit wähle, dann sollte er auch Respekt „vor dem Netto der Beschäftigten haben, das nicht durch weiter steigende Sozialbeiträge geschmälert werden darf“.

Die Politik müsse jetzt mutig an Reformen der sozialen Sicherungssysteme herangehen. „Und ich verlange zumindest von der neuen Regierung, dass sie jedes Jahr einen ausführlichen Bericht über den Zustand und die Zukunfts- und Leistungsfähigkeit unserer Sozialversicherungen abgibt“, sagte der BDA-Chef. Mit einer solchen umfassenden und langfristigen Vorausschau werde Transparenz geschaffen. „Damit gibt es ein Preisschild für unterlassene Reformen. Und die Politik kann sich nicht mehr verstecken und den notwendigen Handlungsbedarf verschleiern“, sagte Dulger.

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In Sachen Impfpflicht hat der Arbeitgeberpräsident seine bisherige zögerliche Haltung inzwischen aufgegeben: „Ich habe lange auf die Vernunft der Menschen gebaut, aber mittlerweile bin ich sehr für eine allgemeine Impfpflicht. Ich halte sie für den einzig gangbaren Weg, die Pandemie in den Griff zu bekommen.“

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Bundeskanzler Olaf Scholz will die Regierungsarbeit der nächsten vier Jahre unter das Motto Respekt stellen und zielt dabei auf die Kassiererin im Supermarkt oder die Pflegekraft. Fühlen Sie sich als Arbeitgeber ebenfalls mit Respekt behandelt?
Ich halte das für ein gutes Motto – schon im Wahlkampf ist das bei mir nachhaltig hängengeblieben. Ich wünsche mir, dass sich das auch im Verhältnis zwischen Politik und Unternehmern zeigt. Ich wünsche mir Respekt vor unserer unternehmerischen Leistung, vor der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und Arbeitsplätze und damit eine Existenzgrundlage für andere zu schaffen – und Respekt vor Eigentum. Ein in diesem Sinne verstandener Respekt kann auch junge Menschen motivieren, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen und Risiko zu tragen. Aber eine junge Generation, die heute bereit ist, diese große Verantwortung zu übernehmen und ein Unternehmen zu gründen, bestrafen wir mit hohen Steuern.

Der Respekt vor Ihrem Eigentum als Unternehmer ist da, zumindest plant die Ampel keine zusätzlichen Steuerbelastungen.
Zusätzliche Steuerbelastungen nicht, aber schon die bestehenden sind in der aktuell sehr herausfordernden Lage viel zu hoch. Nur mit Technologie und gut qualifizierten Arbeitnehmern kann unser Land nicht funktionieren, wir brauchen auch Unternehmer, die ins Risiko gehen. Aber kommen wir noch einmal auf die jungen Menschen zu sprechen, das treibt mich als Unternehmer wirklich um. Wo sind denn die Anreize in unserer Gesellschaft für junge Menschen, Unternehmer werden zu wollen? Wie attraktiv ist es, in diesem Land zu gründen und die Arbeitsplätze von morgen zu schaffen? Unternehmerinnen und Unternehmer dürfen kritisiert werden – aber es ist nicht verboten, ihren Beitrag für Wachstum und Wohlstand anzuerkennen. Dafür zu werben ist auch meine Aufgabe als Arbeitgeberpräsident und Familienunternehmer.

Zeugt es von Respekt gegenüber der Tarifautonomie, wenn die Regierung jetzt den Mindestlohn an der zuständigen Kommission vorbei auf zwölf Euro erhöht?
Die Höhe von zwölf Euro ist nicht das, was ich vorrangig kritisiere. Unsere Kritik bezieht sich darauf, wie hier mit der Mindestlohnkommission umgegangen und wie sie ausgehebelt wird. Die Folgen einer politischen Festsetzung des Mindestlohns sind doch offensichtlich: Tarifvertragsverhandlungen werden entwertet, und Tarifbindung wird gesenkt. Das hätte es alles nicht gebraucht, denn der Mindestlohn wäre ohnehin weiter gestiegen und hätte die zwölf Euro erreicht. Was die Gewerkschaften hier machen, ist, die Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen.

