Alexander Sixt über E-Mobilität & Herausforderungen für Autovermieter

München Es sind wilde Zeiten für den Mobilitätskonzern Sixt: Mit Beginn der Pandemie brach das Geschäft fast vollständig zusammen. Die Beschäftigten mussten in Kurzarbeit, die Autos zurück zu den Herstellern. Zwischenzeitlich brauchte Sixt einen Staatskredit in Höhe von 1,5 Milliarden Euro.

Mittlerweile läuft das Geschäft wieder rund, der Staatskredit ist abgelöst. 2021 dürfte dank der gestiegenen Reiselust und der gelungenen Expansion in den USA ein Rekordjahr geworden sein, wie Alexander Sixt im Interview ankündigt.

Und die Brüder haben noch viel vor – vom Auto-Abo über die App-Buchung bis zu den selbstfahrenden Taxi-Shuttles, die im Herbst durch München fahren sollen. Auch intern läuft der Umbau zum „Tech-Konzern mit angeschlossener Autovermietung“. In der Zentrale in Pullach bei München wurden die Wände herausgerissen, gearbeitet wird jetzt auf offenen Flächen.

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Herr Sixt, Sie leiten jetzt seit gut einem halben Jahr gemeinsam mit Ihrem Bruder den Vorstand. Wie fühlt sich der Job an, den 50 Jahre lang Ihr Vater innehatte?
Wie sehen uns zuallererst als Unternehmer und demnach als Diener des Unternehmens. Wir möchten unseren Beitrag für die Zukunft des Unternehmens leisten. So viel hat sich für uns nicht verändert. Natürlich ziehen wir, wie zuvor auch, meinen Vater sowie die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats zu den großen strategischen Entscheidungen hinzu.

Sie führen Sixt in einer Doppelspitze. In anderen Unternehmen halten solche Führungstandems nicht lange.
Es ist bei uns ein wenig anders als in Großkonzernen. Wir sind Brüder, die sich seit 40 Jahren kennen und ziemlich genau wissen, wo die Stärken und Schwächen des anderen liegen. Zudem sind wir Gesellschafter und dadurch dem Unternehmen verpflichtet. Wir verstehen uns. Deshalb teilen wir uns ein Büro und auch einen Schreibtisch.

Wer ist morgens zuerst im Büro?
Tendenziell bin ich vielleicht ein bisschen früher da – aber Konstantin würde vermutlich etwas anderes sagen (lacht). Ich würde vermuten, dass wir beide tendenziell nicht die Ersten im Büro sind, oft aber mit die Letzten.

Sixt erwartet Rekordzahlen für 2021

Geschäftlich fahren Sie seit zwei Jahren Achterbahn. 2020 der Absturz, 2021 soll ein Rekordjahr werden. Wie läuft 2022 an?
Die letzten zwei Jahre waren sicherlich äußerst herausfordernd. Wir werden in der größten Krise der Reisebranche voraussichtlich ein echtes Rekordjahr 2021 einfahren. Wir fahren jedoch immer noch sehr auf Sicht. Wir wissen nicht, wie die pandemiebedingten Maßgaben in den kommenden Monaten aussehen. Aktuell kann ich nur sagen, dass wir eine positivere Entwicklung sehen als im Januar 2021. Die Leute sind mobiler als noch vor einem Jahr.

Wo zieht der Markt denn an?
Es sind vor allem Privatreisen und das starke Ausland. Die Menschen sehnen sich nach Urlaub, nach Kommunikation und Austausch. Das Geschäft wächst. Im Privat-, aber auch Geschäftskundensegment haben wir 2021 deutliche Marktanteile dazugewonnen.

Geschäftsreisen bleiben aber eher mau …
Nicht jede vor Corona getätigte Geschäftsreise war wohl sinnvoll. Ich glaube, dass dieses Segment auch nach der Pandemie tendenziell leicht schwächer bleiben wird, wobei unser Marktanteil daran zuletzt gewachsen ist. Für alle Marktsegmente gehen wir 2022 von einem gleichen oder steigenden Marktvolumen aus, aber mit deutlich weniger Fahrzeugen und mit folglich auch tendenziell steigenden Preisen. Das gilt aber auch für andere Bereiche der Reisebranche.

Wie kommt’s?
Die Autos sind knapp. In Deutschland wurden im Dezember 2021 27 Prozent weniger Neuwagen zugelassen als noch vor einem Jahr, da weniger Fahrzeuge aufgrund des Chipmangels produziert werden konnten. Wir haben gute Beziehungen zu unseren Partnern und hatten deshalb Ende 2021 knapp fünf Prozent mehr Fahrzeuge in der Flotte als vor einem Jahr. Damit bedienen wir heute aber auch mehr Marktanteile und mehr Produkte, wie unser neues Auto-Abo Sixt Plus. Wenn wir mehr Autos hätten, könnten wir deutlich mehr Geschäft machen.