Umgang mit der demographischen Wende

Die Ampel wird aber nicht so lange warten wollen, bis die Mindestlohnkommission irgendwann bei zwölf Euro landet.
Dass die neue Regierung alle früheren Versprechen bricht, um das in den ersten 100 Tagen unterzubringen, halte ich für höchst fragwürdig. Der Mindestlohn darf nicht zum Spielball der Politik werden, dieses Versprechen hat uns die frühere Arbeitsministerin Andrea Nahles gegeben. Wer hilfesuchend nach dem Staat ruft, stellt seine eigenen Beschlüsse infrage – nicht nur in der Mindestlohnkommission, sondern auch bei über 100 Tarifverträgen, die unter zwölf Euro liegen und von Mitgliedsgewerkschaften unterzeichnet wurden. Ich frage mich, ob unser Sozialpartner das wirklich will. Denn das ist kein Nachweis für gewerkschaftliche Stärke und Souveränität. Im Gegenteil: Damit wird die gute Arbeit der Mindestlohnkommission leider entwertet. Wir warten jetzt ab, was die Ampel auf den Weg bringt – und dann werden wir entsprechend reagieren. Aber der Wortbruch hat viel Vertrauen zerstört.

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Die 40-Prozent-Marke bei den Sozialversicherungsbeiträgen wird kaum zu halten sein, wenn man die sozialpolitischen Pläne im Koalitionsvertrag liest. Geht jetzt die Welt unter?
Wir haben eben über Respekt gesprochen. Respekt sollten wir auch vor dem Netto der Beschäftigten haben, das nicht durch weiter steigende Sozialbeiträge geschmälert werden darf. Legen wir die Hände in den Schoß und tun nichts, dann wird die 40-Prozent-Marke fallen. Das dürfen wir nicht einfach akzeptieren!

Im Jahr 2025 kommt die demografische Wende, dann gehen mehr Menschen in Rente als neu in den Arbeitsmarkt eintreten.
Deshalb müssen wir jetzt mutig an Reformen herangehen. Und ich verlange zumindest von der neuen Regierung, dass sie jedes Jahr einen ausführlichen Bericht über den Zustand und die Zukunfts- und Leistungsfähigkeit unserer Sozialversicherungen abgibt. Mit einer solchen umfassenden und langfristigen Vorausschau schaffen wir also Transparenz. Damit gibt es ein Preisschild für unterlassene Reformen. Und die Politik kann sich nicht mehr verstecken und den notwendigen Handlungsbedarf verschleiern.

Die Alternative, um den Faktor Arbeit zu schonen, wäre eine stärkere Steuerfinanzierung der sozialen Sicherung. Ist das ein gangbarer Weg?
Auf keinen Fall. Wir müssen uns jetzt endlich einmal ehrlich machen und prüfen, wie wir unsere sozialen Sicherungssysteme erhalten können. Sehen wir der Realität der Demografie in die Augen, wird bald klar: Reformen sind die Voraussetzung für den Fortbestand eines stabilen Sozialsystems. Eine ausgabenwillige Sozialpolitik ist nicht zukunftsfähig. Deshalb werben wir für eine flexiblere Altersgrenze in der Rente, Begrenzung der Ansprüche an das Gesundheitswesen und die Konzentration der Arbeitslosenversicherung auf die Kernbereiche. Das sind die Instrumente, die jetzt nötig sind.

Erfahrungen der Arbeitgeber mit der Pandemie

Die wichtigsten Beiträge der Ampel zur Generationengerechtigkeit bei der Rente sind die Wiedereinführung des Nachholfaktors und zehn Milliarden Euro als Startguthaben für eine kapitalgedeckte Säule. Reicht das?
Nein, die Ampel muss ein Konzept vorlegen für eine längere und nachhaltigere Finanzierung. Und wenn wir an den Renteneintritt der Babyboomer denken, ist ein Mindestrentenniveau von 48 Prozent dauerhaft nicht finanzierbar – zumal, wenn die Ampel zugleich das gesetzliche Rentenalter für unantastbar erklärt. Wir brauchen auch mehr ergänzende Vorsorge, aber bei der Betriebsrente streiten wir uns mit den Gewerkschaften immer noch über den Wegfall der Garantien. Ich erwarte von der neuen Bundesregierung, dass meine Kinder auch noch eine auskömmliche Rente bekommen und unser Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig bleibt – und dafür müssen wir heute die Weichen stellen.

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Die Kasse der Arbeitslosenversicherung ist auch wegen der großzügigen Kurzarbeitsregelungen in der Pandemie leer. War es ein Fehler, diese nochmals bis März zu verlängern?
Das Kurzarbeitergeld war in den vergangenen Monaten die beste Krisenhilfe. Und genau für solche Fälle ist ja die Rücklage bei der Bundesagentur für Arbeit aufgebaut worden. Es war gut, dass wir sie hatten. Wenn es jetzt zu einer Verlängerung des erleichterten Bezugs kommt, dann sind mir zwei Dinge wichtig: Erstens: Das darf kein Dauerinstrument werden – das wäre in einer Marktwirtschaft ein Fremdkörper. Und zweitens: Wir sollten dafür keine Schulden bei der Bundesagentur machen. Wenn der Staat das will, dann braucht die Bundesagentur das Geld aus dem Bundeshaushalt und nicht durch Beitragserhöhungen.

Wo wir bei der Pandemie sind: Welche Erfahrungen machen die Arbeitgeber mit der 3G-Regelung am Arbeitsplatz?
Es lief anfangs sicherlich hier und da holprig, aber es läuft – auch bei mir im Unternehmen. Alle Geimpften haben sich registrieren lassen, das wird auf dem Werksausweis vermerkt, und sie können morgens unkompliziert an ihren Arbeitsplatz kommen. Alternativ bieten wir auf unserem Werksgelände auch Tests an. Viele meiner Beschäftigten arbeiten aber ohnehin im Homeoffice, die betrifft das gar nicht.

Vor einem Monat haben Sie sich noch skeptisch zu einer allgemeinen Impfpflicht geäußert. Hat sich Ihre Meinung inzwischen geändert?
Ich habe lange auf die Vernunft der Menschen gebaut, aber mittlerweile bin ich sehr für eine allgemeine Impfpflicht. Ich halte sie für den einzig gangbaren Weg, die Pandemie in den Griff zu bekommen.

Im Moment hapert es offenbar an Impfstoff für das erste Quartal, weil zu wenig bestellt wurde.
Ich würde zunächst mal das erste Quartal abwarten. Die neue Regierung soll jetzt mal auf die Tube drücken, und dann sehen wir weiter.

Fachkräftemangel und Lieferkettenprobleme

Aber als Unternehmer sorgen Sie ja auch dafür, dass Ihre Lieferkette funktioniert, dass Sie immer genug Vorleistungsprodukte haben. Kann man das von der Politik nicht verlangen?
Bei mir läuft ja auch nicht immer alles rund. Heute fehlen die Schrauben, morgen die Kabel, und übermorgen kommt eine Erkältungswelle, und dann fehlen mir die Arbeitskräfte. Mit diesen Herausforderungen haben wir alle zu kämpfen. Wenn bei der Bundesregierung eine Versorgungslücke sichtbar wird, muss sie das Problem anpacken und die Lücke schließen.