Sie müssen also bei den Autoherstellern betteln.
Wir sehen uns als langfristiger strategischer Partner. Wir sind auch ein Vertriebskanal und ein Marketinginstrument. Das Mietwagenerlebnis hat einen entscheidenden Einfluss im Kaufprozess, es ist wichtiger als die Probefahrt oder klassische Anzeigen. Bei uns werden die Autos erlebbar. Das gilt derzeit besonders für Elektroautos.

Wie viele Elektroautos haben Sie denn?
Aktuell sind wir in der weltweiten Mietwagenflotte bei zehn Prozent, im Car-Sharing in Deutschland bei gut einem Drittel, in einigen Märkten wie in den Niederlanden sind wir bei 100 Prozent. Wir hätten gerne deutlich mehr Elektroautos, aber die sind noch schwieriger zu bekommen als Verbrenner, weil die staatliche Förderung einen Run ausgelöst hat. Das wird sich aber 2023 und 2024 auflösen, weil die Produktionskapazitäten deutlich erhöht sein werden und ganz neue Wettbewerber auf den Markt kommen.

Sie meinen Tesla und die neue Fabrik in Brandenburg?
Auch. Aber ich meine auch neue Hersteller. Ich glaube, dass nach Jahren der Knappheit auch Jahre des Überangebotes kommen. Die deutsche Autoindustrie wird für uns immer ein strategischer Partner bleiben. Wir beobachten jedoch sehr interessiert die Entwicklung bei völlig neuen Marktteilnehmern. Sicher ist: Wir arbeiten an einer guten und nachhaltigen Elektroflotte.

Europcar und Hertz sind keine Bedrohung

Autohersteller und Autovermieter rücken zusammen. Volkswagen kauft Ihren Konkurrenten Europcar, Hertz bestellt 100.000 Elektroautos bei Tesla. Ist das eine Bedrohung für Sixt?
Das ist nichts Neues. Hertz hat mal Ford gehört, Avis hat mal GM gehört, und beide wurden wieder verkauft. Europcar hat mal Renault gehört, dann hat Volkswagen es zweimal verkauft und jetzt wieder gekauft.

Müssen Sie sich nicht auch enger an einen Autohersteller binden?
Wir sind gut damit gefahren, unabhängig von Herstellern zu bleiben. Wir haben sehr gute Partnerschaften mit BMW, Daimler, Audi, Stellantis und eben besonders auch mit dem Volkswagen-Konzern. Ebenso sehe ich die Konkurrenz zu Europcar als nicht so groß, da sich Europcar zum Teil auf andere Marktsegmente konzentriert, die wir nicht so stark angehen.

Europcar und Hertz sind doch auch Autovermieter …
Fast alle unsere Wettbewerber haben sich auf das Massengeschäft konzentriert: Europcar hat Gold Car und Buchbinder gekauft, Hertz hat Dollar Thrifty übernommen. Wir machen Premium, und für Autohersteller mit starken Marken gibt es nicht so viele Autovermieter, die eine ähnliche Kundenstruktur haben wie wir.

Dafür greifen Sie in den USA an. Wie weit ist die Expansion?
Für uns sind die Flughäfen entscheidend. Der US-Markt hat ein Volumen von über 30 Milliarden Dollar, über ein Drittel davon wird an Flughäfen umgesetzt. Unser Ziel ist es, in diesem Jahr die 30 größten Flughäfen zu bedienen – heute sind wir bei 24. Mit unserem Angebot besetzen wir eine Nische: Premiumautos von BMW, Mercedes, Audi, verbunden mit Premium-Service und moderner Technologie zu einem attraktiven Preis.

Das können Ihre Konkurrenten nicht?
Vor allem in den USA muss sich der Kunde in der Regel seitenlang durch Klauseln und Zusatzverträge kämpfen, mit Angeboten, die er meist gar nicht will oder braucht. Wir versuchen es eben anders zu machen: Wir haben keine seitenlangen Papierausdrucke, mit riesigen Schlangen vor den Schaltern. Zukünftig machen Sie die Buchung in der App und bekommen im Parkhaus Ihre Schlüssel. Wir wachsen in den USA organisch, weil die Menschen gerne direkt zu uns kommen.

Reizen Sie damit nicht die Riesen im US-Geschäft?
Wir sind noch keine Gefahr für die großen Player und sind erst einmal glücklich, wenn wir mittelfristig zehn Prozent an jedem Flughafen erreichen. Das reicht, um dort mittelfristig eine Milliarde Umsatz zu machen und die USA zum stärksten Markt für Sixt zu entwickeln. Für uns ist das ein Riesenschritt. Aber so sind wir auch in Europa gewachsen. 2009 waren wir in den europäischen Sixt-Kernmärkten noch bei elf Prozent Marktanteil. Jetzt sind wir bei 24 Prozent.