Auch Fachkräfte werden zunehmend wieder knapp. Macht Ihnen das Sorgen?
Wir müssen über ein vereinfachtes, beschleunigtes und vor allem unbürokratisches Verfahren für qualifizierte Zuwanderung reden. Wenn heute jemand zur deutschen Botschaft in Togo geht und sagt, ich bin qualifiziert und möchte in Deutschland arbeiten, was kann ich da tun – der hat es sicher nicht einfach. Ich hoffe, dass unsere neue Bundesregierung Ideen hat, wie wir hier besser werden können.

Elektronische Arbeitszeiterfassung

Die Arbeitgeber wünschen sich mehr Flexibilität im Arbeitszeitgesetz.


(Foto: imago images / Frank Sorge)

Zum Arbeitsmarkt: Die Ampel will am Grundsatz des Acht-Stunden-Tags im Arbeitszeitgesetz festhalten. Da hätten Sie sich etwas anderes erhofft, oder?
Ja, die Arbeitszeitrichtlinie der EU bietet hier mehr Möglichkeiten – das gilt nicht nur für die Einführung einer Wochenhöchstarbeitszeit, bei der der Koalitionsvertrag wieder nur Experimentierräume in Aussicht stellt. Das gilt zum Beispiel auch für die Ausgestaltungsmöglichkeiten bei der Ruhezeit. Da hätte ich mir deutlich mehr Flexibilität erhofft, als jetzt im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt wird. Wenn wir über New Work sprechen, dann ist der Ansatz von Regulierungen für mobile Arbeit unter anderem im sogenannten Homeoffice nicht der richtige Ansatz, sondern wir müssen auch über flexiblere Arbeitszeiten reden. Da ist Eigenverantwortung gefragt. Es muss natürlich Grenzen geben, aber wir müssen an dieses Thema grundsätzlich ran. Für mich ist der Arbeitsschutz ein ganz wichtiges Thema, aber der ist nicht in erster Linie durch tägliche Höchstarbeitszeiten garantiert.

Immerhin werden Minijobs und Werkverträge nicht abgeschafft, und das Problem befristeter Jobs sieht die Ampel, so wie Sie auch, vor allem im öffentlichen Dienst. Freut Sie das?
Ja, aber es reißt mich auch nicht zu Begeisterungsstürmen hin, weil es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass uns solche flexiblen Arbeitsformen erhalten bleiben. Befristungen zum Beispiel müssen endlich als Chance für Menschen und nicht immer nur als Risiko bewertet werden. Denn nur mit der nötigen Flexibilität können wir unseren Wohlstand sichern. Wir brauchen eine Regierung, die mehr vom Geist eines Gerhard Schröder versprüht. Da geht mir der Koalitionsvertrag noch nicht weit genug.

Es soll auch ein neues Bürokratieentlastungsgesetz geben. Führt das denn zu Begeisterungsstürmen?
Das bewerte ich, wenn es fertig ist. Von den entsprechenden Gesetzen aus früheren Legislaturperioden haben wir als Arbeitgeber im Arbeitsrecht jedenfalls nicht viel mitbekommen.

Finanzminister Christian Lindner hat Kreditermächtigungen für die Coronakrise in den Klima- und Transformationsfonds geschoben und so gesichert. Was halten Sie als Unternehmer von solch kreativer Buchführung?
Wenn Gelder da sind, die nicht gebraucht werden, dann ist es doch sinnvoll, sie für etwas anderes einzusetzen. Das mache ich als Unternehmer jeden Tag. Wichtig ist, dass dabei die Regeln eingehalten werden.

Die Union will Verfassungsbeschwerde gegen den Nachtragshaushalt einlegen. Halten Sie das für gerechtfertigt?
Ich halte es für absolut normal, wenn eine Oppositionspartei ihre demokratischen Rechte wahrnimmt und Dinge, die ihr nicht richtig erscheinen, vom Verfassungsgericht prüfen lässt.

Herr Dulger, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Chef der Mindestlohnkommission: „Die zwölf Euro finde ich persönlich in Ordnung“

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