Wie kann man als Autovermieter noch wachsen?
Automieten muss einfach und flexibel sein. Die Kunden wollen nicht 25 Schritte im Internet machen, bevor sie ein Auto bekommen. Das wollen wir besser machen. Da haben wir auch bei Sixt noch Nachholbedarf. Einfachheit ist für mich das neue Premium. Flexibilität ist die zweite Dimension. Die Kunden sollen an den Schalter gehen können oder gleich über die App buchen und den Schlüssel in der Garage bekommen. Oder das Auto wird gleich von uns vor die Haustür gestellt.

Alexander, Erich und Konstantin Sixt

„Wie sehen uns zuallererst als Unternehmer und demnach als Diener des Unternehmens.“

(Foto: dpa)

Wenn es für den Kunden einfacher wird, dann wird es für Sie kompliziert.
Viele der neuen Anbieter und Investoren unterschätzen die Komplexität unserer Branche. Die Annahme ist häufig, das Geschäft hört mit der Nachfrageseite auf. Man baut eine coole App, hat ein paar Autos und fügt das irgendwie zusammen. Aber es gibt Millionen von Routinen, die hinter den Prozessen stehen. Die Bereitstellung, die Wartungsintervalle, Reparaturaufträge – alles Dinge, von denen der Kunde nichts mitbekommen soll.

Was ist die schwierigste Aufgabe?
Dem Kunden das richtige Auto zum richtigen Preis zur Verfügung zu stellen. Häufig wollen Kunden ein bestimmtes Auto, für uns gibt es dabei aber viele Variablen. Zum Beispiel verschieben sich die meisten unserer über 200.000 Autos permanent zwischen den Standorten. Wir wissen nicht, ob Mieten spontan verlängert oder wo die Autos abgegeben werden. Daher müssen wir dynamische Prognosemodelle entwickeln, und das ist sehr komplex.

Wie berechnen Sie das?
Die Modelle hierfür werden von unseren eigenen Entwicklern in Deutschland aufgesetzt, aber auch in Kiew und in Bangalore. Nächstes Jahr evaluieren wir einen Standort in den USA und einen weiteren in Europa. Zu unseren aktuell 770 Tech-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommt dann noch einmal ein Drittel dazu. 2023 werden wir fast so viele Softwareentwickler haben wie Stationsleiter. Wir sind ein Tech-Unternehmen mit angeschlossener Autovermietung.

Auf wen stützen Sie sich besonders?
Sixt zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass wir eine sehr kreative, junge und loyale Führungsebene haben. Unsere Führungskräfte haben eine durchschnittliche Betriebszugehörigkeit von zwölf Jahren, bei einem Durchschnittsalter von Ende Dreißig. Sixt ist ihre Heimat, und sie haben diese Modelle mit ganz viel Erfahrung aufgebaut und entwickeln sie mit Herzblut weiter.

Pilotprojekt mit Robotaxis in München

Im Herbst wollen Sie mit Mobileye eine erste Flotte von Robotaxis durch München fahren lassen.
Wir beginnen mit bis zu 25 Fahrzeugen. Diese werden Level 4 autonom fahren, wobei anfangs immer ein Sicherheitsfahrer dabei sein wird. Das ist für uns ein Pilotprojekt, mit dem wir Erfahrungen sammeln. Mobileye und Sixt gehen hier eine Partnerschaft auf Augenhöhe ein: Mobileye hat die Technologie des autonomen Fahrens entwickelt. Wir wissen, wie man so eine Flotte betreibt.

Wann wird das Robotertaxi ein Geschäftsmodell für Sixt?
Ich wage da keine Prognose. Viele Tech-Unternehmen haben ja geglaubt, dass sehr bald das autonome Auto kommt und daraus schnell Geschäftsmodelle werden, weil die Kosten für die Fahrer sinken. Aber wenn alle irgendwann ohne Fahrer fahren, dann geht es am Ende doch wieder um den effizienten Betrieb und die Auslastung der Fahrzeuge. Mittlerweile haben sich die meisten von ihren autonomen Autoprojekten wieder verabschiedet. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass in bestimmten Städten irgendwann Robotertaxis regulär fahren.

Weil das private Autofahren Luxus wird?
Viele Leute sind noch lange aus beruflichen und privaten Gründen auf das eigene Auto angewiesen. Was aber auch stimmt: Wenigen ist klar, wie teuer der private Autobesitz ist. Laut dem ADAC Kostenrechner kostet der private Kleinwagen pro gefahrenem Kilometer mindestens dreißig Cent. Wenn jeder Autofahrer dreißig Cent bei jedem Kilometer in eine Sparbüchse stecken würde, dann würde schnell deutlich, dass dies sehr teuer ist. Wenn wir unser Produkt so attraktiv machen, können wir manchen Menschen eine echte Alternative bieten. Das ist unsere Aufgabe.

Herr Sixt, vielen Dank für das Interview.

